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Interview: Bestsellerautorin Amelie Fried: „Alter ist nichts, wofür wir uns schämen müssen“

Interview

Bestsellerautorin Amelie Fried: „Alter ist nichts, wofür wir uns schämen müssen“

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    Die Schriftstellerin Amelie Fried ist vielen auch aus dem Fernsehen als Moderatorin bekannt. 1984 begann ihre TV-Karriere mit dem Magazin "Live aus dem Alabama".
    Die Schriftstellerin Amelie Fried ist vielen auch aus dem Fernsehen als Moderatorin bekannt. 1984 begann ihre TV-Karriere mit dem Magazin "Live aus dem Alabama". Foto: Raimund Verspohl

    Frau Fried, am 31. August erscheint Ihr neues Buch „Traumfrau mit Ersatzteilen“ Haben Sie schon ein Exemplar?

    Amelie Fried: Ja, vor ein paar Tagen kam der Karton meines Verlages und das ist immer wieder aufregend, wenn die Bücher vor einem liegen.

    Ich frage deshalb, weil es mit diesem ersten Exemplar ja etwas Besonderes auf sich hat für Sie.

    Fried: Das erste Buch, das ich in den Händen halte, gebe ich tatsächlich nie her und das ist auch das Exemplar, aus dem ich dann bei Veranstaltungen lese. Das ist so ein kleiner Aberglaube von mir

    In Ihrem neuen Buch geht es unter anderem ums Älter werden, um den Blick, den die Gesellschaft vor allem auch auf ältere Frauen hat. Was raten Sie mir, die wie Ihre Heldin Cora Schiller demnächst 60 wird?

    Fried: Cool bleiben, dankbar sein, dass Sie 60 werden, weil es nicht selbstverständlich ist und vielleicht auch ein paar Gedanken daran zu verschwenden, was Ihnen in den verbleibenden 20 bis 24 Jahren, die statistisch noch vor Ihnen liegen, wichtig ist, was Sie tun wollen, was Sie vielleicht versäumt haben und, ganz wichtig, was Sie loslassen wollen. Ich habe für mich entschieden, dass meine Lebenszeit zu kostbar ist, um sie mit Menschen zu verbringen, an denen mir nicht wirklich etwas liegt. Ich habe also mit steigendem Alter beschlossen, die Zeit gut zu nutzen, weil ich auch erlebe, dass der eine oder die andere noch nicht einmal die statistische Lebenserwartung erreicht. Man schiebt vieles auf und irgendwann ist es dann zu spät.

    Amelie Fired: Traumfrau mit Ersatzteilen. Heyne, 416 Seiten, 17 Euro)
    Amelie Fired: Traumfrau mit Ersatzteilen. Heyne, 416 Seiten, 17 Euro) Foto: Heyne Verlag

    Dieser Unmut, der Cora beschleicht, als sie an ihrem Geburtstag vor dem Spiegel steht, dass nicht mehr alles da sitzt, wo es mal war, sind Sie davon verschont geblieben?

    Fried: Ich habe mich mit der Tatsache, dass mein Körper altert, schon sehr früh versöhnt. Es ist so sinnlos, damit zu hadern. Viel wichtiger ist, dass er gesund ist, dafür tue ich einiges, aber Alter ist doch nichts, wofür wir uns schämen müssen. Das ist ein natürlicher Vorgang und wir können einiges tun, damit wir in vielerlei Hinsicht gut altern, aber ich habe nicht die Absicht, mich für mein Alter zu rechtfertigen oder es zu verleugnen.

    „Das war vielleicht die größte Überraschung am älter werden, dass die anderen einen als verändert wahrnehmen, man aber im Kern die Persönlichkeit bleibt, die man immer schon war“, stellt Cora fest. Was meinen Sie damit?

