Frau Sobotka, Sie haben die Bregenzer Festspiele zehn Jahre als Intendantin geprägt. Auf was sind Sie besonders stolz?
ELISABETH SOBOTKA: Dass wir die große Vielfalt des Programms erhalten und sogar ausbauen konnten. Und wir hatten einen tollen Publikumszuspruch.
Sind die Pläne aufgegangen, die Sie anfangs hatten?
SOBOTKA: Total. Mit den Opernproduktionen auf der Seebühne und im Festspielhaus sowie den Orchesterkonzerten haben wir einen sehr stabilen, wunderbar funktionierenden Kern. Aber es sind auch die Ergänzungen drum herum zur Blüte gekommen: besonders das Opernstudio und das Opernatelier.
Gibt es etwas, das Ihnen nicht gelungen ist?
SOBOTKA: Was wirklich interessant wäre: ein neues Stück für die Seebühne in Auftrag zu geben. Da bräuchte man aber sehr viel Vorlauf, und dafür war ich immer zu sehr in meinen konkreten Plänen verstrickt. Ich weiß auch nicht, ob’s funktionieren würde.
Würden Geschäftsführung und Publikum bei so etwas mitgehen?
SOBOTKA: Genau das ist die Frage. Es gibt, speziell aus Amerika, Zeichen, dass sich Oper wieder ganz anders entwickelt – melodiöser, auf der Vergangenheit aufbauend, und nicht in der Linie der Neuen Musik mit Auflösung der Tonalität und serieller Musik. Diese Art von Oper könnte ich mir auf der Seebühne vorstellen.
Aber brauchen Sie auf dem See nicht immer ein Werk, das hundertprozentig funktioniert, um das Unternehmen Bregenzer Festspiele zu finanzieren? Wir erinnern an „André Chenier“ 2011 und 2012, eine Oper, die nicht so viel Publikum anlockte und ein Loch ins Budget riss.
SOBOTKA: Klar, wenn die Seeoper an der Kasse nicht performt, dann haben wir in Bregenz ein extrem großes Problem. Aber man kann auch schnell reagieren: Wenn man, wie bei André Chenier, weniger Besucher hat, bringt man als nächstes die Zauberflöte – und kann in einem Jahr alles wieder umdrehen.
Die Staatsoper in Berlin, wo Sie im Herbst die Intendanz übernehmen, wird in erster Linie von der öffentlichen Hand getragen, die Bregenzer Festspiele dagegen finanzieren sich zu 80 Prozent durch den Ticketverkauf für die Seebühne. Empfinden Sie mehr gestalterische Freiheit, wenn künftig der Erfolgsdruck einer massentauglichen Inszenierung wegfällt?
SOBOTKA: Gar nicht. In Berlin herrscht ein anderer Druck. Dort habe ich die Verantwortung, mit dem öffentlichen Geld gut umzugehen. Und der Bildungsauftrag von Oper ist wesentlich höher. Ich glaube, die Staatsoper kann es ohne Mozarts Zauberflöte nicht geben. Parallel dazu sind Uraufführungen ein Muss. Die kann ich aber nicht so leicht querfinanzieren wie hier in Bregenz. Wenn die Seeoper funktioniert, kann ich Uraufführungen machen, ohne dass ich mich finanziell rechtfertigen müsste.
Im Festspielhaus haben Sie stärker als Ihr experimentierfreudiger Vorgänger David Pountney auf Stücke gesetzt, die bekannt sind oder von Komponisten der Romantik stammen. Warum?
Für mich ist der emotionale Überwältigungsmoment, der der Kunstform Oper eingeschrieben ist, sehr wichtig. Bei „Beatrice Cenci“ von Goldschmidt oder „Amleto“ von Faccio hat man weder die Komponisten noch die Werke gekannt; diese Stücke mussten selbst überzeugen.
Eine Uraufführung im Festspielhaus haben Sie aber nie angesetzt.
Wenn ich im Großen Haus was mache, möchte ich, dass der Saal voll ist. Ich möchte möglichst viele Menschen erreichen.
Müsste Oper nicht heutige Geschichten erzählen und aktuelle Probleme beschreiben, um ein breiteres, jüngeres Publikum anzusprechen?
