Herr Kazim, Sie sind in Oldenburg geboren, im Alten Land aufgewachsen, sprechen Platt und haben in der Marine gedient. Und letztens sind Sie mit dem Rad quer durch Deutschland gestrampelt. Gibt es Augenblicke, in denen Sie denken: Das war jetzt mal wieder typisch deutsch von mir! Oder ist das alles nur Klischee?
HASNAIN KAZIM (LACHT):: Im Vorurteil ist ja immer ein wahrer Kern. Meine Freunde sagen immer, sie kennen niemanden, der so deutsch ist wie ich. Und das ist nicht immer als Lob gemeint, manchmal wollen sich mich damit ärgern. Pünktlichkeit, Ordentlichkeit, Zuverlässigkeit, was man so klischeehaft deutsche Tugenden nennt, das ist mir unglaublich wichtig. Ich bin selbst immer fünf Minuten vor der Zeit. Jahrelang habe ich dann in Pakistan gelebt und als Spiegel-Reporter gearbeitet, da sind die Verhaltensweisen ganz andere. Ich habe pakistanische Wurzeln, das müsste mir ja auch irgendwie vertraut sein. Aber ich habe sehr schnell gemerkt, das ist gar nicht meins.
Sie erzählen in ihrem neuen Buch auch von der Geschichte Ihres Vaters. Er kam als Pakistani nach Deutschland. Sie lebten als Familie in Angst vor der Abschiebung. Wie schwer ist es, in Deutschland Fuß zu fassen?
KAZIM:: Es kommt darauf an, ob man sich die Heimat von anderen ausreden lässt. In meinem Heimatdorf Hollern-Twielenfleth leben manche Einwohner, von denen andere sagen: Das sind keine richtigen Altländer! Und das liegt nur daran, dass deren Großeltern nach dem Zweiten Weltkrieg aus Schlesien oder Pommern eingewandert sind. Das waren damals Flüchtlinge und drei, vier Generationen später weiß man immer noch: Die kamen nicht von hier. Das sitzt in den Köpfen fest und wird weitergegeben. Verrückt. Die sehen genauso aus wie alle anderen, die haben nicht wie ich eine dunklere Haut oder einen fremd klingenden Namen, die heißen Müller, Meier, Schmidt. Das erlebt man, wenn man äußerlich nicht ins gewohnte Bild passt, so wie ich, natürlich viel öfter. Auf der anderen Seite ist es ja auch an mir, dass ich mir das nicht in Abrede stellen lasse. Ich sage: Ich bin Hollern-Twielenflether, ich bin Deutscher. Punkt. Das ist meine Heimat.
Und jetzt, nach ihrer Radtour durch Deutschland: Haben Sie den Eindruck, dass es heute vielleicht sogar noch schwerer ist, in Deutschland anzukommen, wenn man den Erfolg der AfD im Osten betrachtet?
KAZIM:: Es ist immer noch möglich, man kann das schaffen. Wahrscheinlich haben wir auch einen Knick in der Wahrnehmung: Wir konzentrieren uns in der Betrachtung immer auf die Schwierigkeiten, wenn Flüchtlingsheime brennen, oder wenn Flüchtlinge ein Verbrechen begehen. Dann hat man das Gefühl, nichts funktioniert hier.
Sehen Sie das anders?
KAZIM:: Ja, das stimmt so nicht. Es ist wichtig, dass wir Probleme thematisieren, auf der anderen Seite muss man das Gesamtbild erkennen. Wenn wir immer wieder über Obergrenzen reden, klingt das sehr feindselig. Tatsache ist aber auch: Wenn immer mehr Menschen kommen, entstehen neue Herausforderungen. Meine Eltern, meine Schwester und ich, wir lebten zu viert in einem Dorf mit etwas über 3000 Einwohnern. Da gab es damals kaum andere Ausländer. Uns blieb gar nichts anderes übrig, als uns einzufügen in die Gesellschaft, die Sprache zu lernen, die Kultur, das Essen, die Nachbarn kennenzulernen. Wenn jetzt aber sehr viele kommen, die dann unter sich bleiben, findet dieser Prozess nicht statt. Wären meine Eltern in eine Großstadt mit vielen pakistanischen Menschen gezogen, zum Beispiel Frankfurt, wäre auch unser Ankommen anders verlaufen. Vielleicht wäre mir dann Pakistan sehr viel näher.
Wir feiern bald den 3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit. Wie viel Einheit ist denn noch zu spüren im Land, wie haben Sie das auf Ihrer Reise erlebt?
