Wenn man vom Thema Ihres Debüts als Spielfilmregisseur ausgeht, scheinen Sie sich für den Tod zu interessieren.
CHARLY HÜBNER: Das müssen wir. Als Kind war es für mich immer ein wenig gespenstisch, wenn die Erwachsenenwelt auf Trauerfälle unglaublich bestürzt reagiert hat – so als wäre der Tod nicht vorgesehen. Als ich selbst mal mit einer Blinddarmentzündung in der letzten Sekunde ins Krankenhaus kam und auf der Schippe stand, dachte ich: Beim Leben ist nur eines klar, es wird enden. Es ist abstrus, dass wir uns erst kurz vor Schluss damit beschäftigen.
So gesehen dürften Sie sehr empfänglich für Thees Uhlmanns Roman gewesen sein.
HÜBNER: Sofort. Das begann mit der ersten Szene, wenn es heißt: „Ich bin Ihr Tod, Sie haben noch drei Minuten Zeit.“ Wobei das letztlich eine Geschichte über den Sinn des Lebens ist. Warum lebt man? Wie ist es, wenn du jenseits aller Stereotypen, wie sie in Magazinen dargestellt werden, in einem einkommensschwachen Stadtteil wohnst und alte Menschen pflegst?
Welche Antwort gibt der Film auf diese Frage?
HÜBNER: Letzten Endes landest du bei der Familie. Die Protagonisten lassen alle Verabredungen stehen und setzen sich in das Auto, denn das Wichtigste für die Hauptfigur ist, dass er endlich einmal seinen Sohn sehen kann. Es geht um die Zukunft, den Nachwuchs, auch wenn es doof ist, dass der Tod mit im Auto sitzt.
Inwieweit haben Sie in Ihrem Familienkreis Bekanntschaft mit dem Tod gemacht?
HÜBNER: Mein Vater ist vor 16 Jahren verstorben. Von jetzt auf gleich. Ich bin damals an meinen Heimatort zurückgekehrt und habe mich eine Weile um die Mutter gekümmert.
Wie lange waren Sie vorher weg?
HÜBNER: Locker 15 Jahre.
Was für ein Gefühl war mit dieser Heimkehr verbunden?
HÜBNER: Ich war erstaunt, was das für eine Wirkung auf mich hatte. Wir haben sehr viel Wald, sehr viel Feld, sehr viel Wasser. Keine Autobahn, ganz wenig Bahnhöfe, gar keine Flugzeuge. Und ich habe gemerkt, das ist wie ein Kiel oder ein Sockel für mich. Von hier aus kann ich überall hinfliegen und alles machen. Deshalb ist es für mich wichtig geworden, immer wieder dort zu sein.
Aber in jungen Jahren wollten Sie unbedingt weg?
HÜBNER: Total. Ich bin ja schon mit 16 weggezogen. Ich will auch jetzt immer wieder weiterziehen. Irgendwann will ich auch Hamburg wieder verlassen. Aber gleichzeitig gibt es Landschaften wie zum Beispiel im Süden Mecklenburgs, meistens eine Mischung aus Hügelland, dichten Wäldern und klarem Wasser, die ein anderes Gefühl bei mir auslösen: alles beiseitelegen und nur noch herumliegen. Das kann ich auch richtig lange. Da ist absoluter Stillstand.
Was in den schnelllebigen Zeiten von heute nicht unbedingt angesagt ist.
HÜBNER: Es gibt schon Generationen, die sauer werden, wenn du mal zwei Tage nicht aufs Handy guckst. Die denken, du hast mit ihnen ein Problem. Aber für mich ist es nicht mein Sein. Ich hadere damit, wenn man mir das zum Sein machen will.
Dieses Gefühl des Alles-Beiseitelegens klingt ein wenig nach der Unbekümmertheit der Kindheit. Sehnen Sie sich danach?
HÜBNER: Sagen wir es so: Ich finde, das Leben müsste so sein, dass es sich wie Kindheit und Urlaub anfühlt.
Ihre Eltern hatten einen gastronomischen Familienbetrieb. Habe die es akzeptiert, dass Sie Ihre eigenen Wege eingeschlagen haben?
HÜBNER: Meine Mutter hätte sich sehr gewünscht, dass ich da einsteige. Aber es war eher in diesem traditionellen Sinn, dass die Kinder das machen, was die Eltern machen. Sie hat das auch nie laut vorgetragen. Ums Abitur herum habe ich ein bisschen in der Gastronomie gearbeitet, und das hat für den Rest meines Lebens gereicht. Wenn du es hinkriegen willst, musst du passionierter Gastwirt sein. Du musst das wollen, denn dieses Leben ist härtester Rock ’n’ Roll. Diese Passion hatte ich nie.
Das heißt, die Schauspielerei ist nicht so hart?
HÜBNER: Wenn man das gut handhabt, kann man das nicht vergleichen. Bei mir ist es viel entspannter, zumal ich Herr meiner Zeit bin, also auch Herr meiner Pausen.
Diese Pausen könnten ja auch deshalb nötig sein, weil Ihre Frau Lina Beckmann ebenfalls als Schauspielerin durch die Weltgeschichte zieht?
HÜBNER: Wir versuchen, so viel Zeit als möglich miteinander zu verbringen. In den letzten Jahren ist uns das top gelungen, ansonsten ist das nervig.
Sind Sie darüber glücklich, dass sie in Ihre Fußstapfen bei „Polizeiruf 110“ getreten ist?
HÜBNER: Erst mal war ich von den Gedanken der Verantwortlichen nicht so beseelt. Denn als Privathaushalt fragt man sich, ‚Wat soll dat denn?‘. Aber dass sie sich als Schauspielerin mit diesem Milieu befassen darf und will, dazu darf ich keine Meinung haben und habe auch keine. Ich hoffe auf jeden Fall, dass sie sich darin wohlfühlt.
Können Sie eigentlich sagen, inwieweit Ihre Verhaltensmuster von Ihren Eltern geprägt wurden?
HÜBNER: Das klingt vielleicht erschütternd, aber ich würde sagen: gar nicht so viel. Aber da sollten sie meine Geschwister fragen, die wissen das viel besser.
Zur Person
Charly Hübner, geboren 1972 in Neustrelitz, ist mit Serien wie „Polizeiruf 110“ bekannt geworden. Seine Pläne und Interessen reichen über den üblichen TV-Horizont hinaus. Ein Beleg dafür ist sein Regiedebüt, die Verfilmung von Thees Uhlmanns schwarzhumorigem Roman „Sophia, der Tod und ich“, das ab 31. August im Kino läuft.