Es gibt den Künstler und den Satiriker Dieter Nuhr. In welcher Beziehung stehen diese beiden zueinander?
DIETER NUHR: Ich habe immer gemalt und sechs Lagerräume gehabt und das Zeug bei mir eingelagert und mich natürlich auch irgendwann mal gefragt, wofür machst du das eigentlich? – und dann festgestellt, ich mach das für mich. Aber irgendwann kam die Zeit, wo sich Leute dafür interessiert haben. Das hat mich natürlich sehr gefreut, aber ich habe das nicht forciert. Diese stille Form des "für mich Machens“ – das ist immer noch so. Ich mache das ja auch jetzt hier, diese Ausstellung in Venedig, nicht weil ich mir etwas davon verspreche. Ich verspreche mir gar nichts davon. Ich mache es, weil es mich fasziniert, dass meine Bilder in einem Raum mit diesen Künstlern hängen. Das ist für mich ein großes Erlebnis, aber es geht nicht darum, irgendwas zu erreichen. Diese Art von Ziellosigkeit und Stille in meiner Kunst, die liebe ich sehr.
Um den Satiriker Dieter Nuhr ist es ja nicht gerade still?
NUHR: Viele Leute glauben, dass ich Aufregung bewusst erzeuge, weil ich das so schön finde, und das ist definitiv nicht der Fall. Im Gegenteil. Ich empfinde diese Aufregung um meine Arbeit als Satiriker als ein extrem bedrohliches Zeichen unserer Kultur, weil ich denke, dass die Unfähigkeit des Hinnehmens vom Standard abweichender Meinungen bei uns ein bedrohliches Ausmaß erreicht hat. Menschen glauben, sie kennen die absolute Wahrheit und die darf nicht mehr angezweifelt werden. Ich habe die großen Wahrheiten unserer Zeit nie angezweifelt, also sprich, mir wurde ja vorgeworfen, ich wäre Corona-Leugner, Klimawandel-Leugner oder was weiß ich alles – das war definitiv natürlich nie der Fall, weil ich kein Idiot bin – das war einfach nur ein Versuch, mich zu beseitigen. Dieses "Ich darf keine Witze machen über bestimmte Themen“ – dahinter steckt doch der Anspruch auf absolute Wahrheit. Ich finde, die Lösungen, die bei uns angeboten werden, um mit dem Problem des Klimawandels umzugehen, zu großen Teilen einfach extrem lächerlich, unwirksam, dumm, selbstzerstörerisch, extrem am Ziel vorbei. Und wenn man darüber spricht, wird man wie vor hunderten von Jahren exkommuniziert. Diese Art von religiösem Umgang mit Problemen finde ich ganz widerlich. Er motiviert mich dazu, diesen Ärger auszuhalten und weiterzumachen.
Haben Sie Selbstzweifel?
NUHR: Ich glaube, dass man ohne Selbstzweifel als Künstler überhaupt keine Chance hat. Auch als Satiriker nicht. Deswegen sind Satiriker, die keine Selbstzweifel haben, so unerträglich. Nichts erzeugt in mir größeres Unbehagen als das, und ich glaube, man wird in meiner Sendung, wenn man genau hin hört, immer Selbstzweifel erkennen. Ich laufe ständig mit Selbstzweifeln durchs Leben und empfinde das als extrem angenehm.
Welche Beziehung haben Sie zu Venedig, wo Sie gerade als Künstler ausstellen?
NUHR: Venedig gehört für mich zu den schönsten Städten der Welt. Zum ersten Mal war ich hier mit zehn Jahren, und jetzt bin ich hier und sehe meine Bilder in einem Raum mit Veronese, Tizian und Tintoretto und denke, das kann nicht wahr sein.
Sie haben viele Orte in der Welt – über 100 Länder bereist – und fotografiert. Gibt es eigentlich auch Venedig-Bilder von Ihnen?
NUHR: Lange Zeit habe ich gar nichts fotografiert, was irgendwie touristisch ist. Dementsprechend besitze ich sehr wenig eigene alte Fotos von Venedig. Aber im letzten Jahr, als ich hier zur Eröffnung der Ausstellung von Gottfried Helnwein war, habe ich auch Fotos von Venedig gemacht und versucht, etwas daraus zu machen. Ich hatte sogar überlegt, ob ich die Vitrinen hier damit fülle. Aber der Platz ist sehr begrenzt. Deshalb habe ich mich für Zeichnungen entschieden, um so die Geschichte dieses Raumes aufzunehmen.
