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Interview: Daniel Biskup über Angela Merkel: "Kein Fotograf war bei ihr zu Hause"

Interview

Daniel Biskup über Angela Merkel: "Kein Fotograf war bei ihr zu Hause"

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    Angela Merkel im Kanzleramt im Jahr 2006. Eines der vielen Merkel-Fotos von Daniel Biskup.
    Angela Merkel im Kanzleramt im Jahr 2006. Eines der vielen Merkel-Fotos von Daniel Biskup. Foto: Daniel Biskup

    Wissen Sie noch genau, wann Sie Angela Merkel zum ersten Mal fotografiert haben?

    Daniel Biskup: Ja, klar. Ich habe sie das erste Mal kurz vor der Volkskammerwahl 1990 in Ost-Berlin fotografiert. Damals war sie Sprecherin des Demokratischen Aufbruchs und da ist bei einer Pressekonferenz das Bild von ihr unter der Europaflagge entstanden. Ehrlicherweise muss ich auch sagen, ich habe gar nicht gewusst, dass ich sie fotografiert habe. Ich wollte Rainer Eppelmann, den damaligen Vorsitzenden, fotografieren. Erst 20 Jahre später, als ich für meine Bücher zum Mauerfall alle Negative von 1990 durchgegangen bin, sehe ich dieses Bild und denke: Hey, ich habe Angela Merkel im März 1990 fotografiert.

    Biskups erstes Bild von Angela Merkel entstand 1990 eher zufällig.
    Biskups erstes Bild von Angela Merkel entstand 1990 eher zufällig. Foto: Daniel Biskup

    Und wann hatten Sie Ihren ersten Termin mit ihr?

    Biskup: Das war 1994, da habe ich sie in Bonn fotografiert mit ihrer Nachfolgerin als Bundesfamilienministerin, Claudia Nolte. Ich habe die beiden fotografiert, wie sie zusammen hinten im Dienstwagen sitzen, heute wäre das undenkbar.

    Warum?

    Biskup: Nein, das würde Angela Merkel heute nicht mehr tun. Es gibt aber auch gewisse Motive, die sind aus der Mode gekommen, die erscheinen fast unzeitgemäß. Politiker wollen sich heute nicht mehr auf der Rückbank des Dienstwagens fotografieren lassen, das sieht immer ein wenig nach Vorstandsvorsitzendem aus.

    Wie hat sich denn das Verhalten von Angela Merkel vor der Kamera verändert?

    Biskup: Eigentlich kaum. Ich würde nicht sagen, dass sich Angela Merkel besonders gerne fotografieren lässt, aber auch nicht besonders ungern. Sie hat es gemacht, weil es zum Job dazugehört. Als Bundeskanzlerin muss man sich fotografieren lassen. Aber sie hat nicht unendlich viel Zeit in diese Aufgabe investiert. Und in letzter Zeit immer weniger. Ich habe sie zuletzt nur noch bei offiziellen Terminen fotografiert, in diesem Jahr zum Beispiel, als sie ins Hochwassergebiet gefahren ist oder beim Staatsbesuch des niederländischen Königspaares. Dass sie Herlinde Koelbl für ihr großartiges Projekt die Zeit geschenkt hat, ist eine Ausnahme. So viel Nähe hat sie sonst zu keinem Fotografen zugelassen.

    Ist sie im Laufe der Jahre vor der Kamera lockerer geworden?

    Biskup: Ich habe sie vor der Kamera nie unsicher oder verkrampft erlebt. Aber natürlich gab es wie bei jedem Menschen Tage, da war sie besser drauf und andere, da war sie weniger gut drauf. Das spürst du auch als Fotograf. Sie ist ja keine Maschine, aber so professionell, dass dann der Termin auch funktioniert. Ich bin immer mit einem guten Foto nach Hause gegangen.

    Ihre Fotogalerie der Kanzlerinnen und Kanzler reicht von Willy Brandt, den Sie bei seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin 1989 fotografierten, bis hin zu Angela Merkel. Wie unterscheidet sich denn Merkel, was ihr Bildvermächtnis betrifft, von ihren Vorgängern?

