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Interview: Philosoph Precht: „So wird Qualitäts-Journalismus mit Twitter verwechselbar“

Interview

Philosoph Precht: „So wird Qualitäts-Journalismus mit Twitter verwechselbar“

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    Richard David Precht: Das neue Buch heißt "Die vierte Gewalt"
    Richard David Precht: Das neue Buch heißt "Die vierte Gewalt" Foto: Debora Mittelstaedt

    Herr Precht, Hintergrund Ihres Buches mit Harald Welzer über „Die vierte Gewalt“ ist eine Sorge um den Vertrauensverlust der Medien in Deutschland und in der Folge Gefahren für die Demokratie. In den Vordergrund aber drängt schon mal die Wut. Etwa darüber, wie in den Leitmedien die Unterzeichner eines offenen Briefs gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, zu denen Sie beide gehörten, fast einhellig und teilweise sehr heftig kritisiert wurden. Während Sie wiederum Umfragen anführen, die besagen, dass über 40 Prozent der Deutschen Ihre Skepsis teilen. Was zeigt sich darin für Sie?

    Richard David Precht: Wut ist hier das falsche Wort. Der richtige Begriff ist tatsächlich Sorge. Denn wenn das, was ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung denkt, sich in den Leitmedien, also in den überregionalen Tageszeitungen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, nicht wiederfindet, dann wächst der Vertrauensverlust in die Medien überhaupt. Und damit ist deren Zukunft gefährdet. Der Anlass für das Buch war, den Leitmedien mitzugeben, intensiver darüber nachzudenken, was sie tun, selbstkritischer zu sein, weil Systemen, die nicht selbstkritisch genug sind, der Untergang droht. Wir sehen hier Tendenzen, die dafür sprechen, dass die Leitmedien sich aus der Gesellschaft herauskürzen. Und das ist etwas, was wir nicht wollen.

    Wo liegt der Unterschied zwischen dem, was die Medien sollten, und dem, was sie tun?

    Precht: Wir untersuchen im Buch ja die letzten 20 Jahre, noch intensiver die letzten zehn, und fokussieren uns dabei auf die sogenannte Migrationskrise, die Corona-Krise und jetzt den russischen Überfall auf die Ukraine. Allesamt Krisen, für die wir kein Skript haben. Das heißt, diese Situationen waren für uns alle neu – und alle waren damit gleichermaßen überfordert. Niemand konnte die Folgen abschätzen – das ist ja beim Krieg bis heute so. Und wenn man sich als Gesellschaft auf unsicherem Terrain befindet, dann ist das Wichtigste eben, breit darüber zu beratschlagen, also möglichst viele Stimmen und Perspektiven zu Wort kommen zu lassen, damit man sich ein vollumfängliches Urteil bilden kann. Das ist eben unsere Empfehlung: Dass wir mit diesen Dingen beratschlagender umgehen, als auf die Art wie es etwa am Beispiel des Ukraine-Krieges ist, wo die veröffentlichte Meinung ein erstaunlich einheitliches Meinungsbild aufweist, obwohl die Problemsituation enorm unübersichtlich ist.

    Und woher kommt diese Einheitlichkeit?

    Precht: Uns geht es gerade darum, sie zu erklären und dabei zugleich Verschwörungserzählungen zu widerlegen. Denn Vorstellungen, wie die AfD oder die Querdenker-Szene sie vertreten, dass das in irgendeiner Form von der Regierung gelenkt ist und dann an die Medien weitergegeben wird, sind völliger Humbug. So funktioniert es eben genau nicht. Im Gegenteil: Wir sehen eigentlich im Vergleich die Medien in der stärkeren Rolle, wir sehen eher sie die Politik treiben, als eine Politik, die den Medien sagt, was sie zu verbreiten haben. Und die Einheitlichkeit kann man sozialpsychologisch sehr gut erklären. Denn gerade wenn man kein Skript hat, die Unsicherheit groß ist und einem zudem unter Zeitdruck Urteile abverlangt werden, gleicht man sich aneinander an. So hat sich ganz schnell eine Art geschlossenes Bild entwickelt aus dem Bedürfnis heraus, ein solches geschlossenes Bild zu haben. In der Unsicherheit freut man sich, wenn man ein Narrativ gefunden hat, auf das man sich möglichst schnell verständigen kann. Und das gilt es dann umso bestimmter zu verteidigen. Ich glaube, das ist genau das, was passiert ist.

