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Formel-1-Weltmeister Max Verstappen: Zefix und Doppelmoral

Doppelmoral und Formel 1

Zefix, dann Fluchverbot für alle!

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    Ooops, da ist Max Verstappen ein Schimpfwort herausgerutscht.
    Ooops, da ist Max Verstappen ein Schimpfwort herausgerutscht. Foto: James Gasperotti/ZUMA Press Wire/dpa

    Man könnte es leicht als irre Posse vom eigenen Planeten Formel-1-Zirkus abtun – würde es nicht zugleich so viel über diese Zeit und den Zustand ihrer sogenannten liberalen Gesellschaften aussagen.

    Da rutschte also neulich doch glatt dem Superstar und verteidigenden Mehrfach-Weltmeister Max Verstappen in einer Interviewrunde nach dem nächsten verkorksten Rennen bei der Beschreibung seiner Probleme ein Fluch heraus, sein Auto sei quasi „im Arsch“ gewesen, auf Englisch „fucked“, das böse F-Wort also – und dann machte der Präsident des ganzen Rennzirkus (Fia), der Emirati Mohammed Ben Sulayem, gleich das ganz große Fass auf. Zeigte sich bestürzt, dass solche Wörter auch immer wieder über den Boxenfunk zu hören wären. Die Folge nach dem Paragrafen 12.2.1k des Sportgesetzes: Beschädigung der Werte der Fia und des Ansehens des Motorsports, der Sportler als Vorbild müsse darum gemeinnützige Arbeit leisten, Sozialstunden. Und der schönste Satz von Ben Sulayem dazu: „Rapper benutzen das F-Wort mehrmals in der Minute – aber wir sind keine Rapper.“

    Wer wen findet, den er beschimpfen kann, hat beste Chancen, selbst beachtet zu werden

    Klingt irgendwie süß, der Mann mit seiner Vorstellung eines öffentlich sanktionierten Fluch- und Schimpfverbots quasi – aber leider ist ihm schon in der Grundannahme zu widersprechen. Denn tatsächlich kann es längst scheinen, als wären heute im Grunde fast alle Rapper. Denn das gegenseitige, möglichst drastische Runtermachen, das in der seit vielen Jahren weltweit dominierenden Jugendkultur zur Grundeinstellung gehört, in den Clubs von jeher als Originalitätswettkampf live auf der Bühne als „Battle Rap“ ausgetragen – es flutet längst die zu den zentralen Kommunikationsautobahnen angewachsenen Kanäle der sogenannten Sozialen Medien. Wer wen findet, über den er sich möglichst krass lustig machen, den er möglichst heftig beschimpfen kann, hat die besten Chancen, selbst geliked und vor allem beachtet zu werden.

    Und so haben Frequenz und Schärfe eben zusehends zugenommen von all dem: Fluchen und Dissen, Mobben und Streit, Beef und Trolle. Auf den digitalen wie auf den tatsächlichen Schulhöfen. Im Sport („Trash Talking“) wie auf dem Boulevard. In der Gesellschaft wie auch in der Politik. Letzteres jedenfalls ist die Beobachtung der Autorin Juli Zeh, die im Interview mit unserer Redaktion kürzlich zu mahnen meinen musste: „Politik ist ein Wettkampf um den besten Vorschlag und nicht um die krasseste Beleidigung.“ Und sie meinte damit nicht etwa die USA, wo dieses Rumtumulten längst so sehr zum Politikersatz geworden ist, dass Zehs Kollegin Thea Dorn auf Amerikareise während des Wahlkampfs einst berichtete, Trump würde wohl allein gewinnen, weil er für die meisten Menschen mit all seinem Hass und seinem Wahn einfach so viel unterhaltsamer sei, vor allem im Kontrast zu den Obama-Jahren, die höchstens mal bunte Nachrichten lieferten, weil ein neuer Hund ins Weiße Haus einzog – und Trump gewann ja auch damals und setzt auch diesmal wieder voll auf diese Karte. Aber nein, Juli Zeh meinte das gute alte, zivilisierte Deutschland.