    Biskup: Dass es kein einziges privates Bild von ihr gibt. Auch nur ganz wenige Bilder von ihr und ihrem Mann, bei den Festspielen in Bayreuth zum Beispiel. Kein Fotograf war bei ihr zu Hause. Ich finde das an sich in Ordnung, auch ein Politiker hat ein Privatleben und muss nicht alles zeigen. Andererseits glaube ich, dass der Bürger schon auch ein Anrecht darauf hat, dass derjenige, den man wählt und dem man das Vertrauen schenkt, dieses Land zu führen, etwas von sich preisgibt. Man muss ja nicht sein Schlafzimmer zeigen, aber wie zum Beispiel das Wohnzimmer eingerichtet ist. Bei Helmut Schmidt und Helmut Kohl war das möglich, auch Gerhard Schröder hat private Bilder zugelassen. Bei Kohl ist mir damals gleich aufgefallen, dass er auf der Terrasse Stühle stehen hatte, die es eine Zeit lang überall gab. Die hatten auch meine Eltern zu Hause.

    War Helmut Kohl vor der Kamera entspannt?

    Biskup: Sehr entspannt sogar.

    Kohl und Merkel hatte Biskup sogar einmal zusammen vor der Kamera, im Jahr 2009 in Ludwigshafen-Oggersheim.
    Kohl und Merkel hatte Biskup sogar einmal zusammen vor der Kamera, im Jahr 2009 in Ludwigshafen-Oggersheim. Foto: Daniel Biskup

    Und Helmut Schmidt?

    Biskup: Ebenfalls. Schmidt hatte auch viel Humor, wie auch übrigens Merkel. Mir erzählte der einstige Regierungssprecher Klaus Bölling einmal die Geschichte, wie Schmidt während eines Porträttermins einen Handstand gemacht hat – bewusst gerade in dem Moment, in dem der Fotograf Jupp Darchinger den Film wechseln musste.

    Helmut Kohl haben Sie zum Beispiel auch bei seiner zweiten Hochzeit fotografiert.

    Biskup: Ich hatte das Glück, dass er mir vielleicht mehr vertraut hat als anderen Fotografen. Und ich dann vielleicht wirklich die privatesten Bilder gemacht habe, wie er einmal in einer Rede gesagt hat. Mit ihm habe ich auch viele Reisen gemacht. Bei einer solchen Reise ist das Bild entstanden, das am Frühstückstisch in Peking mit der China Daily zeigt, am Tag nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center. Beim Frühstück hätte ich ihn sonst nie gefragt, ob ich ein Bild machen kann, aber an diesem besonderen Tag dann schon.

    Die vielleicht privatesten Bilder von Angela Merkel stammen vom Urlaub mit ihrem Mann in Südtirol …

    Biskup: … aber das sind ja alles Abschüsse. Da stehen irgendwelche Paparazzi mit dicken Objektiven. Aber das ist so, wie wenn man irgendein Hollywood-Schauspieler beim Verlassen einer Boutique oder eines Hotels fotografiert.

    Wie fotografiert man eine Kanzlerin? Sagt man dann zum Beispiel auch: Kinn hoch bitte, Frau Merkel?

    Biskup: Natürlich habe ich bei Einzelterminen erklärt, was ich gerne haben möchte. Ich habe einmal für eine Magazin-Geschichte einen Termin gehabt, da ging es darum, sie möglichst privat zu fotografieren. Da ist dann ein Bild in ihrem Büro entstanden, da sitzt sie auf dem Sofa und blickt über die Schulter. Ich habe ihr erst einmal vorgemacht, wie ich mir das vorstelle.

    Ist das Ihr Lieblingsbild von ihr?

