Herr Hochmair, bei den Salzburger Festspielen geben Sie in diesem Jahr den Jedermann in Hugo von Hofmannsthals Stück. Diese Rolle ist Ihnen nicht ganz unbekannt. Sie sind 2018 kurzfristig für den erkrankten Tobias Moretti eingesprungen. Wie schafft man das, quasi von einer Nacht auf die andere?
PHILIPP HOCHMAIR: Durch mein Bandprojekt „Jedermann reloaded“, in dem ich alle Rollen allein spiele, konnte ich das machen. Wer kennt schon den ganzen „Jedermann“ auswendig? Da bin ich wahrscheinlich einer der ganz Wenigen.
Der Text ist ja das eine, aber die Inszenierung ist das andere. Hatten Sie die vorher gesehen?
HOCHMAIR: Nein, nie. Das war wie ein Wunder, wie mich da alle durch getragen und mitgewirkt haben, dass ich das tun konnte. Aber es war natürlich eine ganz andere Situation als heute, damals habe ich mich in ein gemachtes Bett geworfen. Es war ein toller, glücklicher, großartiger Abend für mich, der sich so auf das Publikum übertragen hat.
Was erwartet das Publikum in der neuen Inszenierung von Robert Carsen?
HOCHMAIR: Etwas ganz anderes, als bisher. Es wird eine moderne, zeitgenössische Auseinandersetzung und dadurch, dass Robert Carsen Kanadier und international tätig ist, gibt das diesem Stück einen ganz anderen Blick. Es wird umgesetzt wie ein modernes Drehbuch. Ich hätte das nie so lesen können, wie es Robert Carsen jetzt macht. Die Zusammenarbeit ist eine große Bereicherung für mich.
In ihrem Monolog „Jedermann Reloaded“ legen Sie den Jedermann als Partylöwen an. Wie ist es jetzt in Salzburg?
HOCHMAIR: In meinem Projekt ist die Figur ein Rockstar, der in seiner eigenen Show umkippt und den Tod noch um eine Stunde Leben bittet: Also der Performer Hochmair mit Band stellt sich dem Stück. So ist meine Setzung. Hier in dieser Inszenierung haben wir eine realistische, psychologische Situation. Das stellt sich nicht infrage.
Es wird gern vom Jedermann als Ihrer „Lebensrolle“ gesprochen. Wie kam es dazu?
HOCHMAIR: Ich habe hier in Salzburg mal als Schauspielschüler eine Inszenierung gesehen und war so enttäuscht: Ich konnte nicht verstehen, warum das so ein Erfolg ist. Gleichzeitig hat mich das Vakuum, das damals entstanden ist, neugierig gemacht. Als ich vor elf Jahren in Salzburg einen Monolog aufführen sollte, habe ich mich etwas größenwahnsinnig mit dem„Jedermann“-Monolog beworben. Das war der erste Schritt in diese „Jedermann“- Welt und ich habe anschließend feststellen müssen, dass die Beschäftigung mit diesem Stück noch nicht zu Ende ist. Damals habe ich die Band „Elektrohand Gottes“ gegründet und den Monolog „Jedermann Reloaded“ entwickelt. Es wurde ein großer Erfolg und immer größer, wir sind auf Tournee gegangen, haben in vielen Häusern gespielt. Dann kam mein Einspringen 2018 auf dem Domplatz und jetzt bin ich dieses Jahr der Jedermann. Mich hat also das Schicksal in diese Rolle hineingetrieben.
Und welche Bezüge zu sich selbst finden sie nun in dieser „Lebensrolle“? Als Schauspieler setzt man sich damit doch bestimmt auseinander.
HOCHMAIR: Das ist richtig, aber ich funktioniere anders. Ich lese einen Text und denke erst mal nicht über die Rolle nach. Mich hat der Text in seiner Absurdität, seiner Rhythmik und seiner komischen Form fasziniert. Warum ist dieser Text so eigenartig? Er ist aus dem Mittelalter und ein moderner Autor hat ihn für das Festival zu Ende geschrieben. Das ist ja an sich schon ein Stückwerk, eine uneindeutige Sache. Ich saß damals als Schauspielschüler auf dem Domplatz und habe mich gefragt: Das soll Hofmannsthal sein, die reden ja in Rittersprache? Das hat mich alles so verwirrt, dass ich unbefriedigt rausging und an dieser Auseinandersetzung bin ich jetzt für die aktuelle Inszenierung wieder angelangt.
