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Interview: Opernsängerin Simone Kermes: "Hartz IV, das geht gar nicht"

Interview

Opernsängerin Simone Kermes: "Hartz IV, das geht gar nicht"

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    Ohne Tugend geht es nicht, aber manchmal kann auch Sünde „etwas Süßes“ sein: Sopranistin Simone Kermes.
    Ohne Tugend geht es nicht, aber manchmal kann auch Sünde „etwas Süßes“ sein: Sopranistin Simone Kermes. Foto: Dirk Bleicker

    Frau Kermes, am 27. September treten Sie in Augsburg auf. Geht es für Sie nach dem Corona-geprägten Sommerhalbjahr jetzt wieder richtig los mit Konzerten?

    Simone Kermes: In den vergangenen Monaten gab es immer wieder mal das ein oder andere zu tun. Das Wichtigste war eine eigenproduzierte Aufnahme mit meinem Theorbe-Spieler. Wir haben Lieder aufgenommen, die unsere Corona-Gefühle nachzeichnen, zum Beispiel ist „Einsamkeit“ oder „Der Mond ist aufgegangen“ dabei. Auch in Warschau war ich für eine CD-Produktion eingeladen. Ein paar Liederabende habe ich auch gemacht, und gerade erst bin ich in Dresden gewesen, wo ich für die Internetplattform Dreamstage ein Livekonzert gegeben habe. In den nächsten Wochen werde ich vor allem nachholen, was in den vergangenen Monaten ausgefallen ist.

    Keine ganz katastrophale Bilanz.

    Kermes: Also, so richtig losgehen? Niemand weiß, was die nächste Zeit bringen wird. Die Veranstalter sind besorgt, dass das Publikum nicht in die Konzerte kommt, tatsächlich habe ich Entsprechendes schon aus Dresden und Köln gehört. Das macht mir Angst.

    Nach wie vor ist der Kulturbetrieb stark eingeschränkt, generiert empfindlich weniger Einnahmen. Wie lange kommen Sie als soloselbstständige Künstlerin über die Runden, wenn es so weitergeht?

    Kermes: Man hat sich natürlich ein bisschen was angespart. Einen Fonds, der eigentlich für die Rente gedacht war, habe ich aufgelöst. Davon lebe ich jetzt zum Teil, und auch von anderen gesparten Sachen. Laut Kulturstaatsministerin Grütters sollen Künstler, wenn sie gar nichts mehr haben, Harz IV beantragen, aber ich finde, das geht gar nicht. Eher werde ich aus Berlin wegziehen, meine Wohnung hier ist ziemlich teuer. Vielleicht muss man auch schauen, ob man einen anderen Job machen kann …

    Überlegen Sie sich das tatsächlich?

    Kermes: Zusammen mit meiner Tochter habe ich mich schon ein bisschen umgesehen und dabei festgestellt, dass das momentan viele tun und dass es gar nicht so einfach wäre, etwas zu finden. Ein Lokal zu kaufen wäre schwierig, das ist alles sehr teuer. Also haben wir andere Konzepte durchgespielt, etwa in einem Truck zu kochen und Suppe anzubieten oder Cocktails. Im Hinterkopf habe ich natürlich auch, in meinem angestammten Beruf als Sängerin zu unterrichten. Ich träume von einer eigenen Akademie irgendwo im Grünen für Künstler, Philosophen, Studenten, Köche, alles, was kreativ ist. Aber das ist etwas, was man nicht in erster Linie machen will, denn man steht ja noch im Saft und hat für seinen Sängerberuf viele Ideen.

    Ihr jüngstes Album „Inferno e Paradiso“ erschien im Februar. Die geplante sich anschließende Konzerttournee geriet voll in die Zeit des Lockdowns.

    Kermes: Als die Platte erschien, gab es super Kritiken, und ich habe mich wahnsinnig darauf gefreut, das Programm zusammen mit meinem Orchester live vorzustellen. Die Vorbereitung war intensiv gewesen, ich hatte an der Moderation für die Auftritte gearbeitet und mir mehrere neue Outfits zugelegt. Und exakt, als das erste Konzert am 15. März in Berlin stattfinden sollte, kam der Lockdown. Da bin ich in ein Loch gefallen, weil ich die künstlerische Arbeit, die ich drei Jahre lang getan hatte, nicht darbieten konnte.

    Für extravagante Outfits hat Simone Kermes ein Faible.
    Für extravagante Outfits hat Simone Kermes ein Faible. Foto: Dirk Bleicker

    „Inferno e Paradiso“ enthält barocke Arien, die Sie in Zusammenhang setzen mit den sieben Todsünden und den sieben Kardinaltugenden. Im Booklet stellen Sie einen Bezug her zur Schieflage, in welche die Welt geraten ist. Welche der großen Tugenden halten Sie für die am dringendsten gebotene?

    Kermes: Ganz wichtig: Mäßigung. Maß zu halten. Man muss immer die Mitte finden, was nicht ausschließt, dass man mal über die Stränge schlagen kann. Auf das rechte Maß zu achten heißt auch nicht, in Lethargie zu verfallen, das wäre das Falsche, wäre schon eine Sünde. Diese Tugend des Maßhaltens steht für mich über allen anderen, von ihr leiten sich die übrigen Tugenden ab.

    "Klassik ist nicht das alleinige Heilige"

    Auf „Inferno e Paradiso“ finden sich neben originaler Barockmusik auch einige Pop- und Rocksongs und sogar ein Schlager, allesamt in barocken Arrangements. Puristen dürften sich da mit Grausen wenden.

    Kermes: Sie sagen es, die Songs sind vom Komponisten Jarkko Riihimäki im Stil des Barock arrangiert. Barock ist die Basis aller Musik – wenn man das kapiert hat, kann man alles machen. Wenn ich mir etwa einen großen heutigen Künstler wie Sting anschaue, dann weiß ich, dass er seine Wurzeln in der klassischen Musik hat. Die Klassik und die Musik von Sting sind gar nicht weit voneinander entfernt. Das wollte ich zeigen. Bach wird so oft verjazzt, aber auch umgekehrt kann man die großen Musiker von heute in die vergangene Zeit zurückführen. Sie sind genauso Genies wie die alten Meister. Wir müssen aufhören, in Schubladen zu denken und die Klassik als das allein existierende Heilige zu verstehen.

    Erklären Sie bitte, was Ihnen als Opernsängerin an Udo Jürgens’ „Aber bitte mit Sahne“ gefällt.

    Kermes: Beim Recherchieren für mein Album habe ich geschaut, was passt vom Text her zum Programm. Und dieser Schlager passt wie die Faust aufs Auge zur Sünde der Völlerei. Es ist ein lustiges Lied, unterhaltsam, extrem bekannt. Was ich da allerdings jetzt zu singen habe, nachdem mein Arrangeur das in barocke Form gebracht hat, das hätte der Udo Jürgens gar nicht singen können, so virtuos ist das. Aber ich weiß aus privater Quelle, er wollte immer Opern komponieren, nur war es ihm zu lang. Sicher ist „Aber bitte mit Sahne“ Unterhaltung, aber ich stehe voll dazu.

    Sie singen auch einen Song von Lady Gaga, und Sie selbst werden gar als „Lady Gaga der Klassik“ tituliert. Was verbindet Sie mit der Pop-Diva?

    Kermes: Spätestens seit dem Film „A Star is born“ ist sie für mich eine Wahnsinnskünstlerin, eine der ganz Großen. Nicht nur mit ihrer Musik. Auch wegen ihrer Ideen – ich denke da etwa an das Kostüm aus Fleisch und den Protest, der dahintersteckt. Ich bewundere Menschen, die den Mut haben, sich derart zu zeigen, und keine Angst haben, dafür kritisiert zu werden. Die Bezeichnung „Lady Gaga der Klassik“ stammt nicht von mir, das hat eine Boulevardzeitung mal so rausgehauen, und seither macht das die Runde. Ich gebe zu, dass diese Etikettierung für mich mit ein Grund war, einen Lady-Gaga-Song auf meiner Platte zu singen. Und „Poker Face“ ist auch eine wirklich tolle Nummer.

    "Die Wollust, ach ..."

    Und sehr eindeutig aufgeladen! Kommen wir noch einmal auf die Sünden und Tugenden zurück. Bei Gegensatzpaaren wie Habgier und Mildtätigkeit ist ja ziemlich klar, was zu befürworten ist und was nicht. Wie aber verhält es sich mit der Wollust und der Keuschheit, wo ist da Hui, wo Pfui?

    Kermes: Da tendiere ich eher zur Wollust als zur Keuschheit! Aber da sind wir wieder beim Maßhalten: Wenn es zu viel wird, ist keine von beiden gut. Auch die Keuschheit nicht, wie man durch die negativen Folgen bei den Religionen sehen kann. Andererseits kann die Reinheit als richtig verstandenes Sich-Aufbewahren auch etwas Großes sein. Und die Wollust, ach … die ist doch etwas Süßes. Die Menschen sind nun mal aus Fleisch und Blut. Was gibt es Schöneres als die Liebe?

    Zur Person: Die Sopranistin Simone Kermes gehört zu den gefragtesten Interpretinnen insbesondere des Barock- und Mozart-Repertoires. Zusammen mit der Bayerischen Kammerphilharmonie tritt sie am 27. September in Augsburg auf, um ihr Programm „Inferno e Paradiso“ vorzustellen, das neben Arien barocker Komponisten auch Songs von Lady Gaga, Led Zeppelin, Sting und Udo Jürgens enthält. Das Konzert in ev. Heilig Kreuz ist ausverkauft.

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