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Interview: Philosoph Wilhelm Schmid: „Es geht um einen Kampf der Kulturen“

Interview

Philosoph Wilhelm Schmid: „Es geht um einen Kampf der Kulturen“

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    Bestsellerphilosoph Wilhelm Schmid, 68, stammt aus Billenhausen bei Krumbach und lebt seit vielen Jahren in Berlin.
    Bestsellerphilosoph Wilhelm Schmid, 68, stammt aus Billenhausen bei Krumbach und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Foto: Paul Zinken, dpa

    Herr Schmid, Sie waren als Philosoph immer wieder auch in Russland auf Vortragsreisen unterwegs. Wie hat Sie denn Ausbruch des Krieges in der Ukraine jetzt schockiert?

    Wilhelm Schmid: Für mich war das kein Schock. Denn bereits in den 90er Jahren habe ich dort in den Gesprächen und Diskussionen Dinge gehört, bei denen ich mir dachte: Nur gut, dass das keine offizielle Politik wird. Aber dann kam Putin - und es wurde erst mal inoffizielle

    Was meinen Sie?

    Schmid: Etwa den Verkauf der größten deutschen Gasspeicher an den russischen Konzern Gazprom. Das muss ein Wirtschaftsminister entschieden haben - und der hieß damals Sigmar Gabriel, der wiederum einem ehemaligen Kanzler, höchsteinträglich in Diensten von

    Die politische Devise war „Wandel durch Handel“: Also wirtschaftliche Kooperation und gegenseitige Abhängigkeit auch als Medium der Verständigung … Hat bloß nicht funktioniert.

    Schmid: Es wäre besser gewesen, die Dissertation von Putin zu lesen, die er 1997 abgegeben hat, um zu promovieren. In der schreibt er nämlich über die Machtmittel, die Russland hat und stellt fest, dass die fossilen Energien dieses Machtmittel Russlands sind, um seine Interessen durchzusetzen. Warum haben wir das im Westen nicht ernst genommen? Jetzt bleibt uns angesichts der Folgen nur noch, sehr nahe liegende Konsequenzen zu ziehen. Heimat zeichnet sich dadurch aus, Schutz zu bieten. Nun braucht unsere Heimat, unser Land einen Schutzschirm. Und wir sind uns nun im Klaren darüber, dass das auch einen militärischen Schutzschirm bedeutet. Das ist also auf dem Weg. Es ändert nur am viel umfassenderen Konflikt nichts, der mich als Philosoph stärker beschäftigt, weil es eben ein philosophischer ist.

    Was hat der Krieg Russlands mit der Ukraine mit Philosophie zu tun?

    Schmid: Leider sehr viel. Weil es auch um die Frage von Wahrheit geht. Wenn Sie sehen, wie schamlos in der russischen Regierung gelogen und betrogen wird – da steckt etwas dahinter. Und ich glaube, die Geschichte, die dahintersteckt, zu kennen. Denn was hat die Leute in Russland damals bei den Vortragsreisen in den 90er Jahren am meisten interessiert? Es war die Postmoderne. Das hieß zu sagen: Wahrheit ist ein Konstrukt, Wahrheit gibt es eigentlich gar nicht, Wahrheit wird gemacht. Ich habe damals mit einem Kollegen an der Akademie der Wissenschaften in Moskau darüber diskutiert, Valery Podoroga, der diese postmoderne Philosophie ganz toll fand und das auch damals schon ins Politische wendete. Er machte etwa sehr abfällige Bemerkungen zu Lettland, das sich gerade erst für unabhängig erklärt hatte - und Podoroga sagte frei heraus: Wir warten nur darauf, dass der lettische Schinken wieder fett wird, und dann holen wir uns den wieder. Also ein koloniales, ein imperiales Bewusstsein, das uns heute klar vor Augen steht wegen der russischen Politik, aber das sich damals schon vorbereitet hatte. Valery Podoroga ist gestorben – aber er hat einen Nachfolger. Der heißt Alexander Dugin …

    Demonstrativ einig: Putin mit Kyrill I., dem Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche.
    Demonstrativ einig: Putin mit Kyrill I., dem Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche. Foto: Alexei Druzhinin, Kreml, dpa

    Ein Berater Putins.

