Sie haben nach dem Corona-Lockdown wieder angefangen zu drehen, mussten dafür in Ihrem Hotelzimmer in Quarantäne gehen. Was für ein Gefühl war das?
Iris Berben: Ich hatte noch nie so eine Erfahrung gemacht, aber ich konnte das ganz gut. Ich weiß, wie rational man sich verhalten muss und wie wenig das nützt, emotional Energien zu verschleudern. Ich habe einfach daran gedacht, wie gerne ich wieder arbeiten möchte. Und es hat ja auch was für sich, sich von anderen Dingen abzuschotten und total auf den Dreh zu konzentrieren.
Und auf Ihren 70. Geburtstag am 12. August.
Berben: Meinen Geburtstag feiere ich diesmal nicht. Das ist der Situation und dem Team geschuldet, weil wir alle dieselben Voraussetzungen haben sollen. Ich habe an dem Tag frei, und wenn ich Glück habe, bekomme ich Besuch. Aber ich werde den Geburtstag nicht so zelebrieren, wie ich es normalerweise gerne gemacht hätte. Wenn sich irgendwann eine Möglichkeit gibt, dann werde ich das Leben weiterfeiern.
"Es ist Teil meines Wesens, neugierig zu sein"
Zelebriert wird auf jeden Fall Ihre Karriere – in zwei TV-Movies, „Nicht tot zu kriegen“ am heutigen Montag im ZDF und „Mein „Altweibersommer“ am Mittwoch in der ARD. Aber bestand je Gefahr, dass diese zum Einschlafen kommt?
Berben: Es gab Zeiten, wo ich das Gefühl hatte, ich kriege nichts mehr, was mich weiterbringt. Ich treffe nicht mehr auf die Menschen, die mich ziehen oder schubsen oder herausfordern.
Was war der Grund?
Berben: Das war mir auch selbst ein bisschen geschuldet. In den 80ern und 90ern hatte ich eine Phase, da war ich ein bisschen bequem geworden und habe mich nicht mehr so gekümmert. Das Gefühl, das von außen herangetragen wurde, war: Macht sie noch einen Film? Und wenn ja, unterscheidet der sich von den anderen?
Wie kamen Sie aus dieser kritischen Phase wieder heraus?
Berben: Ein entscheidender Grund war meine eigene Neugier, in Verbindung mit meinem Willen. Es ist Teil meines Wesens, neugierig zu sein, auf unabgesichertes Terrain zu gehen, bloß nicht immer alles auf Nummer sicher zu machen. Ich will verführbar bleiben. Damit rede ich nicht von anderen Beziehungen, sondern von der Verführbarkeit durch neue Wege. Ich will etwas anderes sehen, etwas mit neuen Augen entdecken, was ja auch ein wichtiges Thema von „Mein Altweibersommer“ ist.
Was heißt das konkret bezogen auf Ihre Karriere?
Berben: Zum Beispiel, dass ich mir die passenden Komplizen gesucht habe. Ich achte sehr viel darauf: Was für Stoffe werden verfilmt? Wer dreht? Welche interessanten Leute sind beteiligt? Wenn ich ein neues Projekt anfange, sage ich auch: Wie wäre es, wenn wir einen ganz neuen jungen Regisseur oder Regisseurin nehmen, die einen anderen Blick auf das Drehbuch, aber auch auf mich haben? Ich mache da immer wieder Vorschläge im künstlerischen Prozess, und viele in unserer Branche freuen sich, wenn man sich selbst einbringt und eigene Ideen hat.
Berbens Sohn produzierte viele ihrer Filme
Zu Ihren Komplizen zählt auch Ihr Sohn Oliver, der viele Ihrer Projekte produziert hat, darunter auch das neue TV-Movie „Nicht tot zu kriegen“. Wann war Ihnen klar, dass er ein passender Mitstreiter sein könnte?
Berben: Schon sehr früh. Das begann bei den ersten Produktionen von „Rosa Roth“, die wir mit Carlo Rola machten. Es war damals immer unser Anliegen, nicht einfach nur einen Krimiplot zu bedienen, sondern vor allem die Befindlichkeit dieses Landes nach dem Mauerfall zu erzählen. Da habe ich gemerkt, wie sehr Oliver ein Mitstreiter war. Ich habe auch beobachtet, wie er an anderen Produktionen arbeitete, und mir war klar, dass er das Gleiche will wie ich: spannende Themen und Komplizen zu suchen, die deine Leidenschaft mittragen, aber die dir auch die Korrekturen geben, die du nötig hast.