Die hier ausgestellten Zeichnungen zeigen Motive der großen Meister aus diesem Raum, persönliche Kindheitsbilder von Ihnen und Menschen aus aller Welt, die Ihnen auf Ihren Reisen begegnet sind. In Ihren Fotokunst-Arbeiten hingegen dominiert die Landschaft. Warum?
NUHR: Ich empfinde Menschen im fotografischen Abbild oft als peinlich, zu individuell, um als Bildnis für etwas Weiteres zu dienen. Viele meiner fotokünstlerischen Arbeiten stehen für Landschaft schlechthin. Wenn es Äthiopien ist, dann kann man das eigentlich nicht erkennen. Es muss schon Äthiopien dran stehen, damit man sieht, dass es Äthiopien ist. Bei Menschen sieht man hingegen immer das Individuum. Es bekommt dadurch oft etwas Peinliches. Jemandem die Kamera ins Gesicht zu halten, ist peinlich. Dann will man das Bild nicht verwenden, weil man glaubt, man nimmt dem anderen etwas weg. Deshalb habe ich angefangen zu zeichnen. Auch nach Fotos zu zeichnen. Das hat meine Arbeit stark erweitert, weil ich lange Jahre gar nicht mehr gezeichnet habe.
Sie haben Malerei studiert und sind dann bei der Fotografie gelandet, wie kam das?
NUHR: Die große malerische Geste, das war mir irgendwann zu wenig. Ich wollte etwas machen, das mit der Welt zu tun hat und nicht nur immer um sich selbst kreist. Aber die pure fotografische Abbildung war mir dann auch wieder zu wenig. So habe ich lange Zeit daran gearbeitet, Bilder zu "finden“, im Ausschnitt zu fotografieren, mitunter so, dass man gar nicht mehr erkennen konnte, dass es sich um ein Foto handelt. Mein Ateliernachbar ist der Künstler Stephan Kaluza, der fotorealistisch malt. Bei ihm sind oft Besucher reingekommen und haben gesagt: "Ah Fotografie!“ Er hat dann gesagt: "Ne, is Malerei.“ Dann kamen die Leute zu mir rüber und sagten: "Ah, Malerei!“ Und ich sagte: "Ne, das ist Fotografie!“ Weil das eben abstrakte Fotos waren. Und dann habe ich irgendwann damit angefangen, diese Fotografien digital zu be- und verarbeiten.
Das machen Sie alles am Computer beziehungsweise mit dem Tablet?
NUHR: Ja, denn für mich ist das eine sehr zeitgenössische Form der Malerei: Motive aus der Realität zu übernehmen und daraus Bilder zu machen. Das ist ja das, was Malerei immer gemacht hat. Natürlich ist das nicht so haptisch, wie wenn man eine 2 x 3 Meter Leinwand vor sich hat. Aber der Prozess ist analog zur analogen Malerei. Ich verwende verschiedene Pinsel, die ich selber programmiere. Ich belege sie mit Fotodaten und kann sie in Farbe tunken; es geht um Komposition, um Farbverteilung, um Linie und Fläche und solche Sachen. Und ich habe unendlich viele Möglichkeiten im Gegensatz zur klassischen Malerei. Ich glaube dieses Festhalten am Alten, gerade beim kreativen Prozess, ist oft bedingt durch eine sehr romantische Sicht auf den Handwerksprozess. Wir sind da unheimlich deutsch, denke ich, was das angeht. Dieses – "das muss auch schmutzig sein und stinken, dann ist es Kunst!“– Ich habe jahrelang in einem Atelier gewohnt, in dem ich bestimmt Jahre meines Lebens verloren habe, weil ich im Terpentingestank gepennt habe. Ich genieße es sehr, dass ich hier abends im Hotelzimmer an meinen Bildern arbeiten kann und nicht eine Reisestaffelei mitnehmen muss wie Monet, der sich dann an den Kanal setzt und malt. Das war ein Vehikel, was er benutzen musste, weil es halt nicht anders ging, und ich bin mir ganz sicher, Monet würde heute auch fotografieren und sagen, dass mach ich mal fein im Atelier und mach mir dazu die Heizung an!
Zur Person
Dieter Nuhr, 1960 in Wesel geboren, studierte an der Gesamthochschule Essen Bildende Kunst und Geschichte auf Lehramt. Nach ersten Erfahrungen als Lehrer verfolgte er seine Karriere als Kabarettist weiter. Sein erstes Solo-Programm brachte er 1994 unter dem Titel "Nuhr am Nörgeln" heraus. Sein Folgeprogramm "Nuhr weiter so" trugt ihm 1998 den Deutschen Kleinkunstpreis ein.