    Biskup: Es ist sicher eines der ungewöhnlichen Fotos. Aber es gibt in den 30 Jahren ihrer Karriere natürlich viele interessante Fotos. Was mir sehr gut gefällt, ist ein Bild des Kollegen Michael Ebner. Da sitzt die relativ junge Angela Merkel am Anfang ihrer Karriere in einer Fischerhütte auf Rügen und unterhält sich mit den Fischern. Was meine Bilder betrifft, was ich sehr mag, ist das Foto, wie sie 2011 in Washington vor dem Weißen Haus ankommt, um von Barack Obama mit der Medal of Freedom geehrt zu werden. Wie sie da auf den Stufen steht und sich umdreht und zu ihrem Mann schaut, der um das Auto herumgehen musste. Da wirkt sie ganz unbefangen. Ich hatte mir einen Platz gesucht, an dem kein anderer stand, und dann hatte ich natürlich auch Glück: Dass sie sich in diesem Moment umdreht, lächelt, ihr die Sonne ins Gesicht scheint.

    Gibt es ein besonders emotionales Bild?

    Biskup: Für mich ist es das Bild, das sie am 12. März 2020 bei der Pressekonferenz zeigt, praktisch am Tag null der Corona-Krise, wenn man das irgendwie datieren will. Da hat Merkel zum ersten Mal gesagt: Bitte verzichten Sie auf soziale Kontakte. Bleiben Sie zu Hause. Das ist ja eine schwere Entscheidung für die Führungskraft eines Landes, und diese Schwere, diese Last, erkennt man auf dem Foto.

    Die Schwere des Amtes, wie sehr hat die sich im Laufe der Jahre in ihrem Gesicht abgezeichnet?

    Biskup: Ich weiß gar nicht, ob das die Macht ist, die sich da ausdrückt. Wenn jemand 30 Jahre gearbeitet hat, ob als Kanzlerin oder als Kassiererin, dann zeigen sich natürlich Spuren deines Lebens, dein Alter. Aber ich glaube nicht, dass Angela Merkel die Last des Amtes als so schwer empfunden hat. Warum hat sie es dann so lange gemacht? Die Macht, all die Möglichkeiten der Gestaltung, die können einen doch auch beflügeln?

    Von Willy Brandt bis hin zu Angela Merkel fotografierte Daniel Biskup alle Kanzler.
    Von Willy Brandt bis hin zu Angela Merkel fotografierte Daniel Biskup alle Kanzler. Foto: Jörg Carstensen, dpa (Archivbild)

    Noch einmal zu den Vorgängern. Gerd Schröder aber hat sich schon gerne als Macher mit Macht inszeniert, mit Brioni-Anzug und Zigarre …

    Biskup: Schröder hat sich sicher gerne so fotografieren lassen, aber das war ja auch der damalige Zeitgeist …

    … aber auch mit Pils vor der Currywurstbude …

    Biskup: Wobei von Angela Merkel gibt es schon auch Bilder von Sommerfesten mit einem Glas Wein in der Hand …

    …und nun auch noch eines mit Papagei auf dem Kopf. Das aber ist doch eher ungewöhnlich für jemanden, der ansonsten als Person hinter seinem Amt und all der Macht kaum jemals sichtbar wurde.

    Biskup: Manchmal kann sie einen wirklich überraschen, dass sie sich da diesen Papagei auf den Kopf setzen lässt, das ist ja auch mutig. Aber sie ist auch nicht der Mensch, der jedes Bild von sich kontrollieren möchte. So habe ich sie nicht erlebt. Die Fotos, die ich von ihr bei Terminen gemacht habe, da wollte sie keines vor der Veröffentlichung sehen. Du kannst ja als Politiker in dieser Position gar nicht alle deine Bilder kontrollieren. Deswegen gibt es ja auch von ihr viele nicht so vorteilhafte Bilder. Manche Fotografen legen es ja darauf an und die Bilder, das muss man sagen, werden von Medien auch gerne veröffentlicht. Aber es ist so: Du kannst von jedem Menschen ein sehr schlechtes Foto machen. Das ist überhaupt keine Kunst. Das ist sogar sehr simpel. Was sich aber unter Angela Merkel verändert hat: Die offiziellen Fotos aus dem Kanzleramt selbst sind deutlich besser geworden.

    Es gibt aber doch Politiker, die ganz bewusst viel mehr von ihrer Persönlichkeit preisgeben, sich inszenieren?

