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Interview: Hans Well: "Demokratie braucht Demokraten und keine Demo-Krattler"

Interview

Hans Well: "Demokratie braucht Demokraten und keine Demo-Krattler"

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    Schon immer dafür bekannt, nicht um den heißen Brei herumzureden: Hans Well.
    Schon immer dafür bekannt, nicht um den heißen Brei herumzureden: Hans Well. Foto: Thorsten Jordan

    Herr Well, in Deutschland gehen aktuell Hunderttausende auf die Straße, um gegen rechte Ideologie ein Zeichen zu setzen. Sie persönlich stehen seit über 40 Jahren für Bürgerprotest, auch gegen rechts. Waren Sie vergangenes Wochenende auf der Straße?
    HANS WELL: Nein, ich konnte leider nicht, weil ich vom Schneebruch-Aufräumen in meinem Wald einen Bandscheibenvorfall habe. Sonst wäre ich dabei gewesen, weil diese Demos die direkteste Wahrnehmung unserer Bürgerrechte und Gradmesser einer funktionierenden Demokratie sind. 

    Sie und Ihre Brüder waren frühe Vertreter bürgerlichen Protests. Sie haben sozusagen die bis dahin beschauliche Volksmusik revolutioniert. Ihre Stücke hatten nichts von heimatabendlichem Stubengesang, wenn Sie gegen den Atommeiler in Ohu, gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf und immer wieder gegen den politischen Filz angesungen haben. Wenn Sie heute ein Resümee ziehen: Hat es sich gelohnt?
    WELL: Also, die WAA wurde nicht gebaut und Söder hat noch 2021 Atomkraft für unverantwortbar erklärt. In Wackersdorf protestierten, ähnlich wie bei den Sonntagsdemos, Jung und Alt aus sämtlichen sozialen Schichten, weil die WAA für die Mehrheit der Oberpfälzer eine reale Bedrohung war. Das unterschied sie genauso wie jetzt die Sonntagsproteste diametral von den Corona- oder Pegida-Hass-Demonstrationen der Wutbürger. Übrigens waren bei keiner Sonntagsdemo Galgen zu sehen.

    Rechte Umtriebe wie die NPD oder die Republikaner hat es ja zu jeder Zeit in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben, aber die Gefahr, dass das Land über die AfD wieder in falsche Hände fällt, war nie größer. Was empfinden Sie, wenn Sie Bilder wie die vom Münchner Siegestor sehen?
    WELL: A Freid! Dass so riesige Menschenmengen nicht geifernd und hasserfüllt, sondern ernst oder mit Humor gegen rechte Dumpfbeutl demonstrieren. Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg droht ein Rückschritt in die dunkelste deutsche Geschichte. AfD-Schlagworte wie „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ sind reiner Nazijargon. Absurderweise verehren viele AfDler den Putin, obwohl er mit Demonstranten kurzen Prozess macht.

    Auslöser der bürgerlichen Demos war ein Treffen von AfD-Anhängern mit bekannten Rechtsideologen in Potsdam, die sich über Strategien unterhielten, wie man unliebsame Bürger und Migranten aus dem Land vertreiben kann. Remigration war das Stichwort. Ist das in Ihren Augen als erfahrender Protestler eine neue Qualität?
    WELL: Wäre interessant, wer die Windeln pflegebedürftiger AfD-Wähler ohne ausländische Altenpfleger wechselt, am Bau schuftet, Busse fährt, Wohnungen putzt. Neu sind solche Deportationsfantasien nicht. Aber in Potsdam wurden von diesen Spinnern, die sich als Alleinvertreter des Volkes sehen, die Hosen runtergelassen. Was da zum Vorschein kam, ist tiefbraun. Leider fallen viele im Osten und zunehmend auch bei uns drauf rein. Nährboden für Rechtsradikale ist aber auch der zerstrittene Eindruck unserer Regierung. 

