Herr Klapsch, 2005 haben Sie begonnen mit ihrem Projekt, alle Atomkraftwerke in Deutschland zu fotografieren. Wie ist diese Idee entstanden?
Thorsten Klapsch: Mich hat diese Architektur interessiert, die für Fortschrittsglauben und die Zeit des scheinbar ungebändigten Hungers nach Energie stand. Ich habe mich auch schon in früheren Arbeiten mit Zeitkapseln und Utopien beschäftigt. Dazu kam, dass Atomkraftwerke lange Tabu-Orte waren. Mich hat es gereizt, etwas zu sehen, zu dem die meisten Menschen keinen Zutritt bekommen.
Wie haben Sie es denn geschafft die Genehmigung für Innenaufnahmen in diesen Hochsicherheitsgebäuden zu bekommen?
Klapsch: Zunächst habe ich die Standorte nur von außen fotografiert, dabei bin ich auch von Sicherheitspersonal aufgegriffen worden, wenn ich mich längere Zeit mit Stativ und meiner Großbildkamera in der Nähe der Kraftwerke aufgehalten habe. Von daher war ich irgendwann kein Unbekannter mehr. Später habe ich mich an die Konzernzentralen und die Pressestellen vor Ort gewendet, bin persönlich vorstellig geworden und habe bereits publizierte Projekte vorgestellt, um mein Anliegen glaubhaft zu machen. Meine ersten Anfragen, die Anlagen auch von innen zu fotografieren, stießen auf Ablehnung, eine Darstellung der Atomkraft in der Öffentlichkeit war bis dahin großteils von den Konzernzentralen gesteuert. Ich blieb hartnäckig und fand schließlich einen Standort-Pressesprecher, der mein Anliegen verstand und mir grünes Licht für meine Arbeit gab. Es war dann nur noch eine Frage der Zeit, dass die weiteren Standorte nachzogen.
Hatten Sie Angst, als Sie das erste Mal in einen Reaktor kamen?
Klapsch: Nein, wenn ich Angst gehabt hätte, dann hätte ich das nicht gemacht. Es war schon ein wenig beklemmend, als sich die Schleusen hinter mir schlossen und ich wusste, ich komme da so schnell nicht wieder raus. Es dauert eben schon etwas, bis man wieder freigemessen wird. Im Reaktorgebäude ist es natürlich auch warm. Unsicher habe ich mich jedoch nicht gefühlt, ich wurde von Strahlenschutzmitarbeitern begleitet, die das regelmäßig machen, für die das Berufsalltag ist. Da hatte ich Vertrauen.
Das Bild des Atomkraftwerks in der Öffentlichkeit ist geprägt von Kühltürmen, die irgendwo in der Landschaft stehen. Vielleicht noch von Firmenfotos der Brennstäbe oder Wasserbecken. Was haben Sie entdeckt?
Klapsch: Was mich besonders fasziniert hat, waren die Räumlichkeiten als Zeitkapseln. Seit sie gebaut wurden in den 60er, 70er und 80er Jahren, hatte sich wenig verändert. Musste es ja auch nicht, das waren ja hermetisch abgeriegelte Räume, die rein funktional gestaltet waren, weil sie ja auch nie jemand anderer als die dort Arbeitenden zu Gesicht bekommen sollten.
Was hat Sie überrascht?
Klapsch: In einem Atomkraftwerk waren auf den Kantinen-Tabletts die Umrisse des Gebäudes aufgedruckt. Oder es gab Fitnessräume, in denen die Mitarbeitenden trainieren konnten. Das Skurrilste jedoch ist das Kettenkarussell im Kühlturm des nie in Betrieb gegangenen Kernkraftwerk Kalkar, nun Vergnügungspark.
Ging es Ihnen darum, die Atomkraftwerke zu ästhetisieren?
Klapsch: Nein, ich wollte vor allem dokumentieren. Meine Bildsprache ist sehr klar und reduziert. Auf manchen Fotografien nimmt man bei genauerem Hinsehen aber auch Bedrohung wahr. Es gibt zum Beispiel ein Bild aus dem Reaktorgebäude des Kernkraftwerks Unterweser. Dort hängen gelbe Säcke, mit denen Werkzeuge verpackt sind – diese Komposition hat etwas Ästhetisches. Aber wenn man genauer hinsieht, bemerkt man auf Schildern die Aufschrift "Vorsicht – Strahlung" und wie hoch die Strahlenbelastung tatsächlich ist. Das heißt also, man sollte sich dort nicht länger aufhalten.
Es fällt auf, das Sie bei diesem Projekt kaum Menschen abgebildet haben.
Klapsch: Ich habe ganz bewusst auf Menschen verzichtet. Denn es war ja damals schon erkennbar, dass die Utopie der Atomkraft in Deutschland gescheitert ist. Die Endlagersuche kam nicht voran – es war absehbar, dass die Atomkraft in Deutschland endlich ist. Ich habe in meiner Arbeit also schon ein wenig die Post-Atomzeit abgebildet.
Ein Bild gibt es, da sind aber viele Menschen zu sehen: Ein kleiner See mit Badenden und ganz entfernt im Hintergrund spitzen hinter Baumkronen die Kühltürme hervor.
Klapsch: Dieses Foto ist an einem Badesee in unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerks Biblis entstanden. Für jemanden, der in der Nähe eines AKW lebt, sind Kühltürme Normalität. Ich kannte den Badesee, war dort schon zu Beginn meiner Arbeit. Als ich später dann noch einmal dort fotografieren wollte, erkundigte ich mich vorher telefonisch vor Ort, ob die Bäume mittlerweile so hoch seien, dass man das Kraftwerk nicht mehr sehen könne. Ein Mitarbeiter meinte darauf am Telefon: "Was, man sieht von uns aus das Atomkraftwerk? Keine Ahnung, muss ich mal rausschauen." Die Menschen nehmen das aus der Nähe einfach anders wahr.
Wie hat das Projekt Ihre Einstellung zur Atomkraft verändert?
Klapsch: Meine persönliche Einstellung zur Atomenergie spielte bei dieser Arbeit eine untergeordnete Rolle. Ich wollte in die Diskussion um die Atomkraft, die vor allem Schwarz-Weiß geprägt war Graustufen bringen. Ich denke, das ist mir auch gelungen, denn in Ausstellungen dieser Arbeit waren sowohl Atomkraftgegner als auch Vertreter der Atomwirtschaft, die sich gegenüberstanden und in Diskussion getreten sind. Meine Einstellung hat sich nicht verändert, denn das größte Problem ist der atomare Müll, den wir kommenden Generationen überlassen und der zehntausende Jahre überdauern wird.
Hat sich Ihr Blick auf diese Bilder, die damals entstanden sind, nun, da die Atomkraft in Deutschland der Vergangenheit angehört, verändert?
Klapsch: Der Ausstieg aus der Atomenergie war bereits beschlossene Sache, als mein Buch "Atomkraft" im Jahr 2012 erschien. Heutzutage, da die letzten Kraftwerke vom Netz gehen, wird mir immer mehr bewusst, dass ich mit dieser Arbeit ein Stück deutsche Technik-Geschichte festgehalten habe. Die Aufnahmen haben historischen Wert.
Zur Person: Thorsten Klapsch lebt in Berlin und arbeitet im Bereich der Dokumentar-, Porträt- und Architekturfotografie für Redaktionen und Unternehmen. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht und zeigt seine Arbeiten in Ausstellungen. Sein Buch "Atomkraftwerke" ist 2012 erschienen (Edition Panorama, 320 Seiten, 65 Euro)