    Biskup: Natürlich hat jeder Politiker ein Konzept, wie er sich darstellen möchte. Das gehört dazu: Wie will ich mich verkaufen? Sebastian Kurz hat sich bewusst im Flugzeug in die Economy-Klasse gesetzt, von Robert Habeck gibt es natürlich Bilder in der Bahn oder beim Radfahren, weil das zu seiner Botschaft passt. Mit Karl-Theodor von Guttenberg bin ich einmal einen Tag unterwegs gewesen, wir waren auf dem Weg zum Reichstag und da hat er gesagt: Da vorne ist eine Absperrung, da springe ich immer drüber. Da habe ich natürlich dieses Bild gemacht. Das darf man nicht verteufeln. Die Politiker wollen ja auch interessante Bilder schaffen.

    Aber von Angela Merkel gibt es solche Bilder nicht .

    Biskup: Nein, so etwas würde sie nicht machen. Das ist aber auch eine Typ-Frage. Sie hat sich ganz sicher auch 2008 bei der Eröffnung der Oper in Oslo nicht wegen des tiefen Ausschnitts für das Kleid entschieden. Das war eine Abendveranstaltung, sie ist eine Frau und sie hat einfach ein schönes langes Kleid ausgesucht. Aber danach hat sie es nie wieder getragen, weil sie gesehen hat: Da ist doch zu viel Aufmerksamkeit auf einen Nebenschauplatz gesetzt worden. Daraus hat sie gelernt.

    Der künftige Kanzler Olaf Scholz gilt als jemand, der verbal schwer zu fassen ist. Gilt das auch fürs Fotografieren?

    Biskup: Er ist unkompliziert vor der Kamera und wirklich geduldig.

    Wobei er auf seinen Bildern – ganz wie Merkel – auch eher zurückhaltend wirkt, wenig von sich preisgibt.

    Biskup: Das Entscheidende ist, dass du als Fotograf durch deine Kommunikation, deine Ideen, den Moment schaffst, in dem du eine Persönlichkeit einfängst. Du bist derjenige, der inszeniert. Dafür hast du oft nur wenige Minuten. Scholz habe ich zum Beispiel bei seinem Wahlkampfauftritt in Regensburg fotografiert. Da ging es in den Umfragen für ihn schon nach oben. Und dann habe ich ihn schnell in dieses Partyzelt an den Biertisch gesetzt, mit dem Bierkrug, in dem die SPD-Wimpel steckten: Ein Mann, der ganz gelassen seinen Weg geht.

    Hat Frau Merkel Ihnen eigentlich je mal geschrieben oder so etwas gesagt wie: Vielen Dank, Herr Biskup, das Bild hat mir wirklich sehr gut gefallen?

    Biskup: Nein, aber sie hat mir mal bei einem Termin gesagt: Ich weiß ja, dass Sie in zwei Minuten ein gutes Bild zustande bringen. Und sie hat ihrer Doppelgängerin mein Merkel-Buch signiert zurückgeschickt. Ich denke, das hat ihr dann wohl gefallen.

    Der Fotograf: Daniel Biskup ist den Mächtigen der Welt so nah wie nur wenige, er fotografierte sie alle. Politik interessierte ihn schon immer. Momente, in denen Zeitgeschichte entsteht, ziehen ihn an. So erlebte der Augsburger 1989 als 26-Jähriger seinen Durchbruch als Fotograf: Damals spitzt sich die politische Situation in Osteuropa zu. Spontan reist er nach Budapest und begleitet die DDR-Flüchtlinge nach Westen. Er kann nicht anders, will dabei sein. Dabei blieb es bis heute.

    Das Buch: Angela Merkel hat Daniel Biskup 1990 das erste Mal fotografiert und seit 1993 bis heute immer wieder. Der Bildband über die scheidende Kanzlerin eröffnet einen ganz neuen, persönlichen Blick auf die mächtigste Frau der Welt (Verlag Salz und Silber; 208 Seiten, 39 Euro).

    Daniel Biskup war bereits zu Gast in unserem Podcast "Augsburg, meine Stadt". In der Folge spricht er über seine Besuche bei Trump, beim Papst und bei anderen mächtigen Menschen.

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