An die 40 Jahre nun malt er im Raum Augsburg schon – und hat damit auch hier, in seiner zweiten Heimat, nachweislich Reputation erworben: Harry Meyer, 1960 in Neumarkt/Oberpfalz geboren. Indem er – seit seinen frühen Auftritten bei den Augsburger Kunstsalons der 80er-Jahre – in Institutionen ausstellen konnte, die klar als eine Instanz in Sachen Kunst gelten, hat er sich einen guten Namen auch in Relation zur nationalen Konkurrenz erarbeitet. Vertreten war Meyer mit Solo-Ausstellungen unter anderem schon im städtischen Brechthaus, im Maximilianmuseum (Graphik), im Höhmannhaus (Malerei) sowie mit plastischen Arbeiten im Diözesanmuseum 2020 – damals jedoch unter denkbar ungünstigen Corona-Umständen. Zweimal kam zudem die Schwäbische Galerie in Oberschönenfeld mit Einzelausstellungen hinzu – und in der einstigen anspruchsvollen Augsburger Galerie Oberländer hatte Meyer sich mit der besagten nationalen Künstlerkonkurrenz ebenso messen lassen müssen wie bei der Ausstellungsreihe „Nationale der Zeichnung“.
Harry Meyer zwingt physikalische Kräfte in Bild
Jetzt aber stellt er eine Übersicht seines Werks im Holbein-Haus zur Debatte – wobei ihm gefallen dürfte, dass er den diesmal kommunal vergebenen Ausstellungsort ausgerechnet im 500. Todesjahr von Hans Holbein d. Ä. nutzen kann – auch wenn die Sakralkunst des Augsburger Altmeisters kaum etwas mit den oft physikalischen Kräfte, die Meyer regelrecht ins Bild zwingt, zu tun hat. Immerhin schwingt im Hintergrund eine Zeitschiene von 500 Jahren Augsburger Kunst mit.
Rund 30 unterschiedliche, umfangreiche Themen-Zyklen hat Meyer seit den 80er-Jahren entwickelt; er blickt darauf durchaus mit Zufriedenheit zurück. Auf der abstrahierend gegenständlichen Seite gehört die Berglandschaft dazu, das Schneefeld, der Baum (als ein besonders gefragtes Motiv), auch sich entladende Himmelslichterscheinungen sowie Sternennacht und Meereswucht. Auf der völlig abstrakten und/oder geometrisierten, ornamentalen Seite gehören seine monochromen Lux-Lichtstrahlungen dazu, seine Farbe-Form-Malereien und die jüngst entstandenen „Kinesis“-Bilder, die mit abermals stark reliefhaft geschichtetem Farbmaterial, Apfelscheiben gleich, erheblich beeindrucken: Als wiege sich ein Ährenfeld im Sommerwind.
Man sieht im Holbeinhaus: Die Elemente sind bei Harry Meyer im Aufruhr
All das breitet sich mit Großmut, kühn und daher zwangsläufig beachtenswert im Holbeinhaus aus. Wieder frappiert Meyers malerische Überhöhung stark arbeitender Naturkräfte: der Föhnsturm, der den Baum beugt und zaust, der aufgewühlte Wellengang, die Tektonik, die sich am Berg schwer zu schaffen macht – übrigens auch in einer bemalten Skulptur. Diese Energien überträgt Meyer ziehend, schiebend, so schöpferisch wie zerstörerisch auf die Leinwand, dabei die intensiven Farben aufwerfend, knetend, durchbohrend. Die Elemente sind in Aufruhr, und Meyer streitet mit ihnen heftig. Mitunter erhebt sich das Farbmaterial drei bis vier Zentimeter dick über dem Bildträger; das Wort „Halbrelief“ trifft im Grunde schon nicht mehr zu auf diese gesteigerte pastose Malerei, die zumeist das Naturdramatische mit dem Kunstwahren verknüpft, aber dort ihre höchsten, unwiderstehlichen Verführungskräfte entfaltet, wo sie zur nahezu rein abstrakten Mallandschaft greift.
Vorsichtig, tastend, scheu, harmonisierend war Meyer in Öl wohl nie. Die erheblichen Wagnisse, die er einzugehen bereit ist – und als ernstzunehmender Künstler letztlich auch einzugehen hat -, sie sind final im ersten Stock des Holbeinhauses zu betrachten. Man darf sagen: Hier zieht er die Summe seines bisherigen Schaffens. Hart stoßen sich im Bildraum die Motive, die Farben, die Perspektiven und die von Meyer entwickelten Malstrukturen. Als ob Meyer, der ein Faible hat für lateinische Bildtitel, tatsächlich von einem Horror vacui ergriffen wäre. Alles ihm Eigene kumuliert in diesen großformatigen Gemälden einer voll gepackten Welt: Landschaft, Stillleben, Fauna und strotzend falschfarbene Flora, Muster und Ornament, widerstreitende Strukturen diverser Pinselführungen. Neu aber zeigen sich in den „Kompilationen“ und „Innenleben“ sprechblasende Profilköpfe. Alles andere als kontemplativ reizt Meyer in hochriskanter Verdichtung, Montage, Grenzüberschreitung und Zumutung die Malerei aus. Die Betrachter werden geradezu gezwungen, Position zu diesen immensen Spannungen zu beziehen … Die Folge dürfte Spaltung in der Bewertung sein. Aber besser, etwas gewagt. Leisetreter hat’s genug. Meyer, diese feste Größe, will mehr, will alles. Die Konzentration aller Kräfte, aller Sinne.
Laufzeit: bis 24. November. Öffnungszeiten: Do. bis So. von 10.30 Uhr bis 17 Uhr
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