    Sie führen als weiteren Motor der vereinheitlichten Meinung den Begriff des Cursor-Journalismus ein …

    Precht: Der ist von uns erfunden und versucht das Schwarmverhalten zu erklären, das sich etwa in der Corona-Pandemie zeigte. Da waren die Medien ja nicht durchgängig einer Meinung, wie das bisher ja sehr weitgehend beim Krieg ist – aber es gab trotzdem immer eine sehr deutliche Mehrheitsmeinung, obwohl die auf sehr unsicherem Boden stand und ständig wechseln konnte. Wie in der Frage für oder gegen eine Impfpflicht etwa. Auch da spielen automatisierte Prozesse der gegenseitigen Beeinflussung eine Rolle hinein, für die das Bild des Cursors steht, der auf dem Computer die Position anzeigt. Natürlich sollte man einräumen, dass man, je nach veränderter Inzidenz-Lage, auch eine andere Politik fordern und befürworten kann. Was uns aber stört, ist, dass dieser Cursor immer verbunden ist mit einem Cursor des gefühlten Anstandes. Das heißt, man glaubt immer, man hat die Moral auf seiner Seite. Und diejenigen, die die Dinge anders sehen, werden bei uns manchmal zum Teil sehr, sehr scharf und sehr personalisierend angegriffen. Das ist etwas, was der Qualitätsjournalismus aus den sozialen Medien übernommen hat und was ihm nicht gut zu Gesicht steht, weil er dann irgendwann mit Twitter verwechselbar wird.

    Emotionalisierung, Skandalisierung, Personalisierung – Sie beschreiben, dass solche Erscheinungen von den Direktmedien über die Aufmerksamkeits- und Reichweitenjagd im Online-Journalismus auf die Leitmedien durchstoßen …

    Precht: Ja, und diese übernommene Erregungs- und Empörungskultur führt eben auch dazu, dass viele Debatten nicht mehr sauber in der Sache ausgetragen werden, sondern mit Verunglimpfungen der Personen einhergehen. So ist es sehr bezeichnend, dass in den meisten Rezensionen zu unserem Buch sich kaum ein Rezensent mit unseren Argumenten auseinandergesetzt hat – sondern dass man versucht hat, uns als Personen abzuwerten und uns unlautere Motive zu unterstellen. Dabei ist unsere Kritik ja eine im Sinne der Leitmedien und nicht gegen sie gerichtet. Aber die bisherige Reaktion zeigt uns eben, dass es da mit der Kritikfähigkeit tatsächlich nicht weit her ist, und damit bestätigt sich unsere Befürchtung.

    Das Autorenduo: Der Philosoph Richard David Precht und der Soziologe Harald Welzer.
    Das Autorenduo: Der Philosoph Richard David Precht und der Soziologe Harald Welzer. Foto: Debora Mittelstaedt

    Aber besteht nicht die Gefahr, dass sich diejenigen Ihre Kritik durch Verkürzungen zunutze machen, die die Leitmedien als Lügenpresse diffamieren und Journalismus diskreditieren?

    Precht: Wir können uns nicht gegen Dummheit immunisieren. Jeder Querdenker, der ein Lügenpresse-Konzept im Kopf hat und dann unser Buch liest, wird eigentlich nach wenigen Seiten enttäuscht sein und es weglegen. Aber dass Leute irgendwo Überschriften herausgreifen und in falsche Bezüge setzen, das ist unmöglich zu verhindern. Umso wichtiger wäre es aber doch, dass jenseits davon das tatsächliche Anliegen erkannt und debattiert wird. Aber wenn unsere abwägende Kritik wie eine allgemeine Diffamierung behandelt wird, bestätigt das erneut viele Vorurteile.

    Ein auf den ersten Blick erstaunlicher Befund im Buch ist, dass gerade die über Facebook und Co. auch für die Leitmedien neu mögliche Nähe zu den Menschen zum Vertrauensverlust führt. Wie das?