    Politik wird zum Aufreger: personalisiert und emotionalisiert - clicky!

    Aber müsste man da nun nicht erinnern an große historische Streits und Beschimpfungen der deutschen Politik? Haben Strauß und Wehner dereinst nicht öffentlich gegeneinander gewütet, wie es auch die Rap-Superstars Drake und Kendrick Lamar kürzlich nicht besser konnten? Mag sein – bloß wurde darüber damals eben auch anders berichtet. Heute, wo über Politik ohnehin am meisten so berichtet wird, dass es den Messungen nach die Menschen erreicht und bewegt, also vor allem personalisiert und am liebsten auch noch emotional, rauschen ja auch die klassischen Medienkanäle in Dauerkonflikt. Fluch und Schimpf und Streit sind zu einem medialen Fetisch geworden. Und das (geradezu in US-Ausmaßen) mit voller Doppelmoral.

    Soll heißen: Streit ist einerseits markiert als sehr schlimm und ziemlich böse. Wenn Parteien intern oder die Regierungskoalition untereinander über Kurs und Entscheidungen streitet, ist das immer gleich Anzeichen großer Zerrüttung und Vorzeichen des Endes. Hat Helmut Schmidt nicht mal gesagt, Demokratie braucht Streit? Und damit eben gemeint: in der Sache. Aber es herrscht da eben heute eine sehr große Empfindlichkeit, bei unharmonischen Tönen sofort in Alarm auszubrechen, was sich in der politischen Berichterstattung ebenso wie am Formel-1-Präsidenten zeigt – oder auch an der Aussage des Kult-Komikers John Cleese, der meinte, wenn Humor heute erst mal verschiedene Sendergremien prüfen müssten, dass auch ja niemand verletzt werden könnte, dann sei das eben der Tod des Humors.

    Eine solche Streitunkultur dürfte auf das einzahlen, was für Rechte Strategie ist

    Andererseits aber ist Streit eben auch geil. Denn er sorgt im medialen Konkurrenzkampf für Aufsehen, für Punktgewinne beim Ringen um die Hauptressource Aufmerksamkeit – da weiß dann inzwischen auch jeder Hinterbänkler, wie er Schlagzeilen bekommt. Und die Ansprache ans Publikum ist nicht verstellt von irgendwelchen komplexen Sachverhalten ganz direkt, weil persönlich und emotional – ein Quotenknüller. Wenn auch eher ein Demokratiegift – jedenfalls dürfte eine solche Streitunkultur auf das einzahlen, was ein Vordenker der hiesigen Rechten, Götz Kubitschek, mal als Strategie ausgegeben hat, um zu noch größeren Wahlerfolgen zu kommen: die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben. Auch eine emotionale Frage, keine rein sachpolitische.

    Aber was tun, wenn der mediale Streitfetisch hier unweigerlich als selbstverstärkendes System erscheint? (Was übrigens der größte aller Wut-Rapper kürzlich genialisch schizophren auf seinem neuen Album thematisiert hat und damit wiederum wohl schon allzu komplex war, jedenfalls missverstanden wurde als der reine, platte Wüterich: Eminem mit „The Death of Slim Shady“.) Vielleicht sollte man sich einfach die Lösung von Mohammed Ben Sulayem ganz generell und gesellschaftsweit zu eigen machen, das würde auch manchen Fachkräftemangel und die Frage des sozialen Zusammenhalts womöglich gleich mit lösen: Wer flucht oder beschimpft, muss Sozialstunden leisten. Und dafür, dass niemand entkommt mit seinem Grant, sorgt die künstliche Intelligenz, wer sonst?

    Ansonsten bliebe uns vielleicht nur, mit dem Allzumenschlichen wieder ein bisschen besser klarzukommen und das Politische davon zu trennen – aber bitte, wer wollte daran schon noch glauben?

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