Allein das Preisschild über der Bar gibt einen Hinweis auf die ungewöhnliche Geschichte des Gebäudes, das gerade am Rand der Ingolstädter Altstadt aufgebaut wird. Ein kleines Mineralwasser: 4,50 Franken. Ein kleines Bier: zwischen 5 und 5,50 Franken. Ein Glas Champagner: 14 Franken. Einst stand der markante Holzbau im schweizerischen St. Gallen, wo er als Interimsbau für das dortige Drei-Sparten-Theater diente, als dieses saniert wurde. Dann war das Theater fertig und das Gebäude nach drei Jahren eigentlich überflüssig.
Sanierung: St. Gallen hat Ingolstadt ein Theater geschenkt
Der Holzbau sollte entsorgt werden, bis Mitarbeiter in der Ingolstädter Stadtverwaltung hellhörig wurden: ein Theater, das niemand braucht? Und dann auch noch geschenkt? Die Ingolstädter überlegten nicht lange - und ein paar Monate später fuhren bereits Lastwagen von der Schweiz nach Bayern und lieferten die ersten Balken an. Denn mit dem Theaterbau aus St. Gallen hatte die Stadt mit einem Schlag gleich eine ganze Reihe von Problemen gelöst. Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Scharpf sprach dann auch von einem „Geschenk des Himmels“.
Das Ingolstädter Stadttheater muss dringend saniert werden, das ist seit langem klar. Die Technik stammt wie der gesamte Bau des Architekten Hardt-Waltherr Hämer aus den 60er Jahren. Immer wieder sind Kabel und Leitungen kaputt, ständig gibt es irgendwo einen Schmorbrand, zuletzt erst sind bei einem Rohrbruch Unmengen an Wasser im Boden versickert. Rund eine Million Euro kostet aktuell allein der Unterhalt - pro Jahr. Doch das Theater kann erst geschlossen werden, wenn es für die Zeit der Sanierung einen Ersatzbau gibt. Eine Lösung schien auch schon gefunden. Die sogenannten Kammerspiele sollten für rund 50 Millionen Euro direkt neben dem Stadttheater gebaut werden. Doch es gab Widerstand, viele befürchteten eine Kostenexplosion beim Bau, und bei einem Bürgerentscheid im Sommer 2022 ist das Projekt schließlich gänzlich gescheitert.
Ersatz für Ingolstadt: Stadttheater kann nun durch das Geschenk saniert werden
Die Stadt musste mit ihren Überlegungen wieder von vorn beginnen, bis sich plötzlich die Augen nach St. Gallen richteten. Denn dort stand - noch - genau das, was Ingolstadt braucht: ein Theaterbau mit genau den passenden Maßen, mit Platz für rund 460 Zuschauerinnen und Zuschauer und einem Preis, der für die Stadt mit ihren aktuell klammen Kassen einfach unschlagbar war. Denn die Schweizer wollten für das Theater keinen Cent haben. Ganz umsonst war das Geschenk allerdings dann doch nicht. Denn für den Auf- und Abbau sowie den Transport musste die Stadt rund sechs Millionen Euro zahlen.
Über Jahre hatten sich die langwierigen Gespräche und Diskussionen um die Zukunft des Theaters hingezogen, umso schneller ging jetzt alles. Der OB hatte im September 2023 von der Chance erfahren, da war er noch im Sommerurlaub am Meer; gut einen Monat später hat der Stadtrat bereits seine Zustimmung für das Holztheater gegeben. Anfang 2023 kamen dann die ersten Bretter und Balken in Ingolstadt an, an die 350 Kubikmeter wurden insgesamt angeliefert, ein halbes Jahr später stand die Außenhülle. Dabei musste kaum etwas verändert werden, erklärt Nicolai Fall von der Stadt-Tochter Inko-Bau. Zumindest nicht an der Holzkonstruktion an sich, selbst die Spiegel in der Garderobe und die Preisschilder an der Bar wurden mitgenommen. Allerdings musste der Schweizer Bau an deutsche Normen angepasst werden, von der Technik selbst sind noch 80 bis 90 Prozent erhalten im Recycling-Theater, das jetzt auf einem Platz steht, wo sich einstmals das Ingolstädter Hallenbad befunden hat.
Das Theater aus St. Gallen wurde in Ingolstadt den deutschen Normen angepasst
Die Baugenehmigung gilt erst einmal für zwölf Jahre. So lange, hofft man in Ingolstadt, muss es aber hoffentlich nicht betrieben werden. Denn ein vager Zeitplan geht davon aus, dass das Stadttheater - läuft alles nach Plan - im Jahr 2030 frisch saniert eröffnen könnte.
Ursprünglich sollte das neue Theater im Glacis, wie die Interimsspielstätte offiziell heißt, am 20. März mit einer Schülervorstellung der „Konferenz der Tiere“ erstmals bespielt werden. Doch daraus wurde nichts, denn es gab Verzögerungen auf der Baustelle. Aber in einigen Wochen soll sich dann tatsächlich im Recycling-Theater zum ersten Mal der Vorhang heben.
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