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Interview: Historiker Wolfgang E. J. Weber: "Die Benin-Bronzen sind Herrschaftsobjekte"

Interview

Historiker Wolfgang E. J. Weber: "Die Benin-Bronzen sind Herrschaftsobjekte"

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    Eine Benin-Bronze im Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig.
    Eine Benin-Bronze im Grassi Museum für Völkerkunde in Leipzig. Foto: Jan Woitas, dpa (Archivbild)

    Herr Prof. Weber, Sie sind Spezialist für die Sozial- und Kulturgeschichte der deutschen Geschichtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit dem Königreich Benin näher auseinanderzusetzen?
    WOLFGANG E. J. WEBER: Es ist aus einer Forschung heraus passiert. Ich hatte begonnen, mich mit europäischen Dynastien zu beschäftigen. Da kommt man als anständiger Historiker auf den außereuropäischen Vergleich, und einige afrikanischen Dynastien rücken dann in den Vordergrund. 

    Wie viel weiß man über die afrikanischen Dynastien, wie gut sind sie erforscht?
    WEBER: Nicht so gut. Wir haben französische Forschung, englischsprachige Forschung, aber deutsche Forschung gibt's kaum.

    Auf welche Quellen stützt man sich? 
    WEBER: Das ist kompliziert. Wir müssen eine Kombination anstreben aus den mündlichen und schriftlichen Überlieferungen. Die schriftlichen Überlieferungen setzen erst mit den Europäern ein. Wir haben die materielle Überlieferung, also Objekte, wie eben in dem Fall die sogenannten Benin-Bronzen. Das muss man zusammenbringen. Es gibt wenige Beiträge, die das tatsächlich überzeugend tun.

    Der Historiker Prof. Wolfgang E. J. Weber von der Universität Augsburg.
    Der Historiker Prof. Wolfgang E. J. Weber von der Universität Augsburg. Foto: Weber

    Das heißt, die Geschichte ist nicht so gut erforscht wie zum Beispiel die europäische.
    WEBER: Definitiv nicht.

    Trotzdem weiß man so viel, dass sie über die Zeit vor 1897 im Königreich Benin etwas gesichert berichten können.
    WEBER: Auf jeden Fall. In der englischsprachigen Forschung gibt es ein Standardwerk von Alan Ryder, das schon 1969 erschienen ist. Er fügt die unterschiedlichen Quellen zusammen. 2010 ist eine entsprechende deutsche Darstellung von Leonhard Harding erschienen.

    Was hat es mit den sogenannten Benin-Bronzen auf sich? Was sind das für Gegenstände?
    WEBER: Wenn wir sie als Kunst bezeichnen, sind wir schon in der kolonialistischen Falle. Das muss man sagen. Es sind sakralisierte Herrschaftsobjekte. Außerhalb des Kontextes, in dem sie entstanden und gebraucht worden sind, kann man sie überhaupt nicht verstehen. Wir deklarieren sie zu Kunstobjekten, aber das ist die falsche Herangehensweise.

    Sakralisierte Objekte heißt, dass sie in religiösen Zusammenhängen gebraucht worden sind.
    WEBER: Der europäische Blick blendet meistens aus, dass die Objekte bei Ritualen und Festen eingesetzt worden sind. Sie dienten der Legitimitätsbeschaffung, der Erzeugung von Gehorsamkeit, der ritualisierten Festlegung von Verwandtschaft.

    Wie alt sind die ältesten Bronzen?
    WEBER: Sie tauchen in den ersten gesicherten Nachrichten im sechzehnten Jahrhundert auf. 

    Was war das für ein Königreich? Es kannte zum Beispiel die Sklaverei. 
    WEBER: Bis um 1600 gab es vor allem die „Domestic Slavery“, also die Sklaverei im eigenen Bereich. Außerdem hat das Königreich sich am Transsahara-Sklavenhandel beteiligt, also Geschäfte mit arabischen und islamischen Sklavenhändlern betrieben. Danach, etwa ab 1600, war das Königreich Benin in den transatlantischen Sklavenhandel mit einbezogen. Zudem wird gesagt, auch von kritischen Nachkommen, dass es Haussklaverei bis heute gibt. Also in dem Sinn, dass bestimmte Familien über Generationen hinweg zu Hausdienern gemacht werden und keine Chance haben, da wegzukommen. Dafür spricht, dass am 19. März 2018 der jetzige Oba, also der König von Benin, eine offizielle Verurteilung, konkret eine Verfluchung aller am Menschenhandel beteiligten eigenen Leute veranstaltet hat. Durch diese Verfluchung ist zum Ausdruck gekommen, dass diese Dinge bis heute existieren. Insbesondere Mädchen werden in die arabischen Länder verschickt und müssen da Zwangsarbeit leisten. Das ist mit dieser Erklärung offiziell verboten worden, aber mit magischen Mitteln, also mit Androhung von Verdammnis. 