    Precht: Wer den Menschen nach dem Mund redet, verliert das Vertrauen der Menschen, frei nach der Weisheit: Everbody’s Darling is everbody’s Depp. Die Aufgabe der Leitmedien besteht ja nicht darin, den Menschen nach dem Mund zu reden – und schon gar nicht den Menschen, die zum Beispiel twittern. Denn das ist ja nur eine kleine Minderheit der Menschen in Deutschland, die sicher nicht repräsentativ ist. Ähnlich ist es mit den Menschen, die online für Klicks sorgen oder Artikel kommentieren. Natürlich kann es aufschlussreich sein, den Menschen nah zu sein, aber es ist sicher nicht richtig, jede kleine Empörungswelle aufzugreifen und sie dadurch Schall zu verstärken. Große Aufregungswellen können Thema im Qualitätsjournalismus sein, indem man Hintergründe beleuchtet. Aber wenn Medien Shitstorms aufgreifen und sie als Nachrichten weiterleiten – das geht gar nicht! Es reicht dann, wenn 40 oder 50 Leute irgendjemanden für irgendetwas hassen, dass über diese Verstärkung der Beschimpfte dann auch noch öffentlich an den Pranger gestellt wird.

    Was würden Sie sich denn vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk wünschen?

    Precht: Wenn die sicher weit über hundert Talk-Shows zu Waffenlieferungen in die Ukraine von einer einzigen Ausnahme abgesehen immer so besetzt sind, dass die für die Lieferungen Plädierenden in der breiten Mehrheit sind – dann stellt man sich doch die Frage: Warum macht man das? Warum finden hier keine deliberativen Talk-Shows statt? Warum hat man nicht auch mal Talk-Shows, wo die Skeptiker in der Mehrheit sind? Warum gibt es nur eine Form? Das ist natürlich das Problem. Die einzige Ausnahme war übrigens, dass ich bei Markus Lanz war und wir in einem Zweier-Gespräch darüber geredet haben. Es sollte viel mehr beratende Formate geben, gerade in einer solchen Situation, für die wir kein Skript haben. Ich verstehe Menschen, die für Waffenlieferungen plädieren, dafür gibt es eine Menge Argumente. Ich teile diese Ansicht nicht, aber ich verstehe das. Und einen Austausch über die Argumente und ihr jeweiliges Gewicht – so stelle ich mir die ideale Talk-Show vor. So findet die aber nicht statt. Heute stehen in solchen Fällen die Skeptiker allein auf weiter Flur in der Sendung und werden danach auch noch von den Print-Medien in die Pfanne gehauen. Und da muss man sich doch überlegen: Wir sind ein freiheitliches, liberales Land – warum gehen wir mit Menschen, die anderer Meinung sind, die wiederum gar keine Minderheitenmeinung ist, denn auf solche Art und Weise um? Und das im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der im internationalen Vergleich vorbildlich ist und von hoher Qualität.

    Wenn sich all diese Ihrem Befund nach zunehmenden Tendenzen in den Leitmedien unverändert fortsetzen: Welchen Schaden befürchten Sie dann für die Demokratie?

    Precht: Meine Angst sind amerikanische Verhältnisse. Es ist leider eine traurige Wahrheit, dass sehr viele Probleme, die die USA haben, verzögert bei uns dann auch ankommen. Meine Angst wäre ein Land, in dem es keine stabile Qualitätspresse auf breiter Basis gibt – in den USA ist davon inzwischen fast nichts mehr übrig. Und wir alle wissen, was es bedeutet, wenn Sender wie Fox News in Abwesenheit eines öffentlich-rechtlichen Fernsehens die Szene beherrschen und sich genau der direktmedialen Stilmittel bedienen. Ich habe Angst, dass wir sukzessiv in eine solche Situation kommen. Ich habe gerade angesichts all der Krisen, die uns bevorstehen, Angst davor, dass wir ganz verlernen, konstruktiv zu debattieren. Um dies zu bewahren und es wieder mehr zu lernen, dafür brauchen wir gut funktionierende Qualitätsmedien. Sonst könnte es passieren, dass auch uns irgendwann eine Wende in eine haltlose, von Populisten beherrschte Gesellschaft droht. Noch sehe ich uns da nicht. Aber wir stehen vor so großen Herausforderungen, dass ich Angst habe, wir könnten unter deren Druck dorthin abgleiten. Ich möchte das Land, das wir jetzt haben, in dem bewahren, was an ihm qualitativ und hochwertig ist.

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