Es ist ein Rennen gegen die Zeit an diesem strahlend blauen Sommermorgen im Botanischen Garten. In dem Kleinod im Siebentischwald stellt der frühere Gartendirektor der Stadt Augsburg Kurt R. Schmidt sein Buch zur „Japanischen Gartenkunst in Augsburg“ vor. Während man im Gartenpavillon schon den Sekt kaltstellt und Häppchen vorbereitet, steigt unaufhaltsam über dem Rasenrund im Japangarten die Sonne. Ist es am gewählten Fleckchen wieder zu heiß geworden, rücken die gekommenen Besucher, einer ums andere und ein ums andere Mal, dem schwindenden Schatten eines großen Nussbaums hinterher.
Kurt R. Schmidt ist in einem Haus mit Garten geboren, erzählt er. Der kleine Nutzgarten im Markgräflerland habe die Familie nach dem Krieg mit dem Nötigsten versorgt. Später arbeitete er auf einem Bauernhof, machte eine Gärtnerlehre, studierte später in Heidelberg und Weihenstephan. Er zog vom Neckar nach Westfalen und kam 1975 nach Augsburg, um die Leitung des Gartenamts zu übernehmen. Mit dem Amt kartierte er die Grünflächen und Biotope der Stadt; ein Pionier-Projekt, so erfährt man an diesem Vormittag, das selbst in der Megametropole Tokio Nachahmer fand. Mit der sonnengebräunten Haut, Schiebermütze und Jutebeutel sieht er auch mit 92 Jahren noch wie jemand aus, der viele Stunden im Garten schneidet, harkt und wässert.
Gartenkunst in Augsburg: Kurt R. Schmidt präsentiert Buch
Sein wohl augenscheinlichster Erfolg ist der Japan-Garten, dessen schwäbisch-japanische Entstehungsgeschichte er nun haargenau dokumentiert hat, aber auch kenntnisreich in die Gartenkultur des Landes einordnet. Als Chance zu Begegnung und Austausch will Schmidt seine Buchveröffentlichung verstanden wissen. Zwischen den Rednerinnen und Rednern, die die Gäste begrüßen als „liebe Gartengesellschaft“ oder „liebe Freunde des Augsburger Grüns“, sorgt dann konsequenterweise japanische Musik von Taiko-Trommlerinnen und Uwe Bublis an der Bambusflöte für ein musikalisches Begegnungs-Programm. Für Schmidt spricht die Gartenkultur, wie die Musik, eine Sprache, die alle Menschen intuitiv verstehen können.
Alles das, was sich nicht sofort den Sinnen erschließt, will sein Buch nachliefern: die realen Vorbilder des Augsburger Gartens, die typischen Garten-Motive und -Varianten in Japan und die darin ausgedrückten religiösen und philosophischen Ideen. Selbst die Geschichten deutscher Botaniker in einem von der Außenwelt abgeschirmten Japan will Schmidt nicht auslassen. Für ihn ist dieser Garten eben auch ein Stück Völkerverständigung. Dabei nahm die schwäbisch-japanische Gartendiplomatie ihre Anfänge lange bevor Schmidt in die Stadt am Lech zog. So ist in Schmidts Buch zu erfahren, dass der Erfinder des kleinsten Dieselmotors, der japanische Ingenieur und Unternehmer Magokichi Yamaoka in der Nachkriegszeit dem Augsburger Erfinder zu Ehren eine Rudolf-Diesel-Statue stiften wollte. Vorgesehen hatte er sie für den Augsburger Bahnhofsvorplatz. Sie sollte auf einem Granitsockel stehen und zwanzig Meter in die Höhe ragen. Am Ende stiftete Yamaoka der Stadt für ihren berühmten Sohn einen japanischen Steingarten, den Gedächtnishain im Wittelsbacher Park.