    Damit kommen wir auf die Artefakte zurück. Wenn sie heute an den Oba zurückgegeben werden, werden sie wieder im selben Kontext benutzt?
    WEBER: Auf jeden Fall. Der deutsche Ansatz, den die beiden hauptverantwortlichen Politikerinnen für diese Restitution wählen, ist, dass die Objekte dem nigerianischen Volk zurückgegeben werden. Das ist wieder eine typisch westliche und insofern kolonialistische Vorstellung, nämlich dass es ein nigerianisches Volk gäbe, das Eigentumsrechte an den Objekten hat. Ein in Deutschland lebender Prinz der Oba-Dynastie hat festgestellt, dass es dieses nigerianische Volk nicht gibt. 

    Wie sieht die Gesellschaft im Staat Nigeria aus?
    WEBER: Der Prinz spricht von 250 verschiedenen Gruppen und Stämmen, die alle ihre eigenen Überlieferungen haben und die sich in diesem kolonialistischen Staatsgebilde Nigeria nicht wohlfühlen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Insofern ist der Ansatz problematisch. Hinzu kommt, dass der formal richtige Empfänger durch die Vorfahren in die Geschichte der Sklaverei und Menschenopfer verwickelt ist. Auch davon ist wenig die Rede. Nun geht es um die Bronzen, die entgegen den westlichen Erwartungen kaum öffentlich gezeigt werden könnten, weil es sakrale Objekte sind. Das heißt, sie werden in dem dynastischen Zusammenhang und bei bestimmten Ritualen gezeigt, es sei denn, der Oba und seine Berater geben dem europäischen Druck etwas nach und lassen sich auch auf eine Museumspräsentation ein. Es gibt keine verbindliche Zusage, dass das in ein öffentliches Museum kommt. Es kann sein, dass man die Bronzen touristisch nutzen wird, es dadurch zu Einnahmen kommt. Aber dann wird da eine Auswahl stattfinden. Die Bronzen, jedenfalls die, die als am heiligsten eingeschätzt werden, werden sicher nicht gezeigt werden. Die anderen könnten nach touristischen Erwartungen sortiert werden: Zeigt man eine Bronze, die zum Beispiel einen Sklaven mit der entsprechenden Preisangabe darstellt, oder nicht? 

    Sie haben eben auch von Menschenopfern gesprochen. Was hat es damit auf sich? 
    WEBER: Es gab Menschenopfer, um die Götter zu besänftigen. Es gab Menschenopfer, wenn der König starb. Dann mussten die vertrautesten Diener ihm in den Tod folgen. Die sind zum Teil sogar lebendig begraben worden. 

    Wer waren die Opfer?
    WEBER: Meist, aber nicht nur Kriegsgefangene, andere, die als Feinde eingestuft wurden, die erbittertsten Gegner etwa bei einem erfolgreichen Überfall auf ein Dorf. 

    Es gibt auch Augsburger Spuren, die ins Königreich Benin führen. Welche sind das?
    WEBER: Man hat die Manillen, die von Europäern als Zahlungsmittel für die Sklaven benutzt wurden, auf ihre Metall-Zusammensetzung hin untersucht. Das verwendete Kupfer stammt zu einem Teil aus Bergwerken der Fugger, insofern sind sie voll mit drin in dieser Sache. Von der Tatsache abgesehen, dass die Bergwerke zum Teil auch mit Sklavenarbeit betrieben worden.

    Bei der Rückgabe der Benin-Bronzen geht es auch um die Wiedergutmachung der Schuld, die Europa im Zug des Kolonialismus auf sich geladen hat. Wie bewerten Sie den Umgang mit den Objekten? 
    WEBER: Der in Hessen lebende Oba-Prinz sagt: Deutschland ist an diesem Raub nicht schuldig. Wenn wir uns auf die allgemeine kolonialistische Schuld beziehen, ist die Rückgabe aus meiner Sicht aber nicht weniger problematisch. Was sind die Ziele? Die sichere Aufbewahrung und die öffentliche Präsentation als Kulturerbe sind ungewiss. Und unbedingt sollten wir auch die Nachfahren derer einbeziehen, die versklavt worden sind.

    Welchen Umgang würden Sie vorschlagen?
    WEBER: Mein Vorschlag wäre, weiter zu überlegen, wie die beiden Lobbygruppen der Nachkommen der durch die Benin-Dynastie Versklavten stärker mit einbezogen werden können. Diese würden unsere Politik mit den richtigen Informationen versorgen, damit wir zu einem besseren Urteil kommen. 

    Sie wollen aber nicht die Verantwortung für den transatlantischen Sklavenhandel auf Afrika abwälzen?
    WEBER: Nein, keinesfalls. Aber ich möchte auch sagen, dass die Abschaffung oder tendenzielle Abschaffung der Sklaverei, sie ist ja keineswegs abgeschlossen, auch europäisch ist. Von Entlastung kann dennoch keine Rede sein. Die Sklaverei bleibt als Menschheitsverbrechen auch auf dem Westen liegen.

    Zur Person

    Wolfgang E. J. Weber, geboren 1950 in Freiburg, ist ein Historiker, der sich intensiv mit der Geschichte seit 1500 beschäftigt hat, insbesondere mit Eliten. Seit 1991 lehrt er an der Universität Augsburg in Institut für Europäische Kulturgeschichte. 

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