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Interview: Jazzer Götz Alsmann: "Musik muss mich erotisieren"

Interview

Jazzer Götz Alsmann: "Musik muss mich erotisieren"

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    „Jazz schenkt Freiheit“, sagt der Musiker und Entertainer Götz Alsmann.
    „Jazz schenkt Freiheit“, sagt der Musiker und Entertainer Götz Alsmann. Foto: Ben Knabe, WDR

    Lieber Herr Alsmann, Sie produzieren einen neuen Podcast. Die gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Warum wartet die Welt gerade noch auf den Ihren?

    Götz Alsmann: Kommt etwas Neues, machen es alle nach. Egal ob Tonträger, Musik und Fernsehproduktionen, literarische Hervorbringungen oder teilweise überflüssige Produkte der Herrenoberbekleidung. Und doch versucht jeder, seinen Fuß in die Tür zu kriegen. Der WDR, für den ich seit Jahrzehnten Jazzsendungen mache, hat in Karsten Mützelfeldt mit der Produktion Giant steps schon sehr lange einen hervorragenden Podcaster, der die wichtigsten Alben der Jazzgeschichte vorstellt. Ich bilde sozusagen das Gegengewicht, indem ich die vermeintlich unwichtigsten Alben des Jazz vorstelle.

    In „Der geheime Garten des Jazz“ berichten Sie über völlig unbekannte Jazz-Stücke. Pro Folge stellen Sie ein Album vor und erzählen Anekdoten und Legenden drumherum. Wie darf man sich das vorstellen?

    Alsmann: Na ja, ich packe hinein, was in 15 Minuten halt reinpasst. Es geht z.B. um eine Langspielplatte, die vielleicht von einem Plattenlabel stammt, das so gut wie keinen Vertrieb hatte. Oder um ein Album von einem, der es herausgebracht hat, um es bei seinen Liveauftritten an der örtlichen Cocktailbar zu verkaufen: Auflage 500. Dann stirbt dieser Künstler und seine Erben finden in der Garage noch 490 Alben original verpackt. Oder es ist ein Debüt von einem später bekannt gewordenen Künstler, der aber seine ersten Schritte schamhaft verschwiegen hat. Auf solche Sachen kann man sich freuen.

    Nach welchen Kriterien gehen Sie vor?

    Alsmann: Erstens Rarität und zweitens Gefallen – und umgekehrt. Das muss nicht heißen, dass es immer auf höchst meisterlichem Niveau ist. Aber es sollte originell sein, sollte gute Ideen haben und darf auch gerne skurril sein. Es beginnt im Jahr 1950, weil da das Zeitalter der Langspielplatte losgeht und es darf bis in die 70er Jahre reichen. Alle Bereiche, von Bossa bis Boogie Woogie, von Be Bop bis Latin Jazz oder Exotika samt Oriental Jazz können erfasst werden. Alles ist möglich!

    Wie sind Sie denn auf diesen Dreh gekommen? Wollten Sie einfach mal gegen den Strom schwimmen?

    Alsmann: Na ja, ich bin Sammler und bestücke meine wöchentlichen Sendungen, die ich seit 1985 für den WDR mache, grundsätzlich nur mit eigenen Platten. Ich habe tausende Sendungen mit Bordmitteln bestritten. Da bot sich das Thema geradezu an.

    Bordmittel ist gut. Haben Sie die Platten alle im Wohnzimmer?

    Alsmann: Zumindest zuhause. Es handelt sich um eine deutlich fünfstellige Zahl von Schallplatten in Vinyl oder Schellack. Die Sammlung habe ich seit den frühen 70er Jahren zusammengetragen. Manchmal löse ich auch Teile wieder auf, vertikutiere sozusagen. Denn eine Sammlung ist ja etwas anderes als nur ein Haufen. Man sollte sie wie den Kleider- oder Bücherschrank regelmäßig nach Fehlkäufen, Pleiten oder Monstrositäten durchforsten.

    Wie verlieren Sie da nicht den Überblick?

    Alsmann: Ich wühle mich immer wieder durch die Sammlung. Hilfreich ist da ein bibliothekartiges Ordnungssystem, das auf keinen Fall durchbrochen werden darf. Jeder, der bei mir eine Platte falsch einsortiert, fliegt raus und bekommt keine zweite Chance.

    Können Sie ein Beispiel für so ein unbekanntes Album geben?

    Alsmann: Na beispielsweise das Album, mit dem ich meinen Podcast beginne. John Plonsky, ein Trompeter, Jahrgang 1927. Er war schon als Teenager an der Westküste Amerikas aktiv, hat u.a. als Arrangeur für Frank Sinatra gearbeitet, in namhaften Kapellen mitgespielt und hat es dann nach New York geschafft. Mit Mitte 20 hat er sich aus der Festanstellung bei den Big Bands rausgewunden, wollte sich auf eigene Faust durchschlagen und war bis zu seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben ein immer gut gebuchter Musiker. Aber unter seinem eigenen Namen hat er nur ein Album herausgebracht. Und um das geht es.

