Eine Hummel sitzt fast regungslos auf dem Zweig eines Lavendelstrauches, unbeeindruckt von der Geschäftigkeit ihrer Artgenossen, die fleißig Pollen von den Blüten sammeln. Sie scheint wie gefangen von den subtilen, tiefgründigen Melodien und den rhythmischen Eskapaden der Band des US-amerikanischen Tenorsaxophonisten Walter Smith III., die zusammen mit dem Duft der ätherischen Öle des Lavendel und dem Abendgesang der Vögel die Luft im Botanischen Garten in Augsburg erfüllen.
Walter Smith III. spielt beim internationalen Jazzsommer in Augsburg - und vermeintliche Widersprüche finden zusammen
Smith überlässt, nachdem er mit wenigen Tönen das Thema des „Quiet Song“ andeutet, erst einmal seiner Band die Bühne, lehnt bescheiden an der Balustrade des Rosenpavillon und sieht mit wissendem Blick den drei Musikern zu, wie sie Ton und Stimmung des Konzerts setzen: eine mit rastlosem Schlagzeug versetzte Entspanntheit, ein in die Moderne übersetztes Traditionsbewusstsein und unversehens wechselnde Stimmungsbilder von nachdenklich bis euphorisch. Man könnte es das Walter-Smith-Paradoxon nennen – vermeintliche Widersprüche fügen sich in den unerwartetsten Momenten zusammen.
Smith kann einen Ton klingen lassen, als wären es hunderte, er spielt mit wildester Technik so luftig, als würden auf dem Speiseplan seiner Tour ausschließlich Soufflés stehen. Es ist leicht, sich in seinen Soli zu verlieren, trotzdem sollte man nie die Band aus den Ohren verlieren, sonst verpasst man die feinen Nuancen, die eine aus Pianist Danny Grissett, Bassist Joe Sanders und Schlagzeuglegende Bill Stewart geformte Weltklasseband wie selbstverständlich in petto hat, um ein Solo in dieser Weise strahlen zu lassen. Und die Kunst des Weglassens beherrschen. Mit wenigen Tönen zeichnen sie bei dem wunderschönen Arrangement des Kate-Bush-Songs „Mother stands for comfort“ die stille, glatte Wasseroberfläche eines klaren Bergsees, in dem sich die letzten Sonnenstrahlen des Tages brechen, während Bill Stewarts feines Besenspiel leichte Wellen verursacht, die den See aufwühlen und in einen übermütig sprudelnden Bach verwandeln, der immer schneller in Richtung des Abgrunds fließt, wo er zu einem beredten Wasserfall wird.
Klangideen tauchen zu den überraschendsten Momenten auf
Nach dem Konzert waren Stimmen aus dem Publikum zu hören, denen die Band ein wenig reserviert in ihrem Auftreten vorkam, doch wer braucht schon minutenlange Ansagen am Mikrofon, wenn man neunzig Minuten den Erzählungen eines Saxophons lauschen kann, mit allen Wendungen, Freuden und Tragödien, die das Leben mit sich bringt. Welcher Episode man gerade lauscht, erzählt oft das Thema, und der Komponist Smith hat größte Freude daran, die traditionellen Schemata aufzubrechen und das Thema erst verschwinden zu lassen, bevor es in verschiedensten Klangideen zu den überraschendsten Momenten wieder auftaucht.
„Return to casual“ heißt das aktuelle Album, von dem die meisten Nummern des Konzerts stammen, die Rückkehr zur Ungezwungenheit, zur Lässigkeit. Mit seinem mittlerweile zehnten Album, das einem Jazz-Ritterschlag gleich auf dem legendären Label Blue Note erschien, hat er seine Lässigkeit auf das nächste kompositorische Niveau gehoben, was nicht nur das Publikum wie gebannt die Musik verfolgen lässt, immer mit dem schönen Gedanken im Hinterkopf, dass jeden Moment wieder ein ungeahnter Klavierakkord, Drum Fill oder Tempowechsel kommen könnte, sondern auch die kleine Hummel. Als der Mond über dem Wald aufgeht und der Applaus verebbt, ist sie wieder verschwunden. Sie brachte wohl wenig Pollen nach Hause, hatte aber sehr viel zu erzählen. Willy Astor fragte mal in einem Song, warum es so wenig Hummelhonig gebe. Kann sein, dass Walter Smith III. etwas damit zu tun hat.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden