Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Interview: Herman Rarebell: "Wenn die Gier einsetzt, fängt alles an zu zerbrechen"

Interview

Herman Rarebell: "Wenn die Gier einsetzt, fängt alles an zu zerbrechen"

    • |
    Herman Rarebell war fast 20 Jahre lang der Schlagzeuger der Scorpions.
    Herman Rarebell war fast 20 Jahre lang der Schlagzeuger der Scorpions. Foto: Agentur Kaher PR Dialog

    Hallo Herr Rarebell, alles in Ordnung bei Ihnen trotz Pandemie?
    HERMANN RAREBELL: Mir geht es tatsächlich sehr gut. Mit meinen inzwischen 72 Jahren bin ich noch fit. Das freut mich schon.

    Es ist ja erstaunlich, wie viele Rockmusiker die wilden Zeiten überstanden haben und heute noch auf der Bühne stehen.
    RAREBELL: Ja, da mache ich dann auch mal gerne einen Scherz!

    Inwiefern?
    RAREBELL: Wenn mich jemand fragt, ob ich Angst vor Corona habe, antworte ich: Wer wie ich die 80er Jahre überstanden hat, dessen Chancen sind groß, auch

    In der Tat. Sie starten mit 72 Jahren noch einmal voll durch: Gemeinsam mit dem Hurricane Orchestra und Band touren Sie quer durch Europa. Was treibt Sie an?
    RAREBELL: Bei mir ist Musik wie eine Sucht – ich kann damit nicht aufhören! Als ich die neuen Orchester-Arrangements gehört habe, dachte ich mir: Wow, die Stücke klingen wieder total frisch! Alle Songs haben gewonnen. Die Musiker, die mitspielen, kommen alle von Konservatorien in Polen oder Tschechien. Ich bin wirklich beeindruckt von deren Können. Die sind auch nicht nur klassisch eingestellt, sondern haben auch den Rock im Blut.

    Warum haben Sie sich nicht für eine puristische Bandversion entschieden, sondern für eine symphonische Bearbeitung der Rockstücke?
    RAREBELL: Die Stücke waren alle schon fertig. Die kommen vom Veranstalter Toby Thalhammer. Als der mir die Arrangements vorgestellt hat, fand ich sie spontan klasse. Und es ist wirklich Wahnsinn: Man legt diesen Musikern die Noten vor und die spielen das runter. Ich habe gefragt: Sollen wir proben? Da haben die geantwortet: Nicht nötig, wir haben ja die Noten. Und ich selbst kenne die Songs, habe ja die meisten davon mitgeschrieben. Ich muss nicht zum 1000. mal ‚Rock you like a Hurricane‘ proben. Wenn ich das jetzt noch nicht könnte, dann würde es sowieso nichts mehr.

    Kritiker könnten einwenden, dass die Stücke durch die Orchester-Arrangements zu stark glatt gebügelt sind und ihre Ecken und Kanten verlieren?
    RAREBELL: Sehe ich überhaupt nicht so. Die neuen Arrangements haben eher neue Kanten geschliffen. Da kommen teilweise fette Sachen rüber. Wenn ich beispielsweise ‚Falling in love‘ höre, einen meiner Songs, der von den Scorpions ja leider nie live gespielt wurde, dann lacht mein Herz. Auch die Balladen sind mit Orchester besser.

    Sie haben auch einige Stücke im Programm, die nicht von Ihnen geschrieben sind?
    RAREBELL: Ja, aber da stehe ich drüber. Es muss ja nicht alles von mir sein, die Scorpions sind wichtig.

    Und wer singt die Stücke, die ja im Original von Klaus Meine mit seiner unverkennbaren Stimme geprägt sind?
    RAREBELL: Ein bislang mir unbekannter Sänger aus Bielefeld, der normalerweise – man glaubt es nicht – im Background für Howard Carpendale arbeitet. Ich bin aber voll überzeugt von dem. Denn ich hätte auch selbst ein paar ordentliche Sänger an den Start bringen können, aber als ich ihn das erste Mal hörte, habe ich sofort gesagt: Diesen Mann, bitte nehmen! Der Rest der Band stammt aus dem Umkreis von München.

    Sie sind der Erste, der die Scorpions-Stücke seit der Weltausstellung 2000 in Hannover mit Orchester anbietet. Wie ist die Reaktion der Scorpions zu dem Projekt?
    RAREBELL: Die mussten das ja auch genehmigen. Rudolf (Schenker, Anm. d. Red.) hat mir gratuliert und geschrieben, dass ich da eine tolle Mannschaft um mich gruppiert hätte. Er ist ja mein alter Songschreiber-Partner.