Die Probleme sind in jeder Oper aktuell. Sigmund Freud erklärt es so: Wir schauen uns so gern Tote auf der Bühne an, weil wir damit von der eigenen Sterblichkeit ablenken und uns in diesem Moment für unsterblich halten können. Da ist es nicht wichtig, dass ein heutiges Thema verhandelt wird. Es geht darum, dass ich mich als Zuschauer in etwas hineinfühlen und hineindenken kann. Das Alte funktioniert immer noch – wenn man’s gut macht.
Mit der Musik von neuen Opern tun sich viele Menschen offenbar schwer. Woran liegt das?
Das ist ein speziell deutsches Problem. Weil es nach dem Zweiten Weltkrieg schwer war und ist, die Schönheit der Musik und der Welt zu feiern. Nach der Riesenkatastrophe verstehe ich diesen Ansatz. Nach dem Krieg war es notwendig, komplett neu anzufangen. Wir haben an unserer Geschichte zu tragen. Zurecht.
Unter Ihrer Intendanz hat Bregenz deutlich mehr Frauen in den leitenden künstlerischen Funktionen gesehen. Gewinnen Frauen in der Welt der Oper an Gewicht?
Ganz sicher. Es gibt viele tolle Frauen in der Opernwelt, und es kommen viele nach. Je mehr Vorbilder es gibt, desto einfacher wird es. Dirigieren ist aber nach wie vor ein männerdominierter Beruf.
Verändern Frauen die Arbeitsweisen, Hierarchien, Strukturen?
Ich glaube nicht an die Theorie, dass Frauen netter führen als Männer. Menschen sind unterschiedlich: Es gibt Menschen, die führen gut, und es gibt Menschen, die führen übergriffig. Insgesamt gilt – und zwar nicht nur in der Kunstwelt: Teamführung ist nicht nur angenehmer, sondern führt auch zu besseren Ergebnissen. Es kommt zu vielfältigeren Ergebnissen, wenn man einen Teil der Welt, den der Frauen, nicht ausblendet.
Die Staatsoper Unter den Linden in Berlin ist Ihnen schon vertraut. 2002 bis 2007 arbeiteten Sie dort als Operndirektorin unter Daniel Barenboim. Hätten Sie sich damals vorstellen können, als Intendantin zurückzukommen?
Nein. Und es war richtig, dass ich nach Graz gegangen bin und dort als Intendantin völlig unabhängig meinen eigenen Führungsstil entwickeln konnte. Ich bin schon traurig, dass Barenboim jetzt nicht mehr da ist. Im Blick auf die Welt, auf Musik, auf den Geist war er der inspirierendste Mensch, den ich je getroffen habe.
Ähnlich äußert sich sein Nachfolger Christian Thielemann, der parallel mit Ihnen als Generalmusikdirektor anfängt. Wirkt Barenboim in der Staatsoper noch nach?
Absolut. Wenn sich Barenboim erholt, wird er weiterhin eine Rolle an der Staatsoper spielen. Barenboim sprach sich übrigens dezidiert für Thielemann als seinen Nachfolger aus. Vor allem, weil er dasselbe Klangverständnis hat. Die Staatskapelle ist berühmt für einen runden, dunklen Klang. Das will Thielemann nicht ändern.
Sie arbeiten in Berlin mit Topstars der Opernszene zusammen, im Herbst etwa steht Anna Netrebko bei Nabucco auf der Bühne. Fühlt sich so etwas wie der Höhepunkt einer Intendanten-Karriere an?
Für mich ist das Haus selbst der Höhepunkt, weil es eines der wichtigsten Opernhäuser Deutschlands ist und weil das Orchester so besonders ist. Anna Netrebko habe ich nicht für Abigail engagiert, weil sie ein Opern-Star ist, sondern weil sie im Moment die Beste für die Rolle ist. Natürlich ist es wunderbar, wenn man auf diesem Niveau zusammenarbeitet. Wunderbar ist für mich aber auch das große Opernstudio mit jungen Sängerinnen und Sängern.
Vom beschaulichen Vorarlberg in die quirlige Weltstadt: Freuen Sie sich auf die Veränderung?
Ich spüre eine große Demut, und auch Wehmut. Die Zeit in Bregenz war beglückend. Ich hatte hier zehn fruchtbare, spannende und schöne Jahre mit großen künstlerischen Erfolgen. Ich hoffe, ich kann das Glück mitnehmen, das ich hier erlebt habe. Vermissen werde ich die wundervolle Landschaft. Und das Skifahren wird mir fehlen.
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