"Du bist ein Phänomen" singt Helene Fischer in einem ihrer bekanntesten Songs. Es könnte auch eine Selbstbeschreibung sein, denn ein Phänomen ist die Karriere der 39-Jährigen nun wirklich; von den Anfängen in Shows wie "Das Hochzeitsfest der Volksmusik" über den bekanntesten Schlagersong seit der Jahrtausendwende bis zu ausverkauften Stadionkonzerten. Das Konzept "Helene Fischer" scheint sich nicht abzunutzen. An fünf aufeinanderfolgenden Tagen tritt sie diese Woche in der Münchner Olympiahalle auf, mehr als 57.000 Tickets wurden verkauft.
Helene Fischer bietet in München Akrobatik mit dem "Cirque du Soleil"
Wie dieses Konzept in Live-Shows funktioniert, dürfte im Wesentlichen bekannt sein. Fischers Auftritte sind quasi nur zur Hälfte ein Konzert – die andere Hälfte ist eine Zirkusschau, deren Akrobatik bei objektiver Betrachtung auch diejenigen beeindruckt, die mit Fischers Musik wenig anzufangen wissen. Die Sängerin, die auf der Bühne selbst zur Teilzeit-Akrobatin wird, hat sich für diese Tour nicht umsonst die Unterstützung des "Cirque du Soleil" geholt. Eine noch nie dagewesene Show wollte die Schlager-Queen bei ihrer aktuellen Tour bieten. Kosten und Mühen werden keine gescheut. Man greift auf das gesamte Arsenal der Bühnentechnik zurück. Ob Feuer, Wasser, Wind, bei Helene Fischer kommt alles zum Einsatz, was für opulente Bilder sorgt.
Im knallroten Windkleid mit meterlanger Chiffonschleppe setzt sie sich zu "Volle Kraft voraus" in Szene, ein Artist turnt an zwei langen, von der Decke hängenden Tüchern. Zum Lied "Never enough", einem Cover aus dem Hollywood-Musical "The Greatest Showman", steht Fischer hinter einem glitzernden Regenvorhang, aus dem die Tropfen in verrücktem Muster fallen, beim Titel "Nur mit dir" wirbeln vier Artistinnen an Seilen über Fischer und ihren Tänzern.
In der Olympiahalle wagt sich Helene Fischer an gefährliche Geräte
In welche Richtung dieses Konzert gehen würde, wurde schon zu Beginn deutlich gemacht. Ein lauter wummernder Pulsschlag, der immer schneller wird, dann Musik, die immer lauter wird, blitzende Scheinwerfer, und über allem schwebt ein stoffbespannter roter Diamant, dem schließlich die amtierende Königin der deutschen Schlagermusik entsteigt. Während Fischer dank technischer Hilfe langsam gen Boden schwebt, stürmt ein gutes Dutzend Tänzerinnen und Tänzer die Bühne. Die Show beginnt. "Null auf 100", Helene Fischer hat sich den passendsten Titel zum Konzertbeginn aus ihrem Repertoire ausgesucht.
Und oft genug wagt sich Helene Fischer selbst an die gefährlichen Geräte. Besonders waghalsig: die Trapeznummer zum Song Wunden, im Laufe derer ein Artist kopfüber an der Stange hängt und die Sängerin mal an den Händen, mal an den Füßen hält. Fischer klettert zurück aufs Trapez, lässt auf sich eine Matte fallen, wird von ihren Tänzern wieder hochgeworfen. Das ist Artistik auf höchstem Niveau, das so mancher Zirkus nicht erreicht.
Wagt Helene Fischer zu viel nach ihrer Rippenfraktur?
Hat das aber Platz auf einer Musikbühne oder wagt Helene Fischer – ohne Sicherung und doppelten Boden – hier zu viel für die Show? Schon bei Tourproben hatte sich die 39-Jährige eine Rippenfraktur zugezogen, wegen der die Auftaktkonzerte verschoben werden mussten. Und während des Konzerts in Hannover gab es bei eben jenem Trapezkunststück einen Unfall, der letztlich zum Konzertabbruch führte. In einem Radiointerview verteidigte sich die Sängerin kürzlich. Sie sei nie leichtsinnig gewesen, erklärte sie dem hessischen Sender. Quasi unkaputtbar spielt sie sich durch die mehr als 70 Konzerte ihrer Rauschtournee.
Im Radio sagte sie zum Thema Artistik außerdem: "Hätte ich das nicht vor vielen Jahren angefangen, hätten sich die Shows nicht so entwickelt und ich wäre ich nicht die, die ich heute bin. Das gehört auch zu mir." Nicht zuletzt durch die Ehe mit Luftakrobat Thomas Seitel hat die Artistik nun einen ganz festen Platz in Fischers Leben. Romantischer Höhepunkt des Konzerts: Während Helene eines ihrer wenigen selbst geschriebenen Lieder ("Hand in Hand") singt, schwingt sie sich mit ihrem Mann um einen Bühnen-Wasserfall.
Fanservice: Helene Fischer macht in München ein paar Selfies
Einer solchen Show, wie Helene Fischer sie ihrem Publikum bieten will, muss sich aber auch so manches unterordnen. Banalitäten wie die Band, der die Schlager-Queen natürlich trotzdem oft genug auf der Bühne dankt, werden da mitunter zum optischen Störfaktor. Die längste Zeit sind die Musikerinnen und Musiker sowie die Backgroundsängerinnen und der Sänger in den hintersten Bühnenbereich verbannt, in der Regel von großen Leinwänden verdeckt.
Helene Fischer hat sich über die Jahre musikalisch durchaus weiter entwickelt. Der Bierzelt-Schlager-Beat verblasst von Album zu Album und doch ist es das, was die Fans hören wollen. Ein Schlagermedley, unter anderem mit "Von hier bis unendlich" sowie "Und morgen früh küss ich dich wach" (beide erstes Album aus dem Jahr 2006), hebt die Stimmung nach der Pause direkt auf einen neuen Höhepunkt. Zwischendurch gibts etwas Fanservice. Fischer scherzt mit dem Publikum, nimmt Geschenke entgegen und macht ein paar Selfies.
Fischer steuert 2023 in der Olympiahalle "atemlos durch die Nacht"
Helene Fischer zieht auf der Bühne alle Register. Doch wer bei knapp drei Stunden geballter Helene-Power auch mal innehält, ertappt sich möglicherweise auch bei dem Gedanken "Ist das nicht alles etwas skurril?" – etwa, wenn die Sängerin von einem sich in alle Richtungen drehenden Roboterarm, der passend zur Wiesn auch ein wenig an ein Jahrmarkt-Fahrgeschäft erinnert, herumgewirbelt wird. Für Helene Fischer geht es kopfüber und "atemlos durch die Nacht".