Die Rittersprache ist aber dieselbe geblieben. Wie wollen Sie es schaffen, dass nicht auch das Publikum heute so irritiert ist, wie Sie damals als Schauspielschüler?
HOCHMAIR: Bei „Jedermann Reloaded“ konnte ich das ganz gut entlarven, indem ich den Text als dramatisches Gedicht mit Rockmusik unterlegt habe und dadurch eine Basis hatte, wie man ihn ganz exaltiert in seiner Fremdheit respektieren kann.
Und in der Salzburger Inszenierung?
HOCHMAIR: Das ist die große Herausforderung für Robert Carsen. Ob es eingelöst wird, kann ich noch gar nicht sagen.
Sie haben eine große Passion für Literatur, insbesondere für die klassische. Was geben Ihnen diese Texte?
HOCHMAIR: Ich muss mir Literatur sehr schwer erkämpfen, weil ich eine Leseschwäche habe. Ein Text wie „Faust“ ist für mich wie die Besteigung eines Achttausenders, ein großes Gebirge, das ich mühsam und langsam besteigen muss. Das ist schwer erarbeitetes Terrain, das ich auch nicht so schnell wieder hergeben möchte. So entstehen Aufführungen, die mich eine lange Zeit begleiten, wie zum Beispiel Goethes „Werther“, den ich seit 27 Jahren als Monolog spiele: Ich habe noch nie eine Vorstellung gegeben, auf die ich keine Lust hatte. Goethe hat mit diesem Text eine Wort-Welt erschaffen, die so tiefgründig und so differenziert ist, dass das für mich noch lange nicht ausgeleuchtet ist. Ich entdecke immer wieder neue Sätze, neue Aspekte, die geistiges Futter sind. Ich denke, mit Literatur kann ich die Welt besser ertragen und Türen aufschließen in eine andere Dimension.
Spüren Sie eigentlich nach den begeisterten Kritiken zu Ihrem Einspringen als Jedermann eine besondere Erwartungshaltung für die aktuelle Inszenierung? Macht das Druck, weil nun jeder ebenso Großartiges wieder erwartet?
HOCHMAIR: Der baut sich vielleicht auf, aber den muss ich ja nicht annehmen. Ich bin in der aktuellen Inszenierung auch wieder Anfänger, muss eine neue Textfassung lernen, in einer ganz anderen Ästhetik spielen.
Sie sind sehr viel auch im Fernsehen zu sehen, etwa in Serien wie „Blind ermittelt“ oder „Vorstadtweiber“. Man hat den Eindruck, dass Sie wenig unterscheiden zwischen E- und U-Kultur. Wie sehen Sie „Jedermann“?
HOCHMAIR: „Jedermann“ ist für mich E-Kultur, wird aber von der U-Kultur benutzt, mit all dem Rummel, der drumherum eine Rolle spielt. Genauso sehe ich meine Welt auch. Ich rezitiere im „Schiller-Rave“ Schiller-Balladen, die ich mit Techno mische. Die sind ganz klar E, aber ich benutze U-Mittel um Schiller aktuell und interessant zu machen. Wenn man „Die Glocke“ mit Techno-Beats mischt, kann man ganz andere Leute begeistern als die, die es vor 50 Jahren in der Schule lernen mussten. „Vorstadtweiber“ war ein unglaublicher Erfolg und die Serie hat sicher dazu geführt, dass mehr Menschen ins Thalia Theater gekommen sind, um „Faust“ zu sehen, weil sie mich sehen wollten. Besser geht es gar nicht, und diese Wechselwirkung interessiert mich. Als ich noch Schauspielschüler war, hieß es, dass Fernsehen keine Kultur ist: Diese Zeiten haben sich geändert. Theater ist schwierig, Theater ist aufwendig, man muss sich Karten kaufen und weiß vorher nicht, was einen erwartet. Warum sollte man sich bewegen, wenn man alles im Internet anschauen kann? Aber genau das gehört mit zur Arbeit des Schauspielers: den Leuten die Scheu zu nehmen, um eben diesen Aufwand auf sich zu nehmen.
Philipp Hochmair, geboren am 16. Oktober 1973 in Wien, studierte Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar in Wien sowie am CNSAD in Paris. Er war Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater und am Hamburger Thalia Theater, mittlerweile konzentriert er sich auf Solo-Abende, in denen er Klassiker der Literatur von einer neuen Seite zeigt. Einem breiteren Publikum ist er aus Film und Fernsehen bekannt, für die Darstellung des Reinhard Heydrich in dem ZDF-Film „Die Wannseekonferenz“ erhielt er einen Grimme-Preis.
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