Wenn einer mit 78 Jahren ein zweieinhalbstündiges Konzert vor ausverkaufter Olympiahalle in München fast fehlerfrei absolviert, dann hat er allein dafür Respekt verdient. Wenn dabei das Publikum zu 80 bis 90 Prozent aus begeisterten Frauen fast jeder Altersgruppe besteht, deren Träume er immer noch beflügeln kann, dann hat er als Künstler und Mann einiges richtig gemacht. Um es kurz zu machen: Der Sänger Howard Carpendale, der seit vielen Jahren am Starnberger See lebt, hat am Samstagabend bei seinem, wie er es nennt, "Heimspiel" eine große Show abgezogen.
Dass Schlagerfans auch bei minderer Musikqualität in Ekstase geraten, kann man in TV-Shows beobachten. Doch hier haben sie Grund dazu. Denn der Sänger aus dem südafrikanischen Durban hat sich die künstlerische Latte hoch gelegt: Er demonstriert eine erstaunliche Weiterentwicklung in seinen späten Jahren, die sich auch in den vergangenen Alben widerspiegelt. Gerade die alten Barden wie früher Udo Jürgens, inzwischen auch Roland Kaiser, haben wohl alle denselben Wunsch: Sie wollen sich und der Welt zeigen, dass sie nicht nur Instantmusik für simpel gestrickte Gemüter spielen.
Howard Carpendale wird in der Olympiahalle von einer 16-köpfigen Big-Band begleitet
Aufgrund ihrer langjährigen Erfolge können sie es sich leisten, selbst ihren frühen Hits noch einmal frisches Leben einzuhauchen, indem sie diese mit coolen Arrangements auf ein neues Niveau heben. Im Falle Carpendales nicht zu vergessen: die 16-köpfige Big-Band, von der der verstorbene Moderator Hans Rosendahl gesagt hätte, sie sei "spitze". Da kann man auch als neutraler Zuhörer ins Schwärmen geraten. Präzise Bläsereinwürfe, ein vierköpfiger, perfekt harmonierender Background-Chor, dazu so groovig ausgefeilte Arrangements, dass selbst die Security an den Eingängen das Tanzfieber überfiel.
25 Titel hat Carpendale im Programm. Am Ende bedankt er sich auch bei seinem Ärzteteam, das ihn offensichtlich so fit gemacht hatte, dass er den Konzertmarathon überstand. Nach mehr als 700 eingesungenen Liedern, 50 Millionen verkauften Alben und einer ausverkauften Open-Air-Tournee im vergangenen Jahr versprüht er nach wie vor Leichtigkeit, obwohl er sich zwischendurch hinsetzen muss. Am Tag nach dem Auftritt in München muss er allerdings mitteilen, dass ihn ein grippaler Infekt "gepaart mit einer allergischen Reaktion" erwischt habe und er deshalb die bevorstehenden Konzerte in Wien und Nürnberg absagen müsse. Es werde Ersatztermine geben. Und damit zurück nach München.
Howie erzählt, was für eine Ehre es für ihn ist, auf der Bühne zu stehen
Die Bühne ist zu Beginn in maritimes Blau getaucht. Die ersten Hits, von "Let's do it again" über "Ist ein Leben genug" bis "Du bist das Letzte..." singt er am Stück. Der Mann ist hochprofessionell. Wo "Howie", wie ihn seine Fans liebevoll nennen, inzwischen etwas die Beweglichkeit fehlt, heizt der Backgroundchor, der über die Bühne wirbelt, den Leuten ein.
Zwischen den Songs erzählt der Mann, der in den 60er Jahren in Südafrika aufbrach und über England vor Jahrzehnten in Deutschland gelandet ist, welche Ehre es für ihn ist, hier auf der Bühne stehen zu dürfen. Den ersten Fans schießen die Tränen in die Augen. Er beweist im nächsten Satz Humor, indem er sich spitzbübisch vorstellt – "für all diejenigen Männer, die von ihren Frauen ins Konzert mitgeschleppt worden sind und mich nicht kennen", wie er sagt. Die Halle lacht.
Seine Moderationen kommen auf den Punkt, dabei widersteht er bis auf eine Ausnahme der wohl steten Versuchung älterer Sänger, das Publikum mit Herrenwitzen anzustacheln. Carpendale hat das nicht nötig. Mit seinen größten Hits hat er deutsche Musikgeschichte geschrieben. Ganz gleich, ob "Hello Again", das er gleich nach der Pause bringt, oder "Nachts, wenn alles schläft" – die Songs entfalten ihre Wirkung.
Howard Carpendale will bleibende Emotionen schaffen
Bei "Tür an Tür mit Alice", das mit einem Einstiegssample von Queen aufgepeppt wurde, geraten die Schlagerfans förmlich in Ekstase, nicht zuletzt wegen des ihnen überlassenen Zwischenrufes im Refrain. Beim "Schönen Mädchen von Seite 1", das selbst bei Bild längst verschwunden ist, hilft eine neue Passage darüber hinweg, dass das Thema gestrig ist.
Carpendales Ziel ist es, wie er sagt, bleibende Emotionen zu wecken: "Sie werden in einigen Wochen nicht mehr wissen, welche Lieder ich gespielt habe, aber die Stimmung wird Sie noch Monate begleiten." Die ist meist bestens. Aber er hat neben den Stimmungsliedern auch Stücke mit sorgenvollen Botschaften wie "Willkommen auf der Titanic" gestreut.
Das perfekt ausgetüftelte Bühnenlicht tut in dieser Samstagabendshow ein Übriges. Carpendale und seine Band agieren vor einer großen Projektionsleinwand und werden von einem ufoartigen, beweglichen Scheinwerferkranz, der über ihren Köpfen schwebt, beleuchtet. Am Ende, kurz vor den vier Zugaben, die er ohne Pause direkt ans Programm anschließt und mit "Ti amo" abschließt, kündigt Howard Carpendale mit einem Augenzwinkern an, sich vorgenommen zu haben, mit 95 Jahren noch immer zu singen. Aber bis dahin ist ja noch genügend Zeit für ein "Hello again".