Würde es Ihnen gegen den Strich gehen, wenn wir nicht über Corona, Klimakatastrophe und Autokraten sprechen, sondern über Ihre Überzeugungen und Ihre Kunst?
Markus Lüpertz: Ja. Nur. Ausschließlich. Finde ich wunderbar.
Jüngst erklärten Sie, Sie seien noch nicht da, wo Sie hinwollen, und hätten noch nicht gemacht, was Sie letztlich wollten. Das klingt nach eher mittel- bis langfristiger Lebensplanung …
Lüpertz: … langfristiger, langfristiger, langfristiger Lebensplanung …
Wo wollen Sie denn langfristig hin, was wollen Sie letztlich?
Lüpertz: Sehen Sie mal: Die europäische Kultur lebt vom Scheitern. Das ist ihr Ziel. Aber es kommt auf das Niveau an, auf dem man scheitert. Und das ist eine Sehnsucht, ein Ideal, das man nur selbst definieren kann. Ob man das erreichen wird, das weiß man nicht. Aber es gibt das ewige Streben danach. Und das wird sich in meiner Kunst zeigen. Wahrscheinlich wird man mit diesem ewigen Streben auch von dannen gehen. Wir leben von dem Glauben, das Beste zu machen und zu wollen. Man hat eine permanente Unruhe seinen Leistungen gegenüber.
Lüpertz inszeniert zum ersten Mal eine Oper
Werfen wir einen Blick zunächst in Ihre nähere Zukunft: In der kommenden Spielzeit werden Sie erstmals eine Oper inszenieren – und auch ausstatten: Puccinis „La Bohème“ am Theater Meiningen unter dem dann neuen Intendanten Jens Neundorff. Wie kam es dazu?
Lüpertz: Ich habe 2018 für Jens Neundorff, der damals in Regensburg Intendant war, schon eine Oper ausgestattet: Martin y Solers „Una cosa rara“. Das ist erstaunlicherweise sehr gut angekommen, sodass ich jetzt hoffentlich erstmals mit eigener Regie „La Bohème“ triumphal zu einer Lösung führen kann. Wissen Sie, ich habe ja Probleme mit diesen Opern-Inszenierungen voller Foto, Film, Realismus. Ich finde, eine Bühne muss künstlich sein, sie muss wackeln, sie muss klappern, da muss mal eine Kulisse umfallen. Und die Kostüme sollten nicht Zeitbezüge haben, sondern der Fantasie eines Künstlers entspringen.
Und wieso speziell „La Bohème“?
Lüpertz: Jens Neundorff hat mir Angebote aus dem kommenden Spielplan gemacht – und als gebürtiger Böhme habe ich gesagt, ja selbstverständlich mache ich „La Bohème“. Außerdem bin ich ein großer Puccini-Fan. Er hat die Oper geschrieben, die ich auch gerne geschrieben hätte.
Künstler Lüpertz: "Wenn Wagner, dann nur in Bayreuth"
Und was war für Sie als ein Bohémien noch im Angebot?
Lüpertz: Es gab auch Richard Wagner im Programm. Aber da gilt: Wenn Wagner, dann nur in Bayreuth.
Als regelmäßiger Festspielbesucher in Salzburg und Bayreuth wissen Sie ja, wie schwer es ist, gute Personenregie zu führen. Haben Sie da keinen Bammel?
Lüpertz: Nein, weil ich ja ein Maler bin. Ich sehe das aus der Sicht des Malers. Die Oper war von Puccini genannt: Aufzug in vier Bildern. Und ich bin für diese vier Bilder zuständig. Sie werden auf vier Bilder gucken. Bei den Personen müssen Sie sich das so vorstellen: Das sind sich knapp bewegende Figuren, die immer in Idealposition stehen, um zu singen. Das Publikum schaut auf Bilder, da ist nicht viel drauf los. Die Bewegung müssen Sie schon mit Ihrer Fantasie vollenden. Das ist ein Experiment, das ich habe. Ich weiß ja nicht, ob es klappt.
Lüpertz: "Das einzige Erfreuliche, ist der Respekt von und die Freundschaft mit meinen Kollegen"
Blicken wir mal zurück, aber lassen wir das Wort „Stolz“. Über welche persönliche künstlerische Leistung der letzten 50 Jahre empfinden Sie die größte Freude? Oder anders gefragt: Bei welchem Werk aus Ihrer Hand würde es Sie am meisten schmerzen, wenn es die Nachwelt vergessen würde?
Lüpertz: Das kann ich nicht beurteilen, das werde ich auch nicht beantworten. Das einzige Erfreuliche, was ich sagen kann, das einzige Erfreuliche, das ich spontan anführe, ist der Respekt von und die Freundschaft mit meinen Kollegen in dieser Zeit. Es gibt ja nur einen wirklichen Ruhm, und das sind der Respekt und die Achtung der Kollegen. Dann haben Sie ungefähr die Gewissheit, dass Sie in irgendeiner Weise weiterleben.
Das war die Freude, kommen wir zum Ärger. Was in Ihrem künstlerischen und/oder persönlichen Lebenslauf würden Sie heute – im Rückblick – am liebsten ungeschehen machen?
Lüpertz: Alle Kritiken über mich.
Lüpertz im Interview: "Medea spukt mir gerade im Kopf herum"
Sie haben eine Philosophin für Berlin geschaffen sowie eine Aphrodite für Augsburg, Sie haben um Paris drei Grazien geschaffen und dazu sechs Tugenden. Hätten auch Kassandra und die Rachegöttin Nemesis für Sie antik-klassische Motive sein können?
Lüpertz: Medea spukt mir gerade im Kopf herum. Wir werden sehen. Vielleicht entwickelt sich Medea auch zu den anderen beiden. Wissen Sie, die Titel der Figuren, die ich mache, oder auch ein Thema, das ich bearbeite, ist ein Anlass. Irgendwann dann fängt die Skulptur selbst an zu sprechen. Und dann erzählt sie Ihnen was – und wie sie aussehen will. Und dann kann die Skulptur plötzlich ein ganz anderes Thema werden.
Das waren die Frauen. Kommen wir zu den Männern. Da gibt es Beethoven in Bonn und Leipzig, Mozart in Salzburg. Wäre für Sie als Musikliebhaber auch Brahms in Hamburg etwas?
Lüpertz: Jetzt ist erst einmal Robert Schumann für Düsseldorf im Gespräch, der Ort der Schumann-Gesellschaft. Ich versuche die Musik, das Weibliche, das Musische, das Poetische in irgendeiner Form in eine Figur zu packen.
Lüpertz: "Ich weiß nicht, was Alter ist"
Was meinen Sie, worin sind Sie altersmilde geworden, worin altersscharf?
Lüpertz: Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, was Alter ist.
Man kann ja sagen, dass Sie gerade mit Ihren Plastiken häufig angeeckt sind. Hat das Ihrer Meinung nach nur etwas mit sich selbstverständlich wandelnden Schönheitsidealen zu tun oder mit mehr?
Lüpertz: Die Bildende Kunst hat ja eine Entwicklung durchgemacht. Aber wenn Sie keine Vergleiche anstellen können und wenn Sie das Wissen von Vergleichen nicht haben, wenn Sie also die Entwicklung nicht nachvollziehen können, ist alles, was in der Malerei und in der Bildenden Kunst passiert, für Sie unverständlich. Und dann bleiben Sie an den Äußerlichkeiten hängen. Wir haben ja im Moment eine gigantische Verblödung, was die Bildende Kunst betrifft – und das geht bis hin zur Literatur. Letztens habe ich gelesen, dass man über Marcel Proust und seinen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ einen Comic macht. Man nimmt Ihnen also, wenn Sie das anschauen, noch die Vorstellung einer Fantasie. Das, was im Kopf passieren muss, wird auch noch geliefert. Wir sind als Künstler, da wir von Gott kommen und der liebe Gott uns ja gesagt hat, wir sollen die Welt gestalten oder erklären – wir sind als Künstler am Verdämmern. Die Bildung und Schulung ist nicht mehr da.
Aus dieser Einschätzung spricht jetzt schon ein wenig Altersschärfe. Aber zum Schluss zu den letzten Dingen: Sie sind zum Katholizismus konvertiert, wie halten Sie es mit dem Glauben rund um Ihren 80. Geburtstag? Oder ist diese Frage zu intim?
Lüpertz: Nein. Man kann natürlich glaubenslos leben, aber man kann auch mit Glauben leben. Beides ist einem persönlich überlassen. Also wenn ich bezüglich der Vorstellung meines Todes und der Ewigkeit, die daraus folgt, den Glauben an eine gewisse Zukunft habe, ist das doch angenehmer, als wenn man in ein Nirwana verfällt. Der Tod ist eigentlich keine Diskussion wert.
Zur Person: Der Künstler Markus Lüpertz wurde am 25. April 1941 in Reichenberg geboren, dem heutigen Liberec in Tschechien. 1970 Stipendiat der Villa Romana Florenz. 1974 Professor für Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. 1986 Professor, ’88 Rektor der Kunstakademie Düsseldorf. Lüpertz hatte rund um die Jahrtausendwende mit Zustimmung des Augsburger Stadtrats die Skulptur „Aphrodite“ geschaffen – ein Geschenk der Verlegerin Ellinor Holland für den Platz vor St. Ulrich. Nach Protest und Umschwenken des Stadtrats steht die „Aphrodite“ heute vor dem Verlagshaus der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Derzeit arbeitet Lüpertz an der Ausgestaltung von sieben U-Bahn-Stationen in Karlsruhe.
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