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Interview: "Der Traum von einem Baum": Maja Lunde beendet Klimaquartett

Interview

"Der Traum von einem Baum": Maja Lunde beendet Klimaquartett

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    Die norwegische Bestsellerautorin Maja Lunde hat ihr Klimaquartett abgeschlossen und spricht in Interview über Klimaproteste, radikale Schritte und Hoffnung.
    Die norwegische Bestsellerautorin Maja Lunde hat ihr Klimaquartett abgeschlossen und spricht in Interview über Klimaproteste, radikale Schritte und Hoffnung. Foto: Oda Berby

    Frau Lunde, mit „Der Traum von einem Baum“ ist der letzte Teil des Klimaquartetts erschienen. Es ist vollbracht. Wie geht es Ihnen jetzt?
    MAJA LUNDE: Ich fühle mich erleichtert. Das ist mein Hauptgefühl gerade. Schon so lange wusste ich, wie das letzte Kapitel des Buches aussehen wird und wie ich die verschiedenen Geschichten aus den anderen Büchern zusammenführe. Es zu schreiben war für mich sehr erlösend. Die vier Bücher waren so viel Arbeit, mehr als 2000 Seiten. Es gab Zeiten, da war das Schreiben emotional hart und auch das Recherchieren war heftig.

    Fehlt Ihnen etwas in der Alltagsroutine, wo Sie nun nicht mehr in die dystopische Welt ihrer Romane eintauchen?
    LUNDE: Ich habe immer mehrere Dinge gleichzeitig gemacht, die Bücher geschrieben, auch an Skripten für Film, Fernsehen und Theater oder an Kinderbüchern. Ich bin aber schon ein bisschen traurig, dass es nun zu Ende ist. Für so lange Zeit habe ich mich in der Welt des Klimaquartetts aufgehalten, musste mich mit dem schweren Thema Klimakollaps befassen, immer die aktuellsten Nachrichten über den Klimawandel und den Kollaps der Natur lesen. Es war hart, sich so lange mit dieser Materie zu beschäftigen. Eigentlich ist es gut, mal etwas anderes zu machen und andere Teile von mir zu Wort kommen zu lassen.

    Ihr jüngstes Buch handelt von einer Familie auf Spitzbergen, die sich zusammen mit ein paar anderen Menschen nach einem weltweiten Kollaps auf die Insel zurückgezogen und abgeschottet hat. Dann bricht sogar eine Epidemie aus. Hatten Sie die Idee schon vor der Pandemie gehabt?
    LUNDE: Ja, die Idee von einer Epidemie im vierten Teil hatte ich schon seit Jahren. Ich hatte bereits viele Bücher über Viren gelesen, die haben sich hier auf meinem Tisch gestapelt (sie zieht ein Buch über „Mikroterroristen“ aus dem Regal und hält es in die Computer-Kamera). Dann kam März 2020. Plötzlich war es sehr seltsam darüber zu schreiben. Ich wusste auf einmal aus eigener Erfahrung, wie sich das alles anfühlt, was ich da schildere. Während der ersten Wochen der Pandemie war es überhaupt sehr hart für mich, über die Fiktionen zu schreiben. Also habe ich das für eine Weile gelassen und stattdessen an einem Pandemie-Tagebuch gearbeitet, das inzwischen auch auf Deutsch erschienen ist. Das alles fühlte sich so unecht an. Besonders in den ersten Monaten. Ich hatte schon so viel über Epidemien gelesen und es kam mir vor, als befände ich mich in meiner eigenen Geschichte. Das war ein sehr seltsames Gefühl. Hinzu kam: Ich wusste durch meine Recherchen für Teil vier schon so viel mehr über Viren als alle anderen in meinem Umfeld und machte mir große Sorgen wegen der langfristigen Konsequenzen. Als andere hoffnungsvoll sagten, das geht vorbei, wusste ich: Es dauert normalerweise zwei Jahre. Ich weiß nicht, ob es besser gewesen wäre, das alles nicht zu wissen während der Pandemie. Jedenfalls sah ich den Ernst der Lage sehr früh und war auch sehr besorgt darüber, was den Teenagern angetan wurde. Die Konsequenzen sehen viele erst heute. Für die Teenager war das Homeschooling sehr hart. Das hat sie sehr verändert.

    Als wir uns 2018 das letzte Mal getroffen hatten, erzählten Sie mir, dass Sie mit ihren Figuren mitfühlen, weinen, wenn sie weinen, lachen, wenn sie lachen. Sie befanden sich also so gesehen für Monate, ja sogar Jahre im größten Albtraum der Menschheit. Was tun Sie, um nicht zu verzweifeln?
    LUNDE: Ich hätte diese Bücher niemals schreiben können, wenn ich nicht durch und durch Optimistin wäre. Ich wurde schon als solche geboren. Ich war ein glückliches Kind und habe das Glas schon immer halb voll gesehen. Selbst für einen Optimisten ist es aber in diesen beunruhigenden Zeiten schwer, optimistisch zu bleiben. Dieses neue Gefühl der Verwundbarkeit kennen wir seit 2020, es ist nicht weggegangen: Krieg, Energiekrise, zunehmende Armut, Klima- und Naturkrise. Die Veränderung des Klimas ist auch in Europa schon zu spüren, Menschen leiden, in Spanien gibt es Wassermangel. Aber wir tun nicht genug, stattdessen beschuldigt jeder wen anders, nicht genug zu tun. Es ist hart, Optimist zu sein, wenn die Dinge so aussehen, wie sie nun sind. Aber wir sind gezwungen, Hoffnung zu haben – für unsere Kinder und Enkelkinder und all die Arten auf unserem Planeten. Jeder einzelne von uns hat eine große Verantwortung, als die stärkste Spezies auf dem Planeten nicht nur an uns selbst zu denken, sondern auch auf die anderen aufzupassen. Wir müssen die Verantwortung auch tragen.

    Im Moment gibt es in Deutschland die große Diskussion darüber, wie Häuser geheizt werden sollen. Die Bundesregierung möchte künftig den Neubau von Öl- und Gasheizungen verbieten. Was denken Sie über solche Schritte?
    LUNDE: Wir müssen radikale Schritte machen. Manche werden sich wirklich hart und unbequem anfühlen, manche Menschen werden damit auch hadern. Aber wenn wir diese Schritte nicht tun, dann kann ich Ihnen versprechen, wird es nicht nur unbequem, sondern extrem hart für alle. Wir müssen versuchen aufzuhören, über das Wenn und Aber dieser kleinen Schritte zu diskutieren. Alle diese kleinen Schritte werden uns in Zukunft helfen, auch wenn es sich momentan gerade schwer anfühlt.

    Denken Sie, Deutschland kann ein Vorbild für große Länder und Volkswirtschaften wie China und Indien sein?
    LUNDE: Natürlich. Die Welt ist wie ein Bienenstock, alles ist mit allem verbunden. Alles, was wir tun, hat Auswirkungen, selbst wenn es sich nur klein anfühlt. Wir unterschätzen das. Und noch etwas ist wichtig: Diese Maßnahmen geben uns Hoffnung. Handeln und Hoffen sind eng miteinander verbunden. Deswegen ist es wichtig, Hoffnung zu haben. Ohne Hoffnung hätten wir keine Notwendigkeit zu handeln.

    Im Klimaquartett geht es auch um das Bleiben oder Aufbrechen, darum, auf einen Wandel zu hoffen oder sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Sie sind im Team aufbrechen und verändern.
    LUNDE: Wir müssen uns verändern, und zwar radikal, auch dahin gehend, was wir als gutes Leben definieren. Lange Zeit bedeutete ein gutes Leben, dass man so viel Geld hat, um sich alles kaufen zu können, was man möchte. Ein gutes Leben und das Materielle waren miteinander verknüpft. Wir müssen uns aber endlich fragen, wie auch ein grünes Leben ein gutes Leben sein kann. Grüner essen zum Beispiel, weniger Fleisch. Oder mehr regionales Essen.Sie setzen sich dafür ein, dass Produkte aus der Region noch besser ankommenBocksberg Oder weniger fliegen, häufiger den Zug nehmen. Das sind Sachen, die wir alle privat tun können. Oder Gartenbesitzer können ihre Gärten ändern, nachhaltiger gestalten. Das haben mir so viele Menschen zurückgemeldet, nachdem sie „Die Geschichte der Bienen“ gelesen haben ...Bestsellerautorin Maja Lunde: „Ich schreibe gegen meine Ängste an“Interview

