"Als ich mit der Blasmusik begonnen habe, war da kein Mädchen weit und breit", sagt Centa Theobald. Die 75-Jährige aus Buchenberg im Oberallgäu spielte an der Klarinette als eine der ersten Frauen in einer Blaskapelle in ihrer Region mit. Ihr Vater nahm sie damals, im Jahr 1966, mit zur Probe. Das sorgte für Aufsehen. Auch Bezirksdirigentin Ramona Dornach aus Sonthofen erinnert sich: "Im Oberallgäu gab es, als ich Schülerin war, noch Kapellen, die keine Frauen mitspielen ließen. Das hat sich aber dann Anfang der 2000er geändert." Heute seien im Allgäu-Schwäbischen Musikbund (ASM) wie auch in anderen Teilen Bayerns ebenso viele Frauen in Musikkapellen aktiv wie Männer. Ob Gleichberechtigung damit erreicht ist?
Sind sexistische Sprüche Einzelfälle in der Blasmusik oder doch Alltag?
„Ich spiele seit 9 Jahren Schlagzeug und wurde schon einige Male runtergemacht und nicht für voll genommen, weil ich nun mal eine Frau und auch eher schüchtern bin. (...) Mittlerweile ist es mir egal, aber am Anfang hat es mir den Spaß am Musizieren genommen. Das gleiche Problem haben auch Frauen an der Tuba und Männer, die Querflöte spielen. Kann man etwas gegen diesen Sexismus tun?“ fragt eine junge Frau im Internet. Sie sucht Rat im Forum "Musiktreff". Auch Musikerinnen aus der Region bestätigen: Sexistische Sprüche gehören oft noch zum Alltag. Eine Unterallgäuerin sagt: "Meist entstehen solche Bemerkungen ja im Spaß und sind halb so wild, aber trotzdem fühlt man sich dadurch herabgewürdigt."
Ein Problem mit Sexismus gebe es in den Kapellen des ASM nicht, sagt Geschäftsführer Joachim Graf. In seinen vier Jahren Amtszeit sei ihm nichts dergleichen zu Ohren gekommen: "Trotzdem wollen wir in diesem Bereich sensibel bleiben und uns immer wieder selbst hinterfragen." Was also tun, wenn Musikerinnen und Musiker doch einmal Hilfe benötigen, weil es zu Diskriminierung im Verein kommt? Eine Stelle, die sich speziell mit solchen Themen beschäftigt, gibt es bei dem Verband nicht. "In erster Instanz sind die Verantwortlichen in den Vereinen gefordert, ihre Mitglieder zu unterstützen. Wir beim ASM sind aber jederzeit bereit, professionelle Hilfsangebote zu vermitteln", sagt Graf. Außerdem seien die ASM-Vertreterinnen und -Vertreter gut vernetzt und kennen viele Musizierende persönlich.
Gegenseitige Unterstützung in Musikvereinen hilft gegen Diskriminierung
An einen Fall erinnert sich Centa Theobald besonders. Sie war selbst viele Jahre Vorsitzende ihres Heimatvereins und ist seit fast 30 Jahren im Präsidium des ASM. Vor ein paar Jahren habe sie das Konzert einer Musikkapelle besucht und Ehrungen übergeben. Als sie danach mit der Vorsitzenden des Vereins unter vier Augen sprach, sei diese in Tränen ausgebrochen. Sie werde nicht ernst genommen, habe sie Theobald erzählt, vor allem von langjährigen Musikern. Die Allgäuerin nahm sich daraufhin die älteren Herren in der Kapelle zur Brust, ging mit ihnen ins Gespräch: "Keine Richtlinie allein kann solche Situationen verhindern. Man muss die Veränderung leben und anderen Schützenhilfe geben."