    Von 1977 bis 1996 waren Sie 19 Jahre lang der Schlagzeuger der Scorpions, sozusagen in den goldenen Zeiten der Band. Rund 100 Millionen verkaufte Bandalben stehen zu Buche. Bei den meisten Hits sind Sie ja Mit-Autor, allem voran natürlich bei dem Superhit „Rock You Like A Hurricane”. Kann man sagen: Sie sind finanziell ein gemachter Mann?
    RAREBELL: Ich bin tatsächlich an 35 Songs beteiligt. Also, ich müsste nicht mehr arbeiten. Die Stücke laufen nach wie vor sehr gut. ‚Rock you like a Hurricane“ ist einer der meist gespieltesten Songs dieser Erde. Letzter Stand: Platz 29 von den 100 besten. Davor liegt, glaube ich, ‚Stairway to Heaven‘.

    Auf Ihre früheren Band-Kollegen sind Sie grundsätzlich nicht gut zu sprechen. In einem neuen Interview mit dem britischen Classic Rock-Magazin haben Sie Rudolf Schenker und Co. als „unverschämt“ und „gierig“ bezeichnet, nachdem die Sie nach dem Abgang von James Kottak nicht erneut in der Band haben wollten.
    RAREBELL: Ich fand das unverschämt und arrogant, dass die mir auf meine Mail nicht mal geantwortet haben.

    Was stand drin?
    RAREBELL: Ich hatte geschrieben: ‚Wenn ihr wollt, können wir es nochmals miteinander versuchen.‘

    Warum haben Sie die Band denn 1996 überhaupt verlassen?
    RAREBELL: Weil ich gemerkt habe, dass sich damals alles zu meinen Ungunsten entwickelte. Nach ‚Wind of Change‘ war ich als Songschreiber so gut wie draußen. Es ist eben so: Wenn die Gier einsetzt, fängt alles an zu zerbrechen. Das, so glaube ich, war wohl auch der Hauptgrund, warum sie jetzt keine Lust haben, mich zurückzuholen. Es ist billiger, sich einfach irgendeinen Drummer zu holen.

    Kleine Erinnerung an die großen Zeiten. Sie haben mit den Scorpions viel erlebt. Mit Michal Gorbatschow sollen Sie im Kreml noch vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion über „Wind Of Change” gesprochen haben. Wie war das damals?
    RAREBELL: Wir waren schon 1988 da und haben zehn Tage in Leningrad gespielt. Ein Jahr später dann waren wir in Moskau, zusammen mit Bon Jovi, Mötley Crüe, Ozzy Osbourne und der russischen Band Gorky Park. Ich kann mich so genau daran erinnern, als ob das gestern gewesen wäre. Damals waren 800 Soldaten im Publikum und haben unsere Songs mitgesungen. Man konnte den Freiheitsdrang der Russen regelrecht spüren. Nach dem ersten Konzert sind wir durch den Gorki Park ins erste McDonalds von

    Die Geschichte vom Gorki Park wird im Superhit „Wind of Change“ erzählt.
    RAREBELL: Genau. Als ich Klaus Meine später daheim besucht habe, hat er mir dieses charakteristische Pfeifen eingangs vorgestellt. Er hat gefragt, ob ich dazu eine Textidee hätte. Ich habe ihm daraufhin sofort gesagt: Nein, das ist doch geil, lass das! Ich habe auch sofort gespürt, das wird ein Welthit.

    Am Schluss noch eine persönliche Frage: Man vermutet ja als Fan, dass erfolgreiche Rockmusiker alle irgendwann in LA oder zumindest in London landen. Aber Sie wohnen in Planegg bei München. Wie hat es Sie denn dahin verschlagen?
    RAREBELL: Nach Planegg kam ich wegen meiner Frau, Claudia Raab, die in München geboren ist. Bis vor der Pandemie habe ich aber auch viel Zeit in England in Brighton verbracht, wo ich eine Wohnung besitze. Zusammen mit Ginger Baker haben Pete York und ich dort vor der Pandemie das erste Konzert als ,Drum-Legends‘ gespielt. Dann starb Ginger, dann kam Corona. Seitdem warte ich, dass ich wieder problemlos nach

    Zur Person

    Herman Rarebell, 1949 in Hüttersdorf (Saarland) geboren, spielt seit 1965 Schlagzeug. 1977 kam er zu den Scorpions und schrieb für die Band auch Songs und war an dem Hit "Rock You Like A Hurricane" mitbeteiligt. 1996 verließ Rarebell die Scorpions. Am 28. Februar tritt Rarebell gemeinsam mit dem Hurricane Orchestra im Kongress am Park in Augsburg auf. Der Titel der Show lautet "Scorpion's Songs Symphonic"

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden