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Interview: Denis Scheck im Interview: "Wie naiv kann man sein?"

Interview

Denis Scheck im Interview: "Wie naiv kann man sein?"

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    Autor und Literaturkritiker Denis Scheck.
    Autor und Literaturkritiker Denis Scheck. Foto: Andreas Hornoff

    Am Donnerstag wird die Shortlist des Internationalen Literaturpreises des "Haus der Kulturen der Welt" (HKW) verkündet. Debattiert wird gerade aber vor allem über die letztjährige
    DENIS SCHECK: Mich erinnert das ein wenig an den alten Witz von dem Mann, der seinem Finanzamt schreibt, dass er nach Überdenken ihrer jahrzehntelangen Beziehung zum Schluss gekommen sei, diesem gehe es letzten Endes nur um sein Geld. Wie naiv kann man, wie naiv darf man eigentlich sein, wenn man in eine Jury geht? Schon seit in der Antike Lorbeerkränze verliehen wurden, ging es dabei immer auch um Politik, Geld, Weltanschauung und Macht. Ich habe meine Rolle als Kritiker in Jurys immer so verstanden, dass ich dem ästhetischen Argument Vorrang verschaffen wollte. Aber natürlich gibt es da auch die Agenten der „Gegenmächte“, wie Kafka das so schön formuliert.

    Den beiden Jurorinnen wird vorgeworfen, einen Vertrauensbruch begangen zu haben. Das HKW weist die Vorwürfe von sich und beklagt, dass die gebotene Diskretion, die notwendige Grundlage unabhängiger Juryarbeit ist, nicht gewahrt wurde. Ihre Kollegin Insa Wilke sieht dadurch die Arbeit von Jurys bedroht. Wie sehen Sie das?
    SCHECK: Ich halte das einerseits für einen Sturm im Wasserglas, andererseits für eine Frage der Höflichkeit. Natürlich ist die Arbeit in einer Jury nur möglich, wenn man sich darauf verlassen kann, dass über die internen Beratungen nichts nach außen dringt. Die Alternative ist, dass man die Jurydiskussion aus dem Hinterzimmer auf die Bühne bringt. Das geschieht zum Beispiel bei dem von mir konzipierten Bayerischen Buchpreis so, wo drei Juroren unter den Augen der Öffentlichkeit innerhalb einer Stunde je einen Preis für das beste belletristische Buch und das beste Sachbuch ausdiskutieren müssen, und wenn sie keine Mehrheit zustande bringen, dann verfällt der Preis. Das ist natürlich eine Gaudi, aber sicher kein Rezept für jeden Literaturpreis. Im Allgemeinen sollte die Jurydiskussion ein „safe space“ sein, sonst kann man es gleich lassen. Übrigens muss man bei gar nicht so wenigen Jurys das Äquivalent eines Non-Disclosure-Agreements, also eine Verschwiegenheitserklärung, unterschreiben.

    Sie selbst saßen in der Jury des Bachmann-Preises und wie gesagt in der des Bayerischen Literaturpreises – zwei Preise, bei denen die Jurorinnen und Juroren in der Öffentlichkeit ihre Diskussionen führen. Ist das aber zumindest der bessere Weg, auch um Bewertungskriterien transparent zu machen und um Spekulationen von vornherein aus dem Weg zu gehen? 
    SCHECK: Den Bayerischen Buchpreis habe ich in dieser Form ja selbst erfunden, weil da der Vorgängerpreis – die unsägliche Corinne – mehr als verbrannte Erde hinterlassen hatte und man sich sozusagen erst mal wieder literaturkritisch ehrlich machen musste. Auch der von Marcel Reich-Ranicki konzipierte Bachmann-Preis wurde gerade von Autorenseite lange Jahre schwer gescholten und ist sicher eher ein Instrument zur Popularisierung von Kritikern als von Autoren. Aber auch das gehört zum Erwachsensein: Man sollte immer wissen, worauf man sich einläßt. Im Übrigen gilt die alte amerikanische Weisheit „There ain't no such thing as a free lunch.”

    Dass die Kriterien kritisiert werden, gehört zur Vergabe von Literaturpreisen dazu. Mal wird der Vorwurf laut, dass es Bestseller schwer haben, Autoren wie Daniel Kehlmann zum Beispiel übergangen werden, mal, wie unter anderem beim Deutschen Buchpreis, dass vor allem gut verkäufliche Literatur gefördert werde, um das Weihnachtsgeschäft im Buchhandel zu stützen. Vor drei Jahren wurde in einem offenen Brief kritisiert, dass kein Buch einer nichtweißen Person auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse zu finden war. Gibt es das angesichts all dieser Erwartungshaltungen also überhaupt: eine Bewertung nach rein literarischen Kriterien, den reinen Blick auf die Literatur? 
    SCHECK: Diese Konzentration auf ästhetische Kriterien ist natürlich ein Ideal, das kein einzelner Mensch je ganz verkörpert. Was aber nicht heißt, dass man es nicht anstreben kann. Nur Mut!

    Was in der Diskussion mitschwingt: dass identitätspolitische Kriterien bei Preisvergaben immer wichtiger werden. Wie beurteilen Sie das?
    SCHECK: Mich tröstet über solche Kapriolen des Zeitgeists das schöne mexikanische Sprichwort „Sitze auf der Schwelle deines Hauses und warte, bis man die Leichen deiner Feinde an dir vorüberträgt.“ Ich denke, jede Mode bringt ganz unabhängig von ihrer Berechtigung immer auch die eigene Karikatur hervor. Und da habe ich in unserer Gegenwart echt viel zu lachen.

    War die Debatte, die jetzt geführt wird, überfällig? 
    SCHECK: Im Gegenteil – sie ist langweilig.

    Deutschland ist das Land der Literaturpreise – mehr als 1000. Zu viele? Welchen würden Sie noch gerne ins Leben rufen? 
    SCHECK: Wegen mir kann man davon gern die Hälfte einstampfen – aber nur unter der Voraussetzung, dass mit den Preisgeldern der eingesparten die der anderen kräftig aufgestockt werden. Es ist ja mitunter eine glatte Unverschämtheit, dass da „Literaturpreise“ von Bürgermeistern verliehen werden, deren Bruttomonatsgehalt die Dotierung der von ihnen verliehenen Preise teilweise um das x-Fache übersteigt. Die Schamesröte müsste den Herren und Damen ins Gesicht steigen! Davon abgesehen: Ein „Martin-Walser-Preis-für-das-offene-Wort“ würde wahrscheinlich gut in die Zeit passen. Vielleicht wäre es aber auch Zeit für einen Billy-Wilder-Preis. Der sagte nämlich mal: „Preise sind wie Hämorrhoiden. Früher oder später bekommt jeder Arsch welche.“

    Zur Person

    Denis Scheck, geboren 1964 in Stuttgart, ist Literaturkritiker, Moderator, Übersetzer und Autor. Er moderiert die Fernsehsendungen „druckfrisch“ (ARD) und „lesenswert“ (SWR). Er ist Mitglied der Jury des alle zwei Jahre vergebenen Würth-Preises für europäische Literatur, der zuletzt – ein halbes Jahr vor dem Nobelpreis! – an die Französin Annie Ernaux ging. Im August erscheint bei Piper „Schecks Bestsellerbibel: Schätze und Schund aus 20 Jahren“. 

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