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Interview: Roth: "Es gibt Kreise, die einen regelrechten Kulturkampf führen"

Interview

Roth: "Es gibt Kreise, die einen regelrechten Kulturkampf führen"

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    Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) spricht über die Documenta, die Berlinale und die Landtagswahlen in Bayern.
    Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) spricht über die Documenta, die Berlinale und die Landtagswahlen in Bayern. Foto: Henning Kaiser, dpa

    Frau Roth, Sie sind zwei Jahre als Kulturstaatsministerin im Amt. Kritik an Ihren Entscheidungen ist öfter zu vernehmen – zuletzt wegen der Entscheidung, die Führungsstruktur der Berlinale zu ändern. Berühmte Filmleute haben sich enttäuscht gezeigt, dass Carlo Chatrian nicht mehr künstlerischer Leiter sein wird. Warum gibt's keine Doppelspitze mehr ab 2025?
    CLAUDIA ROTH: Wenn Sie Kultur nur möglichst geräuschlos verwalten wollen, schlägt das keine Wellen. Wenn Sie

    Und konkret: Warum diese Entscheidung bei der Berlinale? 
    ROTH: Nachdem Mariette Rissenbeek deutlich gemacht hat, dass sie ihren Vertrag nicht verlängern will, war das zunächst das Ende des bisherigen Führungsduos. Vor diesem Hintergrund hat mein Haus im Auftrag des Aufsichtsrates der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH, die Träger der

    Damit springe ich zum nächsten Punkt: Stichwort Documenta. Die Skandaldocumenta 2022 ist vorbei. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen? 
    ROTH: Wir haben als Bund gesagt, dass wir keine Gelder mehr geben werden, wenn wir nicht mitentscheiden und mitgestalten können. Bei der letzten Documenta hatten wir ja keinerlei Einflussmöglichkeiten. Es gibt bereits erste positive Gespräche mit dem neu gewählten Oberbürgermeister von Kassel. Er sagt anders als sein Vorgänger nicht, dass

    Ein gewichtiges Zeichen haben Sie mit der Rückgabe der 1130 Beninbronzen gesetzt. Da war Deutschland das erste Land. Es gab aber auch Kritik, deutlich vernehmbar, als die Bronzen innerhalb Nigerias an den Nachfahren der Könige von Benin übergeben worden sind. Wie stehen Sie dazu? 
    ROTH: Da hat der Versuch einer Skandalisierung stattgefunden mit zum Teil neokolonialen Tönen. Dabei waren die Bronzen in unseren Museen doch nur ein vermeintlicher Besitz, wir haben nur zurückgegeben, was uns nie gehört hat. Es kann nicht sein, dass der Hehler die Bedingungen der Rückgabe diktiert. Natürlich haben wir in den Verhandlungen den Wunsch geäußert, dass die Bronzen öffentlich gezeigt werden. Die Bronzen sind dann Thema im Wahlkampf in Nigeria gewesen. Der amtierende Präsident konnte nicht noch einmal kandidieren. Er hat die Bronzen dem Obi versprochen. Eigentlich ist dafür aber die National Commission for Museums and Monuments zuständig. Mit der neuen Regierung von Nigeria werden wir jetzt sehr bald Kontakt aufnehmen. Der ehemalige nigerianische Botschafter in Deutschland ist jetzt der neue Außenminister. Er kennt die Debatte in Deutschland sehr genau. Und es gibt auf der nigerianischen Seite ein großes Interesse, dass es einen öffentlichen Zugang für die Kunstwerke geben wird.

    Wie ist die Rückgabe international aufgenommen worden?
    ROTH: Sie hat international viel Bewegung in diese Frage gebracht. Bei der G20-Kulturminister-Sitzung in Indien ist von einigen Ländern, allen voran von Australien, gesagt worden, dass Deutschland eine Vorbildfunktion eingenommen hat und dass die Debatte über koloniales Unrecht dadurch in Ländern, die entweder Opfer oder Täter waren, vorangebracht wurde. Was wir auch nicht unterschätzen sollten, wie diese Rückgabe unsere kulturellen Beziehungen mit einem so wichtigen Land wie Nigeria gestärkt hat. Da tut sich jetzt viel.

    Sie haben auch die Reform dieser ziemlich großen Organisation namens Stiftung Preußischer Kulturbesitz in die Wege geleitet. Die Stiftung scheint bereit dafür. Bei der Frage der Finanzierung hakt es noch. Das kann der Bund ja nicht allein entscheiden, sondern nur zusammen mit den Ländern. Wie geht es weiter? 
    ROTH: Wenn Sie diese sehr große Struktur anschauen, die ja sehr viele Museen und Kulturinstitutionen in Berlin unter ihrem Dach vereint, dann ist klar, dass das nicht von heute auf morgen geht. Aber da ist durch die Reform bereits eine gute Dynamik entstanden, mit der kreativen Gestaltungskraft einzelner Einrichtungen die zentralistische Struktur zu verändern. Da passiert richtig viel. Die Länder haben auch schon signalisiert, dass sie eine Erhöhung der Mittel für die Reform möglich machen wollen, allerdings bislang auf einem Niveau, bei dem ich noch Gesprächsbedarf habe. Diese Gespräche führe ich jetzt in den nächsten Monaten. Diese Leuchttürme unserer Kultur in der Bundeshauptstadt, die ja auch von vielen Menschen weltweit besucht werden, sind ja für uns alle im Land und damit auch für alle Bundesländer von großer Bedeutung.