Augsburg hat sich an seine japanischen Partnerstädte gewandt
Als Augsburg 1985 die Landesgartenschau ausrichtete, witterte Schmidt seine Gelegenheit, die gartenkulturellen Beziehungen nochmals zu vertiefen: Dem für die Gartenschau beträchtlich erweiterten Botanischen Garten sollte ein Japan-Garten die Krone aufsetzen. Mit dem eher landschaftlichen und naturnahen japanischen Gartenstil konnte man auch einen gestalterischen Kontrapunkt zu den anderen Hauptprojekten der Schau setzen: zu dem geradlinigen barocken Kräutergarten am Rabenbad und dem verspielten Rokoko-Gärtchen im Schaezlerpalais. Da man im Gartenamt aber „kein exotisches Gartensurrogat“ wünschte, wandte man sich an die japanischen Partnerstädte Amagasaki und Nagahama, die neben Geld vor allem auch kundige Fachleute schickten. Diese hatten gleich einen ausgefeilten Gartenbauplan in der Tasche, der bei Einigen in der Stadt den Verdacht eines gartenkulturellen „Luxusprojekts“ nährte.
Anders als die im Europa des achtzehnten Jahrhunderts stilbildenden französischen Gärten mit ihren auf geometrische Linie gebrachten Hecken und Blumenbeeten, sind japanische Gärten kunstvoll arrangierte, verdichtete Miniaturlandschaften, wie Leser von Schmidts Buch erfahren. In der Natur Vorgefundenes ist für japanische Gartenkünstler kein nach Gutdünken zuzurichtender Rohstoff. Man unterstellt ihm eine Art Eigensinn, sieht ihn selbst als bestimmendes Element, das man sorgsam und gewissen ausgesprochenen oder unausgesprochenen Regeln entsprechend auswählt und arrangiert. Fasziniert schildert Schmidt die „detektivische Kleinstarbeit“, in der japanische Gartenkünstler zwischen Schwarzwald und Fichtelgebirge die passenden Steine für den Rudolf-Diesel-Gedächtnishain suchten: aus Granit, aber nicht zu weiß, immer mit Blick auf den vorgefundenen Moosbewuchs. Die Landschaften, die sich aus den Elementen ergeben, aus den Granitsteinen, Ahornbäumen, den gewundenen Bächen und Steinlaternen, sind gleichermaßen vorgefertigten Typen und Varianten entsprechend wie sie Unikate sind. Nach außen hin durch hohe Zäune oder Baumwuchs geschlossen, bilden diese Landschaften in sich abgeschlossene Miniaturwelten. Kein Wunder also, dass Japaner Bonsaibäume schufen, ebenso wie Miniaturgärten, die in eine kleine Keramikschale passen. In einer derart abgeschlossenen Gartenwelt darf der Strom eines Wasserfalls, wie ihn die japanischen Gartenkünstler für Augsburg vorsahen, in keiner Weise zurückzuführen sein auf Rohre und Pumpen aus der Außenwelt. Er muss schon „aus dem Nichts“ kommen.
Mit leuchtenden Augen erzählt Kurt R. Schmidt von seiner ersten Reise quer über den Globus nach Japan. Nachdem man ihm als gartenkünstlerisches Ideal immer den akkuraten Versailler Schlosspark vorgehalten hatte, beeindruckte ihn „die totale Stille in diesem Trubel in einem kleinen Hof von wenigen Quadratmetern zwischen den Wohnblöcken“. In dieser Kleinteiligkeit sieht Schmidt heute auch eine Antwort auf die zunehmende Erhitzung von Städten. Er spricht von einem grünen Teppich, der sich durch die Stadt ziehen solle, kleinen Grünflächen, die „in der Summe klimatische Auswirkungen haben“. Bevor er sich verabschiedet, zitiert Schmidt einen Satz von Karl Valentin: „Der Garten ist weder klein noch groß, er ist hoch.“ Als der große Münchener Komiker 1948 verstarb, da war Kurt R. Schmidt schon fünfzehn Jahre alt. Heute träumt er von einer Bundesgartenschau in Augsburg. Und einem chinesischen Garten, der dann seine Pforten öffnen könnte.
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