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Interview: Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy: "Wir sind von Kamerun umgeben"

Interview

Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy: "Wir sind von Kamerun umgeben"

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    Eine Trommel aus Kamerun, die die Form eines Fantasietieres hat, ist im Humboldt Forum ausgestellt.
    Eine Trommel aus Kamerun, die die Form eines Fantasietieres hat, ist im Humboldt Forum ausgestellt. Foto: Jörg Carstensen/dpa

    Frau Savoy, Sie haben den Expertenrat des Berliner Humboldtforums 2017 verlassen mit dem Hinweis, das Humboldtforum sei von einer Bleidecke umgeben wie Tschernobyl. Hat sich an dieser Meinung nun, da das Humboldtforum seit 2021 eröffnet ist, etwas geändert?
    BÉNÉDICTE SAVOY: Was sich nicht geändert hat ist meine Überzeugung, dass die Entscheidung 2017 richtig war. Es war damals unmöglich, innerhalb der Institution ein Bewusstsein zu schaffen, dass etwas aus der Geschichte der Sammlungen zur Sprache kommen müsste. Es hat sich insofern etwas verändert, als das Humboldtforum unter dem Druck der Universität, der Zivilgesellschaft und der Presse anerkennen musste, dass das Publikum ein Interesse daran hat zu wissen, wie die Dinge nach Berlin gekommen sind. Nämlich, wenn sie aus Afrika sind, unter sehr militärischen Umständen im Rahmen der „Eroberung“ des Kontinents, bei der die sogenannte Schutztruppe, die aber Militär war, viele Menschen getötet, Dörfer und Paläste zerstört und dann die Kulturgüter mitgenommen hat. Diese Geschichte hat das Humboldtforum nun teilweise aufgeschrieben. Die Transparenz ist also jetzt da, und die Erkenntnisse sind viel schrecklicher, als man es sich vorstellen konnte. Was aber noch nicht gelungen ist, ist die Balance zu finden, diese ausgesprochen eindrucksvollen Objekten zu zeigen und gleichzeitig darzustellen, dass es Monumente für die verbrannten Dörfer sind. Ich sehe mit den menschengroßen Statuen, den riesigen geschnitzten Trommeln, den perlenverzierten Pfeifen nur noch die Erinnerung an die Kolonialkriege, sie wirken wie Geiseln dieser schrecklichen Geschichte und können sich gar nicht richtig entfalten. Dadurch sind sie doppelt umsonst da.

    Was treibt Sie an, die historischen Hintergründe von Kulturgütern offen legen zu wollen?
    SAVOY: Zunächst ein Interesse für Familiengeheimnisse. Bei jedem Familiengeheimnis, das weiß man, gibt es dicke Luft, etwas funktioniert nicht. Mich treibt das Bedürfnis nach radikaler Transparenz an, denn wenn die Dinge einmal gesagt sind, dann kann man mit ihnen viel besser umgehen.

    Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy an der Universität Augsburg. Bild: Michael Hochgemuth
    Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy an der Universität Augsburg. Bild: Michael Hochgemuth Foto: Michael Hochgemuth

    Im vergangenen Jahr haben Sie den „Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland“ herausgebracht. Sie haben festgestellt, dass in 45 deutschen Museen über 40.000 Objekte aus Kamerun, das von 1884 bis 1919 deutsche Kolonie war, lagern. Ist es nur diese große Menge, die Sie erschüttert hat? 
    SAVOY: Das ganze Projekt war lebensverändernd für mich. Ich habe es nicht alleine durchgeführt, sondern mit Kollegen und Kolleginnen der Universität in Dschang, Auslandsgermanisten wie ich auch. Kamerun war deutsche Kolonie für etwa 30 Jahre, und dann viel länger französische und britische Kolonie. Wir wussten, dass in Paris 8000 Inventarnummern aus Kamerun sind, in London 1400, und wir dachten, wir finden in Deutschenland ca. 10.000, schließlich hatten sich die Deutschen als Erste bedient. Jetzt sind es 40.000 Stücke geworden – das ist fast so viel wie Frankreich aus ganz Afrika hat. Und fast nichts davon ist ausgestellt. Beides war ein Schock, aber es gab auch eine ganz andere Ungeheuerlichkeit, die uns schockiert hat.

    Was meinen Sie?
    SAVOY: Was uns wirklich tief erschüttert hat, waren die verstörenden Militärberichte im Bundesarchiv, die wir als erste Leser auswerteten. Da mussten wir uns durch die Berichte über eine Unzahl von Toten, Massenvergewaltigungen und abscheuliche Kriegsverbrechen durcharbeiten, bis wir zu der Aufstellung der Kulturgüter kamen, die nach diesen Verbrechen mitgenommen wurden. Das war oft kaum auszuhalten, vor allem für die Kolleginnen und Kollegen, die diese Dörfer kennen, in denen es passierte. Wir waren irgendwann alle am Rande des Burnouts und mussten immer wieder Pausen einlegen. Umso größer ist die Freude, dass unsere Arbeit enorme Wirkung gezeigt hat. Die Bundesregierung und deutsche Museen arbeiten nun eng mit einer Kommission für Restitution in Kamerun zusammen. 

    Was ist Ihnen wichtiger, dass die Kulturgüter an Kamerun zurückgegeben werden oder dass sie in Deutschland endlich gezeigt werden?
    SAVOY: Beides. Es werden niemals 40.000 Objekte nach Kamerun zurückgehen, es wird immer viel hierbleiben. In Berlin haben wir 5000 Stücke aus Kamerun, nur ungefähr 150 sind ausgestellt, also sehr wenig. Wir sind umgeben von Kamerun und wissen es nicht. Wir müssen ein Bewusstsein dafür bekommen, wie viel hier ist und dass wir es sehen können und erklärt bekommen, wie es hierher gekommen ist und warum, für wen, zu welchem Zweck es heute hier bleiben soll. Das ist überhaupt die entscheidende Frage dabei. Gleichzeitig gibt es in Kamerun ein riesiges Bedürfnis, der eigenen Geschichte habhaft zu werden, aber es gibt kein Anschauungsmaterial dafür. 

    Ist es eine Frage der Moral oder der Kunstgeschichte, dass wir wissen sollten, woher die afrikanischen Exponate stammen und wie sie hierher kamen?
    SAVOY: Es ist eine Frage unserer eigenen Identität als Europäerinnen und Europäer. Europa hat sich lange Zeit durch Kriege, durch Imperialismus und viel Geld sehr viel angeeignet und wir profitieren davon sehr. Ich gehe sehr gern ins Museum, aber mir ist genauso wichtig, zu wissen, wo die Sachen fehlen. Es hat natürlich auch mit Moral zu tun, mit Fragen wie „Woher kommen wir?“ „Woher kommt unser Luxus?“ „Um welchen Preis wollen wir ihn genießen?“. Dass man darüber spricht und es weiß, scheint mir extrem wichtig. Nicht im Sinne einer Moralkeule, sondern im Sinne der besseren Kenntnis unserer eigenen Geschichte. Wir erfahren ja auch, wenn wir zu Ikea gehen, woher das Holz für die Regale kommt, oder schauen auf dem Etikett, ob der Kaffee fair gehandelt wurde. Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dies für Konsumgüter zu fordern und für Kulturgüter sollte es ebenso sein.

    Zur Person

    Bénédicte Savoy, geboren 1972 in Paris, ist Kunsthistorikerin. Sie ist Professorin für Kunstgeschichte der Moderne an der Technischen Universität Berlin. Savoy gilt als Expertin für die Translokation von Kulturgütern bzw. des Kunstraubs aus ehemaligen Kolonien in europäische Museen. Im Auftrag des französischen Präsidenten Emmanuel Macron untersuchte sie mit dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr die Möglichkeit der Rückgabe von Kulturgütern französischer Museen an afrikanische Länder. Im Rahmen ihrer Internationalen Gastdozentur am Jakob-Fugger-Zentrum ist sie am 6. Juni um 18.30 Uhr Gast eines Podiumsgesprächs zum Thema "Afrikas Kampf um seine Kunst" im Hörsaal 1009, Gebäude H der Universität Augsburg.

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