Ihre Figur in „Nicht tot zu kriegen“ schaut sich nostalgisch Clips aus Ihren alten Filmen und Serien an. Machen Sie das auch?
Berben: Überhaupt nicht. Ich habe das zum ersten Mal getan, als es darum ging, Ausschnitte für diesen Film auszuwählen und meine Regisseurin mit Material zu versorgen. Wie sich herausstellte, ist es unheimlich teuer, solche Clips zu zeigen. Ich dachte, die Rechteinhaber freuen sich. Aber ich habe vieles davon nicht mehr präsent gehabt. Bei manchen Sachen bin ich ein bisschen zusammengezuckt, bei anderen dachte ich: Ah, ist doch gelungen.
Empfinden Sie so etwas wie Wehmut, wenn Sie auf die alten Zeiten zurückschauen?
Berben: Ja, Wehmut kenne ich schon auch. Ich hatte das große Glück, in den 60ern, 70ern groß zu werden. In der Zeit hatten wir so viele Forderungen an das Leben, weil wir uns speziell vom Leben unserer Eltern und Großeltern abheben wollten. Nicht nur in puncto Politik, auch in der Kleidung, im Selbstverständnis. Da hat eben eine richtige Rebellion stattgefunden. Und wenn man sich dann heute mit 25 oder 30 sieht, dann rührt das an einen selbst.
Kein Yoga, kein Pilates
Aber sehen Sie das Leben mit bald 70 nun anders?
Berben: Ich würde sagen, dass ich in meiner impulsiven Begeisterung, Ungeduld und Neugierde immer noch wie eine 18-Jährige bin. Aber ich weiß angesichts der aktuellen Zahl, dass ich mir keine Bequemlichkeit erlauben kann. Natürlich wissen wir auch in jungen Jahren, dass alles ganz schnell vorbei sein kann. Aber jetzt ist es so etwas Wahrhaftiges, so etwas Reales. Denn man weiß konkret, wie viel Zeit man im besten Fall noch hat, wenn man fit und der Kopf gesund bleibt. Da erlaube ich mir keine Bequemlichkeit mehr.
Das führt zur zwangsläufigen Frage, was Sie für Ihre Gesundheit tun.
Berben: Sport mache ich keinen. Ich mache auch kein Yoga, kein Pilates, gar nichts. Ich gebe zu, das sollte ich vielleicht mal tun, aber bis jetzt habe ich mich gut durchmogeln können. Ich bin jemand, der sehr gerne und gut isst. Ich versuche mich zu pflegen, wie es überhaupt nur geht. Ich lasse mich auch gerne verwöhnen. Zum Beispiel finde ich es wunderbar, mich irgendwo einzumieten und mir alles angedeihen zu lassen, was einem im Körper und in der Seele gut tut. Aber ich brauche nie lange dafür. Vielleicht weil ich eben meinen Job so gerne mache.
Die Diva, die Sie in „Nicht tot zu kriegen“ spielen, meint ja, sie wolle „bleiben“. Ist das auch Ihr Bestreben im Hinblick auf Ihre Karriere?
Berben: Natürlich möchte ich bleiben. Wenn du Erfolg hast, hast du mehr Möglichkeiten, zu bestimmen, was du machst. Vor allem ist der Zustand für einen Künstler der beste, wo er Dinge nicht machen muss, die er nicht machen möchte. Ich habe das Glück, dass es bei mir immer weiterging. Aber man muss eben dafür kämpfen. Auch dafür, dass bestimmte Geschichten erzählt werden. Da kann ich das Beispiel der „Protokollantin“ nennen, wo die Rolle einer Frau gefunden wurde, der man aufgrund ihres Alters Wege versperrt hat. Zum Glück hat sich in unserer Branche da etwas verändert. Es gibt jetzt endlich auch einen Blick auf das Erwachsensein einer Frau oder einer Frau mit sehr viel gelebtem Leben. Früher wurden Geschichten verjüngt, und heute musst du dich nicht mehr verjüngen.
Wie ausgeprägt sind die Parallelen zwischen Ihren Figuren und Ihrer eigenen Person?