    Ist nur die Regierung daran schuld?
    WELL: Auch die Opposition mit ihrem billigen Ampel-Bashing. Viele Heizungs- oder Klimaregeln wurden ja schon von der CDU/SPD-Koalition beschlossen. Absurd, wenn Bauern gegen Klimaschutzmaßnahmen protestieren, obwohl sie am meisten vom Wetter abhängig sind. Und das Fass übergelaufen ist längst auch für die Wasserwerke durch die Güllemengen. Warum protestieren die Bauern nicht gegen das „Wachsen oder Weichen“, das Sterben sogar mittlerer Betriebe durch eine Subventionspolitik, die EON, Lufthansa und Südzucker begünstigt? Ach ja, ihr Präsident Rukwied sitzt ja im Aufsichtsrat von

    Glauben Sie, dass mit den Protesten derzeit die Rechten in den Parlamenten verhindert werden können? Oder anders gefragt: Was ist das Ziel dieser Form des Protests?
    WELL: Dass eine so große Menschenmenge, allein in München waren es zwischen 150.000 und 250.000, friedlich auf der Straße war, ist ein Zeichen gegen Irre, die aus der EU und der Nato austreten, unser exportabhängiges Land ruinieren wollen. Vermutlich gibt es immer welche, die auf so primitive Parolen reinfallen. Mehrheitsfähig sollten die nicht werden. 

    Man spricht von der schweigenden Mehrheit, die jetzt auf die Straße geht und die Stimme erhebt. Experten sagen, dass die Bedeutung und auch die Kraft von Bewegungen und Protest in den kommenden Jahren zunehmen werden. Wie sehen Sie das?
    WELL: So lange Leute demonstrieren, die unsere Demokratie nicht abschaffen, sondern verbessern wollen, ist das gut. Grundsätzlich braucht eine Demokratie halt Demokraten und keine Demo-Krattler!

    Was sind denn Demo-Krattler?
    WELL: Leute, die keine Lust haben, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen, Wutbürger, die ihren Emotionen freien Lauf lassen und statt rationalem Denken Verschwörungsmüll nachbeten, AfDler im Landtag vorne dran.

    Wie unterscheidet sich Ihrer Beobachtung nach der - nennen wir es mal - bürgerliche Protest heute von dem vor 40 Jahren?
    WELL: Die Politik damals war absolutistisch! Viele Oberpfälzer hatten Angst um ihre Heimat und wurden von der CSU kriminalisiert. Wir Biermösln oder Polt spielten nie bierernst gegen die WAA, sondern mit Witz und Satire. Mir gefällt, dass bei den Sonntagsspaziergängen jetzt viel Witziges zu lesen war.

    Was braucht das Land, dass sich die Lage wieder beruhigt? Oder stehen uns turbulente Zeiten bevor?
    WELL: Mehr Bürger, die genau hinhören, was die AfD erzählt. Auch der Hubsi, der leider immer wieder mit halbstarken Äußerungen beweist, dass er politisch kaum älter als 17 geworden ist. Und wir brauchen neben einer verantwortungsvollen Regierungs- auch eine verantwortungsvolle Oppositionspolitik. Ohne alte Reflexe, alles von der Regierung niederzumachen. Das stärkt nämlich das Gefühl, die können es nicht - und die CDU war ja auch nicht besser. So eine blöde Polemik wie vom Merz zur Zahnarztbehandlung von Migranten ist für die AfD wie ein Sechser im Lotto. Was die Politik braucht, sind Politiker, die klar ihre Standpunkte vertreten und nicht wie Söder hin- und herwedeln wie ein Kuhschwanz. 

    Haben Sie das Thema der neuen Protestkultur schon künstlerisch verarbeitet? Und wenn ja: wie?
    WELL (LACHT): Ja, bin i grad dabei. Ich trete ab April mit meiner Tochter Sarah auf. Akute Zustände sind für Satiriker interessant. Und Tragisches hat ja auch absurde Aspekte. Unser Programm wird keine politische Predigt, sondern wie zu Biermösl-Zeiten unterhaltsam mit Biss und Humor. 

    Zur Person

    Hans Well ist als Mitglied und Texter der inzwischen aufgelösten Biermösl Blosn bekannt. Bis vor Kurzem stand der 70-Jährige zusammen mit seinen Kindern als "Wellbappn" auf der Bühne. 2021 wurde Well, der mit seiner Familie in Zankenhausen (Kreis Fürstenfeldbruck) lebt, mit dem Bayerischen Verfassungsorden ausgezeichnet.

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