    Wie heißt es?

    Alsmann: Es heißt „Cool Man Cool“ und fällt vor allem durch die ausgefallene Besetzung auf: Trompete, Baritonsaxophon, Bass, Schlagzeug und ein elektrisches Akkordeon.

    Das klingt in der Tat ungewöhnlich.

    Alsmann: Ja. Ein fantastisches Album, eines der besten Jazzalben der 50er Jahre. Aber es erschien bei dem Label Golden Crest, und das war eine Billig-Firma mit einem so breit gefächerten Programm, dass sie nicht vielseitig, sondern gesichtslos war. Die Firma hatte halbwegs erfolgreiche Singles, aber keine erfolgreichen LP’s.

    Sind da viele Alben darunter, die musikalisch großartig sind, die aber trotzdem kaum einer kennt?

    Alsmann: Ja, davon gibt es viele. Und ich werde einige davon vorstellen.

    Mal zu Ihnen. Sie sagen, „der Jazz war und ist meine Lebensmusik“. Warum er und nicht Rock oder Klassik?

    Alsmann: Ich habe mich natürlich auch für andere Musikrichtungen interessiert, vor allem Klassik, aber Rock und Pop spielten in meinem Leben keine allzu große Rolle. Mich hat das Gefühl des Jazz angesprochen, dieses swingende Element, diese Lässigkeit, dieses frei Mäandernde und gleichzeitig Präzise. Mir hat gefallen, dass den Arrangeuren des Jazz mit Notenpapier und Bleistift eigentlich die Welt gehört.

    Wann und wie haben Sie Jazz entdeckt?

    Alsmann: Ach, schon als Kind. Witzigerweise gab es damals im dritten Programm des WDR eine Sendung, die hieß „Die Jazzinformationen“ mit Dr. Dietrich Schulz-Köhn. Die habe ich geliebt. Und deren Erkennungsmelodie ist heute die Outro-Musik meiner wöchentlichen Samstagssendung.

    Wann ist Musik gut? Wenn Sie sich prima verkauft? Wenn Sie kompliziert zu spielen ist?

    Alsmann: Wenn’s nach mir geht: Sie muss mich persönlich erotisieren! Und manchmal kann auch Primitivität faszinierend sein.

    Das müssen Sie erklären.

    Alsmann: Na ja, bei mancher Rockabilly- oder Bluesplatte kann man ja von handwerklichem Können nicht unbedingt sprechen. Da ist es eher die Verve oder die Kaltschnäuzigkeit des Interpreten, einem so etwas überhaupt vorzulegen.

    Die Kids hören Pop, Hip Hop oder Rap. Welche Rolle spielt Jazz noch in der aktuellen Musik. Es gibt Leute, die sagen gehässig: Jazz ist Altherrenmusik. Was entgegnen Sie denen?

    Alsmann: Dass dieser Satz strunzdoof ist.

    Was ist das Spannende am Jazz und was unterscheidet ihn von den anderen Gattungen der Unterhaltungsmusik?

    Alsmann: Nichts und alles. Ich glaube, der Jazz schenkt im Idealfall den Beteiligten Freiheit. Für die Solisten bietet er die Möglichkeit, mit punktgenauen Improvisationen Duftmarken zu setzen. Und man erwartet vom Jazz nicht auf Anhieb Millionenverkäufe.

    In welcher Form hören Sie Musik neben Vinyl. Haben Sie auch Discs oder streamen Sie gar schon?

    Alsmann: Na ja, wir sollten nicht so tun, als wären CDs eine neue Sache. Die gibt es nun auch schon seit fast 40 Jahren und natürlich habe ich welche. Da mir aber Audiophilie nicht so wichtig ist wie der musikalische Gehalt, interessiere ich mich nicht für Technik.

    Was ist eigentlich Ihr Lieblings-Jazzstück?

    Alsmann: Mein Lieblingsjazzstück? Das ist schwer. Es gibt so viele, die ich liebe – je nach Biokurve und Stand der Gestirne, dem Magenzustand und sonstiger Befindlichkeit mag das schon mal wechseln. Und Alben? Al Browns „Madison Dance Party“ finde ich nahezu unschlagbar. Im Bossa Nova wäre mein Lieblingsalbum das erste von Joao Gilberto von 1958 oder die Gesangsgruppe Os Cariocas. Von Dizzy Gillespie sind es seine Platten auf seinem eigenen DeeGee-Label.… Aber Sie merken schon, das fächert sich gleich wieder auf. Ich bin, so glaube ich, zu tief drin, um das auf ein Stück oder ein Album reduzieren zu können.

    WDR3-Podcast "Der geheime Garten des Jazz" ab Montag, 3. Januar 2022, alle 14 Tage montags. Auf WDR3.de und in der ARD-Audiothek.

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