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Interview: Franz Xaver Kroetz: "Ich gehe seit 20 Jahren nicht mehr ins Theater"

Interview

Franz Xaver Kroetz: "Ich gehe seit 20 Jahren nicht mehr ins Theater"

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    "Ich könnte allerdings heute zu meinen Eltern sagen: Schaut, aus dem Buben ist schon etwas geworden": Franz Xaver Kroetz, 78.
    "Ich könnte allerdings heute zu meinen Eltern sagen: Schaut, aus dem Buben ist schon etwas geworden": Franz Xaver Kroetz, 78. Foto: Felix Hörhager, dpa

    Herr Kroetz, Sie werden überraschenderweise in der Spielzeit 2024/25 im „Brandner Kaspar“ am Bayerischen Staatsschauspiel zu erleben sein. Es ist ein Coup, den Intendant Andreas Beck verkündet hat. Sie meinten, er habe „leichtes Spiel“ mit Ihnen gehabt.
    FRANZ XAVER KROETZ: Ich habe gesagt, dass ich es mir vorstellen kann, aber ich werde es wohl sein lassen. Das wäre ja ein Schmarrn! Um es mal etwas zugespitzt zu formulieren: Ich stehe ja selber kurz vorm Sterben, da verbringe ich doch die mir verbleibende Zeit nicht mit Warten bei Proben in einer tristen Theatergarderobe. Aber Mitschreiben wäre interessant! (Er überlegt kurz) Aber, wer weiß, wenn ich nächstes Jahr pumperlgsund sein sollte und mir sterbenslangweilig ist und mir das Theater alle Hürden aus dem Weg räumt. Wie heißt es: Sag niemals nie.

    Am 2. Juli kommen Sie nach Augsburg, um dort mit Studierenden der Literaturwissenschaft zu diskutieren und dann im Theater aus einem Ihrer Stücke zu lesen. Tut so eine Aufmerksamkeit der Wissenschaft gut? Denn es zeigt ja, dass da etwas von einem bleibt.
    KROETZ: Nein, das ist mir egal. Wenn ich in der Früh aufstehe und mir tut etwas weh oder eben nicht: das ist wichtig. Es wäre ja sinnlos, sich jetzt mit 79 Jahren noch umzubringen. Und wenn ich schon lebe, dann möchte ich so gesund wie möglich sein. Dieser Gedanke ist mir beim Arsch wichtiger als sämtliche Theateraufführungen beim Gesicht. Aber wir können uns darauf einigen, dass es nett war, mich einzuladen.

    Wie ist das mit dem Ruhm, der Ihnen in der Vergangenheit zuteil wurde. Spüren Sie da noch etwas davon, oder verblasst so etwas zu Nichts?
    KROETZ: Ich denke, da muss man realistisch sein. Ich habe mich ja lange dagegen gewehrt, aber ich muss zugeben: Das Theater ist eine Art Blase, eine Diaspora. Und da drin war ich schon groß, allerdings auch eher auf den kleinen Bühnen. Diese Blase ist nun schon 30, 40 Jahre her. Und so ist es, dass die meisten mit mir Kir Royal, Baby Schimmerlos und den Brandner Kaspar verbinden. Das Theater ist vergessen. Ich käme mir geradezu lächerlich vor, wenn ich sagen würde, ich bin ein ganz großer Dramatiker.

    Sie sagen, das Volkstheater ist tot. Woran machen Sie das fest?
    KROETZ: Ich kann mit dem Begriff sowieso nichts mehr anfangen. Da müsste man heute den Christian Stückl vom Münchner Volkstheater dazu befragen. Für mich war das früher ein politischer Begriff. Aber es ist schon lange her, dass man damit die Probleme der kleinen Leute statt der Oberschicht auf die Bühne holte. Das war ja nicht nur ich, sondern auch der Rainer Maria Fassbinder oder Ödon von Horváth und früher Ludwig Anzenhofer. Die machten alle Volkstheater. Das war für mich früher ein heller Begriff. Aber heute – ich weiß nicht.

    Aber die Gesellschaft böte doch genug Stoff für gutes Volkstheater. Noch immer geht die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander. Es gibt Risse.
    KROETZ: Das hat doch nichts mit dem Theater zu tun.

    Aber im Theater könnte man es reflektieren.
    KROETZ: Nein. (Er denkt lange nach). Das passiert heute alles in den sozialen Medien. Alles, was Theater vielleicht früher unter Nestroy, Ibsen oder Strindberg tat, war so. Damals hatte die Bühne eine tabubrechende, befreiende und angreifende Wirkung. Aber der Gedanke, dass Theater noch gesellschaftlich relevant ist, den vertrete ich nicht. Das ist aufgefressen von TikTok und Co. Heute hat jeder die Freiheit. Jeder, der das beherrscht, kann eingreifen und sich zu Wort melden. Die neuen Medien haben das alles absorbiert und lassen dem Theater nur mehr wenig Raum. Ich gehe seit 20 Jahren nicht mehr ins Theater.