    Fried: Früher habe ich Menschen ab einem bestimmten Alter nur als alte Menschen wahrgenommen und ich habe mich gar nicht damit befasst, wer die eigentlich sind. Sind sie nett, lustig, interessant, kann ich etwas von ihnen lernen. Jetzt wo ich selbst langsam älter und alt werde, habe ich natürlich Freunde und Bekannte in meinem Alter und auch ältere, und mit einem Mal stelle ich fest: „Guck mal an, das sind genauso individuelle Persönlichkeiten wie meine jungen Freunde damals“. Wenn ich nach 40 Jahren jemanden wiedertreffe, mit dem ich in der Schule war, dann staune ich immer wieder darüber, wie ich ihn sofort wiedererkenne, nicht unbedingt optisch, aber vom Wesen her. Man ist der Mensch, der man immer war, daran sollten wir im Umgang mit älteren Menschen denken. Die Gesellschaft hat eine Frau mit 60 in erster Linie als ältere Dame abgespeichert, das heißt oft auch, dass Frauen in unserem Alter nicht mehr alle Möglichkeiten zugestanden werden. Die muss man sich dann schon hart erkämpfen.

    Sie selbst haben um die 60 noch einmal mit etwas Neuem begonnen und arbeiten jetzt auch als systemische Coachin. Wie sind Sie dazu gekommen?

    Fried: Ich hatte immer ein großes Interesse für Psychologie, aber mit 2,1 war mein Abi-Schnitt zu schlecht und ich hätte nur mit einer gewissen Wartezeit studieren können. Die Geduld hatte ich nicht. Ich habe aber das Interesse an Psychologie immer behalten, auch meine Romane sind davon geprägt. Als die Kinder dann groß waren, und ich wieder mehr Zeit hatte, wollte ich noch einmal etwas lernen. Ein ganzes Psychologiestudium war mir zu viel, deshalb habe ich mich dann konzentriert auf eine Mediations- und Coaching-Ausbildung. Das hat mich ungemein bereichert. Ich war zwar immer die Alteste, aber irgendwann hat es gar niemand mehr bemerkt. Ich habe sehr davon profitiert und meine Umgebung auch.

    Im Fernsehen sieht man sie kaum noch.

    Fried: Gar nicht mehr.

    Wurden Sie ausgemustert, wie man so unschön sagt?

    Fried: Frauen haben oft nicht dieselben Möglichkeiten wie Männer, wenn sie älter werden. Beim Fernsehen ist das noch viel mehr der Fall. Wie viele Frauen im Deutschen Fernsehen kennen Sie, die über 60 sind? Mir fällt nur eine ein: Birgit Schrowange. Das hängt damit zusammen, dass an den wichtigen Schalthebeln eben immer noch Männer sitzen, und so lange das so ist, ist der männliche Blick der entscheidende. Und der sieht eben lieber eine flotte 35-Jährige als eine gereifte 65-Jährige. Es dauert wohl noch ein bisschen, bis man in den Fernsehanstalten verstanden hat, dass man sich die Welt nicht nur von den 35-Jährigen erklären lassen möchte.

    Ist das bitter für Sie?

    Fried: Ich bin mit Fernsehen schon sehr lange durch. Ich habe das über 35 Jahre gemacht, und irgendwann habe ich mich ehrlich gesagt auch ein bisschen gelangweilt, weil nichts Neues mehr kam. Fernsehen habe ich immer als meinen Nebenberuf begriffen und das Schreiben als Hauptberuf. Es war mir immer klar, dass das aus besagten Gründen einmal aufhören wird. Deshalb hadere ich damit nicht. Es ist wirklich bedeutend komfortabler, hinter dem Computer zu altern als vor einer Kamera. Deshalb habe ich dann ja auch zu schreiben begonnen.

    Schriftstellerin wollten Sie aber schon als Kind werden.

    Fried: Ja als ich elf Jahre alt war und das Buch „Harriet – Spionage aller Art“ gelesen hatte. Da geht es um ein Mädchen, das Menschen beobachtet und darüber schreibt. Das gefiel mir. Ich hatte davon einmal in einem Interview erzählt und als ich später bei einer Lesung war, stand eine Frau vor mir und schenkte mir genau so eine Ausgabe des Buches, das ich selbst gelesen hatte. Ich war so gerührt, weil mein Eigenes irgendwann verloren gegangen war, aber jetzt steht dieses Exemplar in meinem Regal und erinnert mich an meinen Kindertraum, Autorin zu werden.