Berben: Natürlich gibt es zwischen einer Protokollantin und mir große Unterschiede. Aber man findet auch Aspekte, die miteinander korrespondieren – ihre Träume, Bedürfnisse, Wut oder Hoffnungen oder ihre Veränderungen. Deshalb freue ich mich auch so, dass diese Figur ihren Platz bekommen hat.
"Ich möchte weiterhin von mir erstaunt werden"
Und die Protagonistin in „Mein Altweibersommer“, die aus ihrem etablierten Leben radikal ausbricht?
Berben: Ich kenne das Gefühl, dass man in seinem Leben einen neuen Weg einschlagen möchte, ob beruflich oder in einer Beziehung. Ich möchte auf jeden Fall weiterhin von mir erstaunt werden und mich nicht in ein Korsett zwängen. Aber ich denke nicht akut über Neuanfänge für mich nach. Denn ich habe mir immer zu meinem Leben Gedanken gemacht und es sehr bewusst geführt. Deshalb würde ich nicht das Resümee ziehen, dass ich ab jetzt alles ändern muss. Ich befinde mich in einer ständigen Entwicklung, und die setzt sich weiterhin im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten fort.
Warum diese kontinuierliche Auseinandersetzung mit der eigenen Person?
Berben: Ich habe schon in der Schulzeit immer Dinge hinterfragt, weshalb ich vermutlich auch von ein paar Internaten geflogen bin. Und gleichzeitig führt die Auseinandersetzung mit anderen Lebensformen und Geschichten dazu, dass man sich letztlich selbst immer analysiert – die beiden neuen Filme sind da ein gutes Beispiel. Solche Projekte sind Motoren, die mich antreiben. Oder man könnte sagen, sie sind das Öl, das ich brauche.
Sie haben auch immer wieder politisch-gesellschaftliche Zustände hinterfragt. Sehen Sie aktuell die Notwendigkeit zu Neuanfängen?
Berben: Der Lockdown war sicher eine Zeit, in der man viel über Neuanfänge – ob in Technik oder Wirtschaft – nachdenken sollte, wobei ich selbst das schon lange vorher gemacht habe. Der Status quo ist in vieler Hinsicht in Frage zu stellen. Die aktuelle Zäsur ist da eine absolute Chance.
Sind Sie jemand, den gesellschaftlich-politische Verwerfungen ruhig schlafen lassen?
Berben: Durchaus. Ich brauche diesen ruhigen Schlaf, denn ich glaube, dass man unaufgeregt zu besseren Überlegungen und Diskussionen kommt. Doch wir müssen agieren, nicht reagieren. Es reicht nicht zu wissen, wofür du stehst, oder dass du im Freundeskreis diskutierst. Du musst deine Meinung auch in der Öffentlichkeit kommunizieren und sie in den Alltag einbringen. Dafür gibt es viele Wege für jedermann, nicht nur für Celebrities.
Angeblich ist ja das Endziel unserer Bestrebungen das Glück. Wie ist Ihre Definition von Glücklichsein?
Berben: Dafür gibt es viele verschiedene Beispiele. Glück ist, wenn man an Kopf, Leib und Seele gesund ist. Oder wenn man eine Arbeit ausführen kann, die man gerne macht, speziell in einem Beruf, der vom so genannten Applaus der anderen abhängig ist. Auch dass ich in der aktuellen Situation die Miete bezahlen konnte, ist ein Glück. Ebenso dass ich aktuell mit dem Cannes-Preisträger Ruben Oestlund einen Film drehe. Es gibt letztlich so viele Facetten. Zum Beispiel, wenn ich ein Buch lese, in dem ich etwas Neues entdecke oder das mir etwas bestätigt. Ich kenne das große, greifbare Glück und viele andere kleine, wunderbare Glücksmomente. Doch jeder muss seine Formel selbst definieren. Und dafür ist es erforderlich, dass du deine eigene Individualität erkennst. Du darfst nicht stromlinienförmig die Erwartung der anderen bedienen.
Iris Berben, als Tochter eines Gastronomenehepars in Hamburg geboren, gehört seit 40 Jahren zu den Größen im deutschen Film und Fernsehen. Nach Schulabbruch, Umzug nach München und Auftritten als Fotomodell: Krimi, Comedy und Drama. Zu den bekanntesten Rollen der auch sozial und politisch engagierten, immer unverheiratet gebliebenen Mutter eines Sohnes gehört das Duett mit Diether Krebs in „Sketchup“ und das Solo als TV-Kommissarin „Rosa Roth“.
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