Dass die Geschlechterquote nicht nur in den Kapellen und bei der Jugendausbildung ausgeglichen ist, sondern auch in den weiterführenden Kursen bis hin zum Dirigentenkurs, freut ASM-Präsident Franz Josef Pschierer nach eigener Aussage. Doch übernehmen die jungen Frauen und Männer dann eine Kapelle, begegnen ihnen teilweise auch veraltete Denkmuster, sagt Benjamin Markl, studierter Dirigent sowie ASM-Referent für Literatur und Brass Band: "Frauen in Dirigentenpositionen werden immer häufiger und größtenteils respektiert, aber leider gibt es immer wieder den Aspekt, dass eine Frau in dieser Position sich erst 'beweisen' muss. Dies führt dann häufig dazu, dass Kolleginnen härter auftreten und sich nicht so von ihrer Art geben können, wie sie eigentlich ohne diesen Druck wären."
In professionellen Orchestern sind Frauen meistens in der Unterzahl
An deutschen Musikhochschulen und Universitäten ist der Frauenanteil im Bereich Dirigieren mit etwa 37 Prozent für das Studienjahr 2020/21 vergleichsweise niedrig. Instrumentalmusik studieren laut dem Deutschen Musikinformationszentrum hingegen mehr Frauen als Männer, etwa 55 Prozent. In den Orchestern scheint das nicht anzukommen. Laut der Statistik liegt der Frauenanteil in Berufsorchestern bei 39,6 Prozent. Während Streichinstrumente ausgeglichen besetzt sind, werden nur ein Viertel der Blasinstrumente von Frauen gespielt.
Die sieben Musikerinnen der "Desperate Brasswives", die allesamt Musik studiert haben und neben dem gemeinsamen Bandprojekt in verschiedenen Besetzungen an Tuba, Posaune und Trompete aktiv sind, haben den Sprung in den Profibereich geschafft. 2018 lernte sich ein Teil der Frauen bei einem Kurs für klassische Musik kennen. Das gemeinsame Musizieren gefiel Zuhörern wie Musikerinnen so gut, dass sie sich auch nach Seminarende weiter zum Proben trafen. "Aber wir wollten weniger Kirchenkonzerte spielen und lieber auf Festivals, deshalb kam ziemlich bald der Stilwechsel", sagt Trompeterin Katharina Meyer.
"Desperate Brasswives" treten bei großen Blasmusik-Festivals auf
Heute stehen sie mit ihrer Brass-Pop-Musik vor mehreren tausend Menschen auf der Bühne, covern Lieder von Britney Spears, Die Ärzte oder Mando Diao ausschließlich mit Blasinstrumenten. Bei bekannten Festivals wie Brass Wiesn, Musikprob oder Woodstock der Blasmusik stehen sie neben vielen Männern und deutlich weniger Frauen auf dem Programm. Bei den "Desperate Brasswives" verhält sich das genau umgekehrt. Schlagzeuger Florian Pöttler sei der "Hahn im Korb". Meyer erklärt: "Für uns zählen die Fähigkeiten am Instrument und der Charakter. Geschlecht sollte nicht im Vordergrund stehen." Auch männliche Aushilfen stehen regelmäßig mit den Musikerinnen auf der Bühne: "Das irritiert die Fans manchmal und sie sprechen uns darauf an, was vermutlich auch unserem Namen geschuldet ist." Die Rückmeldungen seien aber größtenteils positiv.
Wie Musikerinnen und Musiker aus Rockmusik oder Techno reflektiere sich auch die Blasmusik-Szene in Sachen Gleichberechtigung immer mehr, sind sich die Bandkolleginnen einig. "Ich war damals das erste Mädchen in meinem Verein, das Posaune gelernt hat", erzählt Margret Deutinger. Was sie alle schon immer am meisten interessiert habe, sei die Musik. Als Kind und in der Jugend sei man ohnehin noch freier von Vorurteilen. Auch heute begegnen ihnen diese eher selten und eher in den kleinen Momenten. "'Du spielst super und fesch bist du auch', so etwas würde ein Mann doch nie zu hören bekommen, wir aber schon", erzählt eine der Musikerinnen. Zwar seien solche Aussagen wohl mehr als Kompliment gemeint, doch verfehlten sie ihr Ziel: "Mir reicht es, eine super Musikerin genannt zu werden. Darum geht es ja auch: um die Musik."