    Und mit Büchern waren Sie ja auch von klein an vertraut.

    Fried: Ich stamme aus einem Bücherhaushalt. Mein Vater war Kulturredakteur und Herausgeber einer Tageszeitung, er hatte eine Sammlung von rund 15 bis 20.000 Büchern, meine Mutter ist Buchhändlerin und ich selbst konnte mit fünf Jahren lesen und tat das auch unaufhörlich. Das hat sicherlich auch dafür gesorgt, dass ich die Funktionsweise von Geschichten internalisiert habe. Ich habe einfach intuitiv gespürt, wie eine Geschichte erzählt werden muss, und so habe ich lange Zeit geschrieben. Einfach aus dem Bauch heraus.

    Hat sich das geändert? Immerhin geben Sie seit einigen Jahren zusammen mit ihrem Mann, dem Drehbuchautor Peter Probst, Schreibkurse?

    Fried: Ja, das Interessante ist, dass ich jahrelang aus dem Bauch heraus geschrieben habe und als ich mich für die Kurse damit beschäftigte, wie man Geschichten baut, eine Figur charakterisiert, Dialoge einsetzt, bekam ich erst einmal eine satte Schreibblockade. Ich habe gegrübelt und mich gequält, das hat Monate gedauert und dann kam der Moment, an dem ich beides zusammenfügen konnte. Jetzt profitiere ich von der Theorie, die ich mir erarbeitet habe. Meine Bücher sind durchdachter als früher.

    Sie ordnen sich selbst der unterhaltenden Literatur zu. Hatten Sie, auch vor dem Hintergrund Ihres kulturell geprägten Elternhauses, nie die Sorge, sich damit unter Wert zu verkaufen?

    Fried: Nein, weil ich kein Problem mit Unterhaltungsliteratur habe. Aber es gibt natürlich triviale und unterkomplexe Unterhaltung. Ich habe den Anspruch, mich davon abzuheben. Alle meine Bücher haben immer ein ernsthaftes Thema mit gesellschaftlicher Relevanz. Schon in meinem ersten Buch „Traumfrau mit Nebenwirkungen“ geht es um ein Thema wie pränatale Diagnostik. Das ist ja kein leichtes Thema, aber ich habe es eben auf eine Weise bearbeitet, die es den Menschen zugänglich macht. Andere Bücher handelten von Frauen in Männerberufen oder Patchworkfamilien. In „Die Spur des Schweigens“ geht es um eine MeToo-Affäre im Wissenschaftsbereich und ich bin wirklich sehr traurig, dass dieses Buch im Corona-Lockdown ein bisschen untergegangen ist, weil ich es für eines meiner besten halte. Ich schreibe eben keine „Boy meets Girl“-Geschichten und alle sind happy.

    Es sind Bücher, die meist von Frauen gelesen werden. Stört Sie das?

    Fried: Nein, das ist in Ordnung, ich schreibe gern für Frauen. Aber den Begriff „Frauenliteratur“ verwende ich nur in Anführungszeichen. Den finde ich herabsetzend. Bücher, die von Frauen geschrieben und von Frauen gelesen werden, sind angeblich „Frauenliteratur“. Bücher, die von Männern geschrieben und von Männern gelesen werden, bezeichnet kein Mensch als „Männerliteratur“. Ich würde mal sagen, zehn Prozent meiner Leser:innen sind Männer. Einer kam mal bei einer Lesung und sagte: „Ich habe nirgendwo so viel über Frauen gelernt wie bei der Lektüre Ihrer Bücher. Das ging mir wirklich ans Herz.

    Zur Person: Amelie Fried, geb. 1958, ist Autorin, Moderatorin und systemische Coachin. Bekannt wurde sie durch die Sendung „Live aus dem Alabama“ im Bayerischen Rundfunk. Sie lebt in München. In „Traumfrau mit Ersatzteilen“ (Heyne, 416 S., 17 Euro) steht Cora Schiller, gerade 60 geworden, eines Tages vor einer Herausforderung, mit der sie nicht gerechnet hat.

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