    Hinzu kommen bei Ihnen als Kulturstaatsministerin auch Erbschaften wie der Neubau des Museums für Moderne in Berlin. Sie haben dem Projekt noch einmal einen neuen Dreh gegeben. Warum?
    ROTH: Vorgefunden habe ich, dass sogar der Bundesrechnungshof gesagt hat, dass für den Bau zu wenig Nachhaltigkeitskriterien vorgesehen sind. Da war für mich sofort klar, dass wir da radikal umplanen müssen. Dafür habe ich die Architekten Herzog & de Meuron, den Direktor der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, sowie auch den Präsidenten des Umweltbundesamtes, Prof. Klaus Messner, zusammengebracht. Außerdem habe ich zusätzlich 10 Millionen Euro möglich gemacht. Jetzt haben wir ein neues Konzept für dieses Museum der Moderne, das mich wirklich überzeugt.

    Sie stehen voll hinter dem Neubau?
    ROTH: Voll. Wir bauen nicht nur ein Museum, sondern viel mehr. Es wird dort nicht nur die großartige Kunst von Gerhard Richter und Joseph Beuys gezeigt, vielmehr werden diese Werke in ein offenes Haus eingebettet, in dem auch Theater, Musik und Film gelebt werden. Es passiert dort sehr viel mehr als in einem Museum, es soll ein sozialer Raum werden, der zum Verweilen einlädt, zur Begegnung, zum Austausch. So soll auch die Umgebung des Museums werden: mit viel Grün und Schatten und Aufenthaltsmöglichkeiten, die Jung wie Alt, Familien und internationale Gäste ansprechen.

    Zuletzt haben Sie zugesagt, dass die vom Bund geförderten Kulturinstitutionen an Künstlerinnen und Künstler künftig Mindesthonorare zahlen sollen. Ein großer Schritt. Wie kam es dazu?
    ROTH: Künstlerinnen und Künstler sollten von ihrer Arbeit auch würdig leben können und hierfür angemessen bezahlt werden. Das ist leider immer noch viel zu oft nicht der Fall. Das wollen wir zunächst da ändern, wo wir es direkt können.

    Wie bringen Sie die Länder und die Kommunen dazu, sich anzuschließen?
    ROTH: Viele Länder denken über die soziale Lage von selbstständigen Künstlerinnen und Künstlern ernsthaft nach und haben bereits eigene Initiativen zur Einführung von Mindesthonoraren entwickelt. Das kann ich nur begrüßen. Die Lage war schon vor der Pandemie schlecht und ist immer noch schlecht. Es kann nicht sein, dass viele, die Kultur ermöglichen, als Lohn dafür im Prekariat leben müssen. Deshalb hoffe ich, dass sich dem Beispiel auch andere öffentliche und private Förderer anschließen werden. Nur so bringen wir Verbesserungen auch in die Fläche.

    Zum Schluss noch ein Blick auf Bayern. Das Land befindet sich im Landtagswahlkampf. Man sagt, Sie haben einen guten Draht zu Markus Söder. Wie schätzen Sie die Möglichkeit ein, dass es künftig eine schwarz-grüne Landesregierung gibt?
    ROTH: Erst muss ich sagen, dass ich tief erschüttert bin von den Ereignissen in unserem Land und von dieser Stimmung.

    Inwiefern?
    ROTH: Es ist wie eine Erosion, als ob jemand die Büchse der Pandora geöffnet hat. Wir haben zum Beispiel bei uns in Augsburg eine Zerstörung von Wahlplakaten in einem Ausmaß wie noch nie, etwa 40 Prozent. Wir spüren im Wahlkampf eine aggressive und bösartige Stimmung. Ich glaube, dass der Fall Aiwanger und sein wenig verantwortlicher Umgang mit der historischen Verantwortung dazu beigetragen haben. Er hat sich jetzt zum Opfer erklärt und daraus Bierzelt-Nummern gemacht mit offensiven Angriffen auf die Grünen. In einer Situation, wo das Sagbare zum Machbaren übergeht und wo der Angriff auf die Menschlichkeit zum Angriff auf den Menschen wird, braucht es jetzt eine Verantwortung der demokratischen Parteien und dem politischen Konkurrenten gegenüber. In Zeiten, wo es antidemokratische Kräfte gibt, müssen die demokratischen Parteien in der Lage sein, miteinander zu arbeiten, auch zu koalieren. Hier muss es doch ein gemeinsames Verständnis geben, die Demokratie gegen jene zu verteidigen und zu stärken, die sie beschädigen und aushöhlen wollen. Und wir haben auch in Bayern gute Beispiele, wo sich politische Konkurrenten zusammenraufen und eine schwarz-grüne Zusammenarbeit gut funktioniert, etwa in meiner Heimat, in Bayerns drittgrößter Stadt Augsburg.

    Zur Person

    Claudia Roth, 1955 geboren und in Babenhausen bei Memmingen aufgewachsen. Roth ist von 1998 bis 2001 und seit 2002 Mitglied des Bundestages. Sie tritt für den Wahlkreis Augsburg an. Seit 2021 ist sie Kulturstaatsministerin des Bundes.

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