    Das heißt, Theater ist jetzt eher in einer Unterhaltungsfunktion für das Bildungsbürgertum?
    KROETZ: Im Grunde war es das damals auch schon. Aber wir haben uns halt eingebildet, dass es mehr ist. Aber es ist toll, dass die Theater wieder so gut besucht sind. Man darf nur nicht glauben, dass es den nächsten Krieg verhindert. Früher habe ich, wenn ich ein Gedicht geschrieben habe, geglaubt, dass dadurch die Welt ein wenig anders geworden sei. Aber dieses Empfinden kommt aus einem persönlichen Wahnsinn heraus und nicht aus der Wirklichkeit.

    Schreiben Sie noch Gedichte?
    KROETZ: Ja, natürlich! Der Band ‚Ich spüre Herbst‘ ist die letzte Veröffentlichung. Es erschien zu meinem 75. Geburtstag. Ich schreibe nach wie vor viel. Aber ich muss nichts Marktgerechtes mehr zu Papier bringen. Seit zehn Jahren schreibe ich beispielsweise an einem Stück.

    Sie haben aber auch selbst von einer eigenen Schreibblockade geschrieben. Wie ist es damit? 
    KROETZ: Natürlich leide ich seit 20 Jahren darunter. 2004 oder 2005 habe ich mein letztes Stück geschrieben. Seitdem hat sich Vieles versperrt. Es ist mühevoll und langweilig geworden. Ich habe mit zwölf zu schreiben begonnen – und wenn man das nun mit einer Geliebten vergleicht, kann man sagen: Ich bin ihr sowieso fast 70 Jahre treu geblieben. Und es ist auch verständlich, dass es da eine Abnützung gibt. Irgendwie ist es auch so, ich betrachte das aktuelle Stück, an dem ich seit Jahren schreibe, als mein letztes. Darum mag ich es vielleicht auch nicht fertigstellen, denn dahinter kommt nix mehr. Es ist viel schöner, daran rumzubasteln. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich schreibe nach wie vor.

    Und Sie schreiben immer an dem einen Stück?
    KROETZ: Nein, ich schreibe kreuz und quer. Es ist eine Art unendliches Tagebuch, wozu auch das Stück gehört. (er holt ein Kästchen aus dem Schrank und deutet darauf). Das sind etwa 300 Seiten. So viel schreibe ich etwa im Jahr. Das ist Lyrik und Drama – und ab und zu klebe ich etwas rein. Da ist das meiste ein Schmarrn. Aber das ist mir wurscht, weil ich ja eine gute Rente beziehe. Aber ohne Schreiben wäre das Leben langweilig. 

    Ist nicht das Tagebuch die ehrlichste Form des Schreibens?
    KROETZ: Doch ja, das ist eine tolle Form. Mein Tagebuch beginnt 1968. Und ich habe die Aufzeichnungen alle noch.

    Schreiben ist ja auch ein Stück weit Therapie, oder?
    KROETZ: Ja, man scheibt am Ende immer für sich. Ich habe auch immer Autoren verachtet, die gesagt haben, sie würden vom Himalaya oder irgendetwas schreiben, nur nicht von ihnen. Im Nicaragua-Tagebuch, da habe ich absichtlich nur von mir geschrieben, um zu provozieren.

    Sie sorgten in den 70er-Jahren für Aufregung, als Sie im fetten Mercedes zum DKP-Parteitag fuhren.
    KROETZ: (lacht): Das war keine Provokation. Ich liebe halt einfach Autos! Den 450 SEL 6.3 Liter von damals habe ich noch. Der steht verfaulend in meiner Scheune auf dem Bauernhof im Chiemgau, ist aber leider nicht mehr zu reparieren. Da ist übrigens auch noch ein Hanomag drin und ein Unimog. Ich liebe einfach alte Autos, überhaupt Autos.

    Inwiefern?
    KROETZ: Ich entstamme einer Generation, wo Autos einfach etwas Großes waren. Wenn bei uns, als ich noch ein Bub war, daheim früher Besuch gekommen ist, war für mich immer die Frage: Kommen die im Auto oder mit der Straßenbahn? Und zu uns sind fast alle mit der Straßenbahn gekommen. Aber wenn wirklich mal einer mit dem Auto da war, das war faszinierend. Ich bin heute ein uralter Mann und kann heute verstehen, dass das Auto wahrscheinlich ein Irrweg war, vor allem, dass jeder so eine Karre hat, die stinkt und auch viel zu schwer ist. Natürlich ist es auch völliger Blödsinn, dass einer mit einem SUV zweieinhalb Tonnen durch die Gegend bewegt, damit er seine 80 Kilo von Punkt A nach B bringt. Das gehört ins Reich des Irrsinns. Aber damals waren die Autos fantastisch. Und ich muss zugeben, ich habe selbst einmal einen Porsche gefahren, den habe ich aber gehasst und nach einigen Monaten wieder verkauft.