KAZIM:: Die Frage ist doch, was wir unter Einheit verstehen. Natürlich haben wir eine Einheit, wir sind ein gemeinsames Land, haben die gemeinsame Sprache, und ich habe erlebt, dass sehr viele Menschen im Osten dankbar für die Einheit sind. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Auffassung ist, dass das alles verkehrt war. Aber was man im Rückblick sagen muss: Früher hat man die Einheit so verstanden, dass der Osten werden muss wie der Westen. In allem. Und das ist ja auch in vielen Bereichen auf brutale Weise so durchgesetzt worden, man hat den Menschen im Osten das Gefühl vermittelt: Alles, was ihr bisher gemacht habt, war falsch. Alles bis auf das Ampelmännchen, das übernehmen wir, das sieht ja niedlich aus. Und dieses Gefühl sitzt natürlich bei manchen Menschen im Osten tief, dieses Gefühl, dass man ihnen ihre Biografie schlecht redet. Natürlich war die DDR ein Staat, in dem Diktatur herrschte, und man kann lange streiten, ob der Begriff „Unrechtsstaat“ angemessen ist oder nicht – ich zumindest halte ihn für richtig. Auf der anderen Seite war natürlich nicht alles schlecht, auch in der DDR lebten Menschen ein gutes Leben, einige Dinge funktionierten. Dieses Argument habe ich immer wieder gehört: Die Mieten waren vernünftig, überall gab es Arbeitsplätze. Ob das politisch so nachhaltig und vernünftig durchdacht war, bezweifle ich. Aber im Empfinden vieler war es so. Die Einheit ist trotzdem ein Erfolg, und ich möchte nicht, dass sich daran etwas ändert. Auf der anderen Seite ist der Osten nicht wie der Westen, und das ist auch gut so.
Sie haben ein Buch geschrieben, das sich optimistisch liest, allen Problemen zum Trotz. Welche Begegnungen am Straßenrand haben ihnen Hoffnung mit auf den Weg gegeben?
KAZIM:: Ich habe auf meiner Radreise, an sechs Flüssen entlang, vor allem gelernt, wie wunderbar man so mit den Menschen ins Gespräch kommen kann. Und dass diese ganze Wut und dieser Hass, wie er vor allem im Internet permanent stattfindet, uns den Eindruck vermittelt, als stünde Deutschland kurz vor dem Untergang. Das ist in der Wirklichkeit nicht so. Wenn man so wie ich westdeutsch sozialisiert ist und dann durch Ostdeutschland fährt, im Hinterkopf die Schlagzeilen von brennenden Flüchtlingsheimen und Menschenjagden hat, dann stellt man aber fest, dass es auch dort überall sehr starke Zivilgesellschaften gibt. Ich bin vielen Leuten begegnet, die tolerant sind, die auch willens sind, einem Westdeutschen wie mir ihre Heimat zu erklären. In der Zeit meiner Tour fanden die großen Demos gegen Rechtsextremismus statt und ich fand es beeindruckend, wie viele Hunderttausende in München, Berlin, Köln unterwegs waren. Aber was mich viel mehr beeindruckt hat, waren die Tausenden in Bautzen oder Görlitz, die sich trauten, gegen Rechtsextremismus zu protestieren. Für die steht wirklich etwas auf dem Spiel. Denen wird der Autoreifen aufgestochen, ein Stein in die Fensterscheibe geschmissen, die tragen ein echtes Risiko.
Aber scheitert die Politik nicht auch oft daran, ihre Ideen verständlich und einfach zu vermitteln?
KAZIM:: Ich habe nach den Wahlen ganz oft von Parteien gehört: Vielleicht müssen wir unsere Politik einfach besser kommunizieren? Da fasse ich mir an den Kopf. Vielleicht sollte man auch einfach mal überlegen, ob man eine falsche Politik macht, und nicht nur falsch kommuniziert?
Herr Kazim, Sie beginnen ihr Buch mit einer klaren Aussage: Sie mögen dieses Deutschland. Können Sie denn diesen Satz auch nach Ihrer Reise noch unterschreiben?
KAZIM:: Ja. Dieses Gefühl hat sich sogar noch einmal intensiviert, weil ich so viele tolle Menschen kennengelernt habe, die engagiert, freundlich, humorvoll und gastfreundlich sind. Die mich aufnehmen, wenn es regnet, mein Fahrrad in ihr Auto packen und ein Stück mitnehmen. Die mir ihre Türen öffnen, mit denen ich am Küchentisch sitzen darf. Die mir sogar ihre Gästezimmer zur Verfügung stellen. Bei allem, was schlecht läuft, und bei allen merkwürdigen Charakteren, auf die man natürlich auch trifft, und Extremisten aller Art, ist es doch ein Land, das vielfältig ist und viele Möglichkeiten bietet. Ein Land, das ich mag.
Zur Person: Hasnain Kazim, geboren 1974 in Oldenburg, wuchs im Alten Land und in Karatschi in Pakistan auf, studierte Politikwissenschaften und schlug eine Laufbahn als Marineoffizier ein. Er schrieb von 2004 bis 2019 für den Spiegel, auch als Auslandskorrespondent in Islamabad und Istanbul. Im Penguin-Verlag ist jetzt sein Buch „Deutschlandtour. Auf der Suche nach dem, was unser Land zusammenhält — Ein politischer Reisebericht“ (352 Seiten, 25 Euro) erschienen, über seine Radtour quer durch Deutschland.
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