Julia Fuhr Mann blinzelt am Sonntagmorgen müde und erleichtert in die Sonne. Die gebürtige Ingolstädterin mit den kurzen schwarzen Haaren hat die Premiere ihres Abschlussfilms an der Münchner Filmhochschule und einen Interviewmarathon hinter sich, denn das Interesse an ihrem Film ist groß. "Life is not a competition but I'm winning / Queer gewinnt – Eine Sport-Utopie" ist ein Dokumentarfilm mit fiktionalen Elementen, der sich dem vorurteilsbeladenen Umgang mit Geschlechterrollen im Sport widmet und eine rasante Reise durch die Laufsportgeschichte unternimmt.
Regisseurin Julia Fuhr Mann ist zum ersten Mal auf dem Filmfestival in Venedig
Die Freude war riesig, als die Zusage aus Venedig kam. Die 36-Jährige ist zum ersten Mal in der Lagunenstadt und immer noch "ziemlich berauscht von der Schönheit und Kulissenhaftigkeit der Serenissima". Sport – das sind für Julia Fuhr Mann "große Gefühle und Körper, die Grenzen überschreiten" – für beides kann sie sich seit Jahren als Zuschauerin begeistern. Gleichzeitig schwinge bei ihr jedoch, gerade wenn sie Wettkämpfe am Bildschirm verfolge, auch immer der Ärger über Kommentatorinnen und Kommentatoren und bestimmte Regeln mit – vor allem was die Geschlechtertrennung betrifft.
Diese Aspekte filmisch miteinander zu verbinden und zu hinterfragen ist die Idee ihres dokumentarischen Essays, der im antiken Olympiastadion in Athen beginnt, wo Frauen anno dazumal nicht einmal als Zuschauerinnen zugelassen waren. Die Regisseurin nimmt vergessene Sportlerinnen wie Lina Radke, Wilma Rudolph und Stella Walsh in den Fokus und erzählt ihre Geschichten. Lina Radke war die erste deutsche Leichtathletin, die 1928 bei den Olympischen Spielen in Amsterdam den ersten 800-Meter-Lauf für Frauen gewann. Da sich jedoch eine andere Läuferin nach der Ziellinie aus Erschöpfung auf den Boden fallen ließ, genauso wie es auch viele Männer machen, gelangte das Olympische Komitee zu der Auffassung, dass Frauen bei der 800-Meter-Laufstrecke "physisch" überfordert seien und die Disziplin wurde bis 1960 für Frauen wieder aus dem olympischen Katalog gestrichen.
"Life is not a competition but I'm winning" hat eine queer-feministische Perspektive auf den Laufsport
Neben historischen Figuren stellt der Film auch aktive Läuferinnen und ihre Lebensgeschichten vor, wie die Trans-Langstreckenläuferin Amanda Reiter aus Lenggries, die 2019 die bayerische Meisterschaft im Marathon gewann, aber die Goldmedaille nicht erhielt. Stattdessen stand der Name einer Läuferin an erster Stelle, die gar nicht gemeldet war. Amanda Reiter, die auch zur Premiere in Venedig anreiste, legte Einspruch ein und erhielt schließlich ihre Medaille. Die queer-feministische Perspektive dieses filmischen Essays auf den Laufsport klärt und rüttelt auf und regt zum Nachdenken an.
Was Julia Fuhr Mann gerade in Venedig erlebt, hat der Regisseur und Kameramann Timm Kröger vor genau neun Jahren erfahren, als er mit seinem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg "Zerrumpelt Herz" ebenfalls zur "Internationalen Woche der Kritik" eingeladen war. In diesem Jahr feierte sein zweiter Spielfilm "Die Theorie von allem" im Wettbewerb um den goldenen Löwen eine glanzvolle Weltpremiere. Im Zentrum des Films steht der junge Physiker Johannes Leinert (Jan Bülow), der an seiner Dissertation arbeitet und seinen Professor Julius Strahten (Hanns Zischler) auf einen internationalen Physikerkongress in die Schweizer Alpen begleitet.
Timm Krögers "Die Theorie von allem" spielt in verschneiter Berglandschaft
Es ist das Jahr 1962, und in der verschneiten Berglandschaft passieren mysteriöse Dinge. Der iranische Wissenschaftler, der einen bahnbrechenden Vortrag zur Quantenmechanik halten soll, erscheint nicht. Eine geheimnisvolle Pianistin zieht Johannes in ihren Bann, doch etwas stimmt nicht mit ihr. Und dann kommt auch noch ein deutscher Physiker auf monströse Weise ums Leben. Alfred Hitchcock meets "Drei Männer im Schnee" – fremd und seltsam vertraut fühlt sich dieser Neue Deutsche Film Noir an.
Der Schnee gehörte zur Kernidee, erzählt der 37-jährige Regisseur in der Hollywoodlounge auf dem Lido nach der Premiere, denn "wenn das deutsch-naive auf eine amerikanisch erzählte Verschwörung trifft, geht das doch nur im Schnee". Auch dass der Film schwarz-weiß sein musste, stand von Anfang an fest. "Nicht nur, weil das auf die Vergangenheit verweist, sondern weil es gewisse Nebensächlichkeiten an den Rand drängen kann. Bei Schwarz-Weiß geht es mehr um Licht und Schatten. Es ist ein Film, in dem es auch um Leben und Tod geht, um Gegensätze: Schicksal versus Chaos, Liebe versus Paranoia." Und natürlich geht es in "Die Theorie von allem" auch um Physik, genauer gesagt um Quantenphysik und um die Frage, ob und inwieweit parallele Welten (Multiversen) und Zeiten miteinander existieren und kommunizieren können, so wie Schrödingers Katze, die zugleich tot und lebendig ist.
"Die Theorie von allem" kommt am 26. Oktober ins Kino
Der Film habe die Angewohnheit Verwirrung zu stiften, das sei Teil seines Versprechens. Und das bleibt spannend bis zum Schluss und darüber hinaus. Dem Epilog leiht der deutsche Filmemacher Dominik Graf seine unverkennbare Stimme. Denn diese Stimme, die für ihn untrennbar mit der deutschen Kultur verbunden sei, so Kröger, könne genau die Art von Geist, Humor und Abgründigkeit, die sein Film miteinander kombiniere, transportieren. Und so ist es. Ab dem 26. Oktober hat auch das deutsche Publikum die Gelegenheit, den Film im Kino zu sehen.