    ... Das waren ziemlich viele Menschen, „Die Geschichte der Bienen" war das meistverkaufte Buch des Jahres 2017 in Deutschland ...
    LUNDE: ... Gartenbesitzer haben mir erzählt, dass sie plötzlich Gemüse angepflanzt haben, sowie Pflanzen für Insekten.Sielenbach reaktiviert alte Sandgrube für neue InsektenSielenbach Wir sollten generell darüber nachdenken, wie wir den Raum vor unserer Tür sinnvoller nutzen. Auf viele kleine Schritte kommt es an. Und wir sollten alle auf uns selbst blicken und uns fragen, wie wir sein wollen, wie ich sein möchte, daheim und in meiner Nachbarschaft. Wir sind alle Vorbilder. Jeder blickt auf jeden. Was wir tun, wird immer von einem anderen gesehen und vielleicht kopiert. Das machen Menschen so, wir sind Rudelwesen. Alle kleinen HandlungenNeue Klimaschutzmanagerin: "Es kommt darauf an, dass jeder etwas tut"Weißenhorn sind Teil der Veränderung. Auch wichtig: Wenn Politiker spüren, dass das Volk einen großen Wandel wünscht, fühlen sie sich verpflichtet, das mutig zu unterstützen. Der Wandel muss von unten kommen, nicht von oben. Und noch wichtiger ist es: Mutige Politiker wählen, die gibt es da draußen, aber es braucht mehr.

    In "Der Traum von einem Baum" geht im Jahr 2111 eine der Protagonistinnen hart mit den im Moment lebenden Generationen ins Gericht, also mit uns. Weshalb wir so egoistisch gewesen seien, zu wenig für die künftigen Generationen und gegen den Kollaps der Natur getan haben. Wie stehen Sie zu den Klimaprotesten?
    LUNDE: Die Fridays for Future Bewegung gibt mir Hoffnung. Aber es macht mich auch traurig, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der unsere Kinder auf die Straße gehen müssen und protestieren, weil wir nicht genug tun. Das sollte nicht nötig sein. Ich möchte nicht über jede einzelne Maßnahme der KlimaprotesteMüssen Klima-Kleber ins Gefängnis?Straßenblockaden diskutieren. Es ist keine fruchtbare Diskussion, ob es falsch ist oder richtig, Farbe auf ein Kunstwerk zu schmieren oder sich auf dem Boden festzukleben. Es ist wichtiger zu fragen: Woher kommt die Frustration und Verzweiflung? Wie können wir diese Frustration stoppen? 

    Was tun Sie persönlich dagegen?
    LUNDE: Ich esse grüner, kaufe gebrauchte Sachen, fliege viel weniger als früher. Und ich schreibe Bücher. Ich bin eine Autorin. Wenn die Bücher fertig und veröffentlicht sind, dann öffnen sie Türen und geben mir eine Stimme. Ich versuche, diese Stimme richtig zu nutzen und über diese Themen zu sprechen. Ich bin auch eine Aktivistin. 

    Das Klima-Quartett ist erschienen. Aber ist das wirklich das Ende Ihrer großen Dystopie? 
    LUNDE: Das fragen mich gerade viele Menschen. Was denken Sie? 

    Ich würde mich über eine Fortsetzung freuen, genug Stoff gäbe es ja. 
    LUNDE: Ich habe gerade viele Projekte am Laufen und kann Ihnen versichern: Alle meine Bücher werden von Menschen, Natur, der Beziehung von Eltern und Kindern handeln. Aber das QuartettMaja Lunde und „Die Letzten ihrer Art“Buchkritik ist abgeschlossen. 

    Und nun? 
    LUNDE: Nach „Die Geschichte der Bienen“ habe ich 2015 einen Roman begonnen, den ich nicht zu Ende geschrieben habe. Das Buch möchte ich nun fertigstellen. Es ist mal etwas komplett anderes und das Schreiben macht mir momentan großen Spaß. 

    Worum wird es gehen? 
    LUNDE: Ich kann nicht zu viel sagen, es kommt schon diesen Herbst in Norwegen raus, aber es dreht sich um Mensch und Natur, Eltern und Kinder, und um den Tod. Ja, es ist ein Buch über den Tod. Ähnliche Themen wie im KlimaquartettWenn das Wasser knapp wird …Bestseller, das aber in der Zukunft spielt und realistisch ist. Der neue Roman wird anders. 

    Und wann wird „Die Geschichte der Bienen“ verfilmt? 
    LUNDE: Ich arbeite gerade an der Serie, aber ich darf noch nicht viel verraten darüber. Wenn das Buch verfilmt wird, dann aber als Serie. 

    Zur Person

    Maja Lunde, 47, wurde mit ihrem Debütroman „Die Geschichte der Bienen“ berühmt, dem ersten Teil des Klimaquartetts. Es folgten „Die Geschichte des Wassers“, „Die letzten ihrer Art“ und nun „Der Traum von einem Baum“ (alle vier Teile sind bei btb erschienen). Weltweit mehr als vier Millionen Menschen haben die Bücher der Norwegerin gelesen, in denen es um die Klimakrise geht. Die dreifache Mutter lebt mit ihrer Familie nahe Oslo.

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