    Apropos Porsche, auch in ihrer Rolle als Baby Schimmerlos fuhren Sie ja in Kir Royal einen 911er.
    KROETZ: Ja, aber ich kann mich daran nicht mehr wirklich gut erinnern. Was ich aber noch weiß, dass der Pegasus damals mal wieder nicht gewiehert und geschissen hat (Der Pegasus gilt in der Mythologie als das Pferd der Musen, er schenkt Inspiration und Kreativität/ d. Red.). Dann hat mich Kurt Raab, der damals für Helmut Dietl arbeitete, angerufen und gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, die Rolle zu spielen. Sie brachten mir die Drehbücher, und ich sollte innerhalb von ein paar Stunden entscheiden, ob ich das mache oder nicht.

    So kennen ihn die meisten: Franz Xaver Kroetz als Klatschreporter Baby Schimmerlos in Helmut Dietls Kultserie „Kir Royal“. Daneben der unvergessene Dieter Hildebrandt als Fotograf Herbie (links).
    So kennen ihn die meisten: Franz Xaver Kroetz als Klatschreporter Baby Schimmerlos in Helmut Dietls Kultserie „Kir Royal“. Daneben der unvergessene Dieter Hildebrandt als Fotograf Herbie (links). Foto: imago/United Archives

    Und warum haben sie Ja gesagt?
    KROETZ: Ich fand das wunderbar. Ich warte doch so ungern. Diese ganzen Pläne in der Filmbranche, die immer wieder aufgestellt und verworfen werden. Das ist ja furchtbar. Aber das, so prompt und spontan, war wunderbar. Da sagte ich zu. Beim Drehen war Helmut Dietl zwar sehr kleinlich und empfindlich, aber damit bin ich zurechtgekommen. Denn mir hat gefallen, was er geschrieben hat. Wir waren zwar keine engen Freunde, aber das hat gut funktioniert. Dabei war mir die Figur des Baby Schimmerlos völlig wurscht. Mich hat es gewundert, dass ich sie so hinbekommen habe. 

    Warum hätte das nicht klappen können?
    KROETZ: Ich habe mir gedacht, das muss doch der Helmut Fischer spielen. Denn der war ja der Dietl-Mann. Der Raab sagte, dass man den Fischer in diesem Fall nicht für geeignet halte. Die Serie wurde ein Riesenerfolg und ich war (er lacht) in München und Umgebung plötzlich weltbekannt. Und plötzlich war ich nur mehr der Schimmerlos. Das habe ich damals gehasst und hab mir gedacht: Hätte ich das bloß nicht gemacht.

    Und heute?
    KROETZ: Heute bin ich, insgesamt gesehen, froh und glücklich, bin in dieser Hinsicht mit mir im Reinen. Ich habe als Regisseur und als Schauspieler Erfolg gehabt und als Dramatiker bin ich in aller Welt gespielt worden. Was will ich mehr? 

    Das klingt aus Ihrem Mund tatsächlich sehr positiv.
    KROETZ: Beruflich war das tatsächlich so. Aber ich habe privat auch Durchhänger gehabt. Gerade bei Künstlern sind die Ausschläge der Psyche ja oft größer. Man möchte sich im Leben mindestens 50- mal umbringen, macht es aber doch nicht. Und dann ist man wieder glücklich. Ich könnte allerdings heute zu meinen Eltern sagen: Schaut, aus dem Buben ist schon etwas geworden.

    Welche Wünsche haben Sie noch?
    KROETZ: Einmal den Wunsch, dass ich einen Dachdecker für meine Jagdhütte finde. Dann, dass mein operiertes künstliches Knie hält. Und, für mich sehr, sehr wichtig, dass ich weiterhin das Trinken vertrage. Denn ich trinke leidenschaftlich gern. Ich kann ohne eine halbe Flasche Rotwein am Tag nicht sein. Und am Ende auch, dass ich mich weiter täglich an die Schreibmaschine setze, um irgendetwas aufs Papier zu kriegen.

    Zur Person

    Franz Xaver Kroetz, geboren 1946 in München, feierte als Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller Erfolge. Er ist einer der meistgespielten deutschen Dramatiker, etliche seiner Stücke wurden fürs Fernsehen und den Hörfunk bearbeitet. Einem noch größeren Publikum wurde er dann durch seine Rolle als Klatschreporter Baby Schimmerlos in der Serie "Kir Royal" bekannt. Zuletzt verfasste Kroetz gemeinsam mit seiner Ex-Frau Marie Theres Relin das Buch "Szenen keiner Ehe". Am 2. Juli wird Kroetz in Augsburg in der Brechtbühne im Gaswerk lesen - Beginn 19.30 Uhr, mit anschließendem Publikumsgespräch. 

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