    Schmid: Genau. Und ein postmoderner Philosoph. Über ihn hat Putin diese Theorien aufgenommen und fühlt sich von daher ermutigt und legitimiert, die Existenz von Wahrheit schlicht und einfach zu leugnen. Wenn wir aber kein gemeinsames Verfahren haben, wie Wahrheit erzeugt wird, zum Beispiel durch Untersuchungen, die überprüfbar sind, durch Plausibilität, dann erodiert die Basis des Zusammenlebens. Das gilt schon innerhalb von Gesellschaften, aber erst recht zwischen Ländern. Wir haben in Deutschland das Problem, dass es nicht wenige Menschen gibt, die bezweifeln, dass es Corona gibt, und die sich durch nichts überzeugen lassen, kein Beweis ist für sie stichhaltig, dass es sich vielleicht anders verhält. Solange es sich um eine relative Minderheit handelt, kann man das vielleicht in Kauf nehmen, in Amerika aber ist das schon keine kleine Minderheit mehr. Und zum endgültig großen Problem wird das zwischen Staaten. Wenn zum Beispiel Lukaschenko wie kürzlich vor die Presse tritt und sagt, die Bilder aus ukrainischen Städten, die Leichen auf den Straßen zeigen, das habe der britische Geheimdienst inszeniert – das ist schamlos, das ist wahnsinnig. Auf dieser Basis können wir nicht mehr gemeinsam leben. Dann gilt nur noch die Gewaltausübung, die übrigens damals in den 90ern schon unverhohlen zur Sprache kam.

    Der Krieg in der Ukraine ist also bloß ein Fanal. Wofür?

    Schmid: Es geht um einen Kampf der Kulturen. Und es ist ein Irrtum zu glauben, Putin stehe allein und es hänge alles von diesem Diktator ab. Wir kennen keine genauen Prozentzahlen, aber alles deutet darauf, dass nicht wenige Menschen in Russland diese Politik unterstützen. Und manifest ist, dass die Russisch-Orthodoxe Kirche diese Politik ausdrücklich gutheißt. Das muss man sich mal vorstellen: Christen, die solche Massaker gutheißen!

    Was kennzeichnet die Kulturen, die da aufeinandertreffen?

    Schmid: Die eine will zurück zu früheren Verhältnissen: Wiederherstellung des imperialen Reichs mit allem was dazugehört, pure Machtpolitik und Besetzung all der Länder, die eben zum Imperium gehören sollen. Schon in den 90ern hieß es, es sei der natürliche Anspruch Russlands, seine Nachbarn zu beherrschen, die hätten gar kein eigenes Existenzrecht – das hat nicht Putin erst heute erfunden. Und die andere Kultur ist der Westen, der eine Entwicklung vollzogen hat in der Zwischenzeit, und bei dieser Entwicklung auch bleiben möchte, eine Entwicklung hin zu Menschenrechten, zu Freiheit, zu Demokratie …

    Also ein kultureller Unterschied im Verhältnis zurzeit.

    Schmid: Noch grundsätzlicher. Russland ist eine Kultur des Raumes. Das erschließt sich einem unmittelbar bei der Betrachtung dieses Landes, das sich ja über einen ungeheuren Raum erstreckt. Die Erfahrung, die ich damals gemacht habe, als ich unterwegs durch diesen Raum bis jenseits des Urals war: dass das tatsächlich das Denken und Fühlen komplett verändert, dass man sich in diesem riesigen Raum vollständig verloren fühlen kann. Und alles, was wir für wertvoll halten, wie zum Beispiel Menschenrechte des Einzelnen, verliert sich dort vollkommen. Ein einzelner Mensch zählt in Bezug auf diesen riesigen Raum gar nichts – so verhält sich in der Tat ja auch die russische Politik und keineswegs erst heute, das war über die Jahrhunderte hinweg so.

    Und die andere Kultur?

    Schmid: Ist die des Westens als eine Kultur der Zeit. Soll heißen: In der Zeit vollziehen wir Veränderungen und bemühen uns um Verbesserungen - während in der Kultur des Raumes keine Veränderungen vollzogen werden sollen, die Verhältnisse sollen sein, wie sie sind. Das erlebt man auch, wenn man in Russland auf dem Land unterwegs ist, da kann man leicht den Eindruck gewinnen, im 19. Jahrhundert gelandet zu sein. Und wenn man die Russisch-Orthodoxe Kirche betrachtet: Die hat sich seit Jahrhunderten in keinster Weise entwickelt, das ist ihr Glaubenssatz, dass es keine Entwicklung und keine Veränderung geben soll. So wie es in der Kultur der Zeit des Westens ein Glaubenssatz ist, dass sich Veränderung und Entwicklung vollziehen muss.

    Veränderungen kommen nun auch in der Folge der Krieges auch auf uns als Gesellschaft zu, durch drohende Wohlstandseinbußen etwa. Befürchten Sie dadurch Auswirkungen auch auf den gesellschaftlichen Frieden und für den Rückhalt der Demokratie, die ja im Wohlstand gediehen ist?

    Schmid: Nicht unbedingt. Denn wenn die Verhältnisse enger werden, dann stehen die Menschen auch besser zusammen. Das war am Anfang von Corona deutlich zu spüren, das hat mich damals auch sehr beruhigt. Eine historische, aber auch familiäre Erfahrung: Wenn’s dicke kommt, dann wächst die Solidarität. Möglicherweise stellen schwierigere Zeiten also den gesellschaftlichen Zusammenhalt sogar wieder auf bessere Füße. Es ist ja auch nicht prinzipiell schlecht, dass wir bemerken, dass Wohlstand infrage stehen kann – und vielleicht auch hier und da bemerken, wie wir uns selbst auch wieder ein bisschen einschränken können.

    Haben Sie sich eingeschränkt?

    Schmid: Ich habe auch gelernt: Die Heizung, die ich hier habe, die kommt indirekt Putin zugute – und habe sie dann schlicht und einfach ausgestellt. Ich habe das Glück, in einem Haus zu wohnen, das gut gedämmt ist, das Thermometer ist zwar um drei bis vier Grad gefallen – aber mit dem Anziehen eines Pullis war das dann auch getan. Vielleicht sind solche Erfahrungen für uns alle ja jetzt wertvoll: dass wir nicht ständig auf der Überholspur sein müssen – apropos, das wäre das Nächste, wofür auch ich plädiere, schon lange ist ein Tempolimit überfällig. Wann, wenn nicht jetzt? Ist das eine Wohlstandseinbuße? Nein, da würde ich eher sagen, das ist eine Gesundschrumpfung.

    Manche sprechen dabei auch von einer Freiheitseinbuße. Das kommt dann aber auf den Begriff von Freiheit an.

    Schmid: Ja genau. Freiheit anzubeten, wie es eine bestimmte Partei in unserem Land macht, führt in die Irre. Zur Freiheit gehört immer auch die Freiheit, auf Freiheiten zu verzichten, wenn es nötig ist. Wenn das demokratisch geschieht – und das wäre ja der Fall, wenn eine demokratisch gewählte Regierung das beschließt. So wie es ja auch der Fall ist, wenn ein einzelner Mensch für sich beschließt: Ich gebrauche meine Freiheit so, dass ich jetzt nicht mehr das Gaspedal durchdrücke.

    Zumal Maßhalten in der Klimafrage helfen könnte. Bloß steht die nun nicht mehr so im Fokus, oder?

    Schmid: Glücklicherweise steht sie jetzt doch sehr im Fokus, weil wir verstehen, dass die Klimafrage mit politischen Fragen eng verknüpft ist. Wo sind die fossilen Energien zu Hause? Mit wenigen Ausnahmen dort, wo Diktaturen sind. Wenn wir es nicht gut finden, dass es Diktaturen gibt, dann raus aus den fossilen Energien. Die erneuerbaren Energien haben den Vorteil, dass sie viel mehr verteilt sind auf der Erde. Die Sonne scheint überall, die gibt’s nicht nur in arabischen Ländern, und Wind bläst auch überall. Eine Dezentralisierung der Energie wird uns also guttun und möglicherweise die Gefahr künftiger Kriege eindämmen. Und zugleich - diesen Gewinn haben wir nun - müssen wir die Umstellung in kürzester Zeit schaffen.

    Ihre Philosophie steht im Zeichen der Lebenskunst. Angesichts der Sorgen über den Zustand der Welt heute und vor allem auch der Welt, in der unsere Kinder leben werden: Was raten Sie?

    Schmid: Besinnung auf uns selbst. Erst mal auf das eigene Selbst. Dafür war Corona schon eine gute Übung. Mehr auf uns selbst zu achten, zu fragen: Was ist mir persönlich wichtig, was tue ich dafür, um mehr Heimat in mir selbst finden zu können? Sodann Besinnung darauf, mit welchen Menschen wir leben. Wir finden sehr viel Heimat in den vertrauten Beziehungen, in denen wir leben dürfen, für die wir aber auch sehr viel tun können, Beziehungen der Familie, der Liebe, der Freundschaft, wo wir uns wechselseitig sehr viel Beistand leisten und uns beieinander heimisch fühlen können.

    Und über das Private hinaus?

    Schmid: Die Besinnung auf uns selbst betrifft auch die Frage: Was können wir dafür tun, dass dieses Land gut durch solche Krisen kommt? Und sei es nur das Herunterregeln der Zimmertemperatur, die in der Tat ja auch, wenn viele das machen, große politische Auswirkungen im Land haben kann. Die Begrenzung auf der Autobahn genauso. Und zur Besinnung gehört auch, sich für die Politik interessieren. Ist das, was sie tut, in meinem Interesse? Dass sie sich nun also auch damit befasst, in kürzester Zeit von den fossilen Energien wegzukommen? Denn wir werden in absehbarer Zeit wieder als Wähler gefragt sein. Und dann sollten wir informiert sein, wohin die Reise geht, und wissen, ob wir das wollen oder etwas anderes.

    Wie besorgt blicken Sie denn selber auf die Zukunft?

    Schmid: Die Gefahren sind groß aufgrund des Krieges. Denn wir sind nun belehrt worden, dass man an der Spitze der russischen Regierung keine Rationalität suchen muss. Es könnte sein, dass der Diktator in Moskau noch sehr dumme Ideen hat. Das würde sicherlich Russland am allerwenigsten guttun, aber dieses Kalkül gibt’s offenbar in Moskau gar nicht. Das ist die allergrößte Gefahr, sehr unmittelbar. Die mittelbare Gefahr ist und bleibt auch für die nächsten Jahrzehnte diejenige, die durch den Klimawandel entsteht. Und von daher bin ich jetzt erst mal sehr, sehr froh, dass da nicht nur ein Umdenken, das gibt es ja schon lange, sondern in kürzester Zeit auch ein Umschalten im Tun stattfindet. Wir müssen dafür sorgen, dass auch unsere Kinder noch eine lebenswerte Welt und ein gutes Leben haben können. Und dafür hoffe ich, dass, wie es ja häufig in der Geschichte geschieht, auch in diesem Fall aus einer schweren Krise große Verbesserungen kommen.

    Zur Person: Wilhelm Schmid, 68, stammt aus Billenhausen bei Krumbach, lebt seit langem in Berlin und ist seit dem Buch "Gelassenheit" einer der meistgelesenen Denker in Deutschland. Zuletzt erschien von ihm das Buch "Heimat finden".

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