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Zeitzeichen: Woke oder Wagenknecht? Was es heute bedeutet, links zu sein

Zeitzeichen

Woke oder Wagenknecht? Was es heute bedeutet, links zu sein

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    Macht Sahra Wagenknecht womöglich bald mit einer eigenen Partei der Linken Konkurrenz?
    Macht Sahra Wagenknecht womöglich bald mit einer eigenen Partei der Linken Konkurrenz? Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern werch ein illtum 

    So dichtete einst Ernst Jandl. Und diese titelgemäße „lichtung“ gilt es vielleicht heute auch politisch zu aktualisieren. Denn während sich seit geraumer Zeit im Ringen um eine irgendwie „neue Mitte“ der Gesellschaft so einige Parteien sowohl schwertun, sich nachvollziehbar voneinander abzugrenzen als auch funktionstauglich zu koalieren, hat sich auf der einen Seite des Spektrums etwas etabliert, das gerne „die neue Rechte“ genannt wird. 

    Was noch mal genau neu daran ist außer Label und Personal, da das Programm doch klassisch nationalistisch und reaktionär daherkommt, ist freilich schon weniger leicht zu bestimmen. Ungleich schwerer aber scheint es noch zu sagen, was sich denn auf der anderen Seite des Spektrums tut, wo es doch irgendwie vielleicht auch eine „neue Linke“ bräuchte. Und das fängt ja – im Kontrast zur Rechten, wo das immerhin klar scheint – schon mal damit an, dass sich überhaupt fragen lässt: Was ist denn überhaupt links, klassisch, heute? 

    Für Sahra Wagenknecht bedeutet Wokeness eben gerade nicht links

    Oder um es mit dem großartigen Kulturkauz Harry Rowohlt selig zu sagen, der bereits vor einigen Jahren auf eine Umfrage der ja als links ausgewiesenen Tageszeitung taz antwortete: Was heißt es heute, links zu sein? „Keine Ahnung.“ Sind Sie links? „Ja.“ Ist das bloß noch ein irgendwie erahntes Zugehörigkeitsgefühl in Milieus, die eben so sozialisiert sind, dass hier die Träume von allumfassender Gerechtigkeit und die Haltung gegen Rechts beheimatet liegt? Politisch tragfähig jedenfalls scheint das nicht mehr. 

    Aber als wäre sie die personifizierte Antwort auf all diese Zweifel und Fragen, bietet sich da ja Sahra Wagenknecht womöglich bald mit einer eigenen Partei an (falls ihr jemand all die Organisationsarbeit abnimmt und sie frei macht zur reinen Präsentationsfigur). Mit ordentlicher Verve, wuchtigen Argumenten und einiger Plausibilität hat die (ehemalige?) Trotzkistin jedenfalls klarzumachen versucht, dass die Zeitgeistbewegung der Wokeness eben gerade nicht links ist. Weil die sich gerade nicht mehr um das klassische Klientel kümmere, die Arbeiter, die ganz normalen Leute da draußen im Land, fern der genderbewegten Hipster-Hochburgen. Wagenknecht nennt sich dagegen links-konservativ. Aber ist das nun eine neue Linke oder die klassische? 

    Im einstigen zumindest begrifflich exakten Gegensatz zu Rechts müsste man die Tradition wesentlich wohl auch bestimmen als: internationalistisch und progressiv. Was davon ist die Galionsfigur Sahra? Nachdem sie auf ihre eigene Art „Germany first“ sagt und gerade nicht für die Hoffnung auf eine fortschreitende Werte-Entwicklung steht, muss man wohl sagen: nix. Vielleicht ist Wagenknecht zumindest da also eher rinks? 

    Philosophin Susan Neiman zufolge verliert sich Wokeness in Identitätsfragen

    Andererseits konstatiert ja nicht nur sie, dass auch die Wokeness elementare Züge des Linksseins vermissen lässt. Das neue Buch der Philosophin Susan Neiman – in der US-Bürgerrechtsbewegung aufgewachsen, Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums, das Denken der Aufklärung lehrend – setzt prägnant im Titel ein Ungleichheitszeichen zwischen woke und links. Denn gleich in den drei Grundzügen seien die ihrer Ansicht nach gegensätzlich: Links im Ideal: Universalismus (es geht immer um alle Menschen), Glauben an die Kraft der Vernunft (im aufklärerischen Sinne) und eine Haltung der Hoffnung, die auf zivilisatorischen Fortschritt setzt. 

    Die Wokeness aber agiere tribalistisch – setzt sich nur für die Interessen gewisser „Stämme“ ein. Sie sehe im postkolonialistischen Überschwang Vernunft als bloßes Feigenblatt der Macht an – die Position und das Gefühl des Sprechenden zählen und zählen je nach ethnischem oder Gender-Opferstatus entsprechend mehr. Und Wokeness verbeißt sich ideologisierend in diese gesellschaftlichen Partikularkonflikte der Identitätsfragen – und hat die großen Menschheitszukunftsträume aufgegeben. Ist sie also nicht eher lechts? 

    Also keine echte Linke, nirgendwo? Wo und wann wäre die abhandengekommen? Neiman hat auch dafür zwei Antworten. Die eine betrifft die ältere Generation und lautet: 1991. Obwohl damals nur ein Modell des (real existierenden) Sozialismus zugrunde gegangen ist, traue sich seitdem niemand mehr ernsthaft an die große Utopie. Die andere betrifft die Jüngeren und lautet: 2016. Aufgewachsen, als ein Schwarzer im Weißen Haus saß, und denen das bald als normal erschien, hat die Wahl von Trump zum Präsidenten den vermeintlichen Fortschritt ausgelöscht, jedenfalls den Glauben daran. 

    Die Grünen als neue Linke? Wer’s glaubt ...

    Und die ungelösten Klimaprobleme kommen in beidem verstärkend hinzu. Ob hier eine neue, zwangsläufig ja internationalistische und auch auf die Vernunft verweisende Linke zu gebären wäre? Eine auch sozial progressive Kraft, geboren aus der Angst vor der Apokalypse? Luisa Neubauer statt Wagenknecht? Die Grünen (ja eigentlicher Zielpunkt der Sahra-Suada) zwischen Hipster-Klientel und Kanzlerschaftskalkül als neue Linke? Wer’s glaubt … 

    Es gibt einen denkwürdigen Satz, den jener schwarze US-Präsident beim Auszug aus dem Weißen Haus hinterließ, in dem sich darauf ja der Neu-Rechte par excellence breitmachte; Obama sagte: „What if we were wrong …“ Und meinte (auch selbstverklärend, aber doch klug): Was, wenn wir, die wir es nur gut meinten, durch das Engagement für all die großen Ziele und hehren Ideale einer allumfassenden Gerechtigkeit letztlich nur das Wachstum der genau gegensätzlichen Kräfte verstärkt und befördert haben … 

    Eine neue Linke, die ihren Namen auch verdienen will und im Parteienspektrum durchaus vonnöten wäre, in diesen tatsächlich ja krisenhaften, aber auch noch sozialmedial hysterisierten Zeiten, diesen Zeiten, in denen von rechts bis Wagenknecht-rinks und woke-lechts Opfererzählungen der eigenen Klientel konkurrieren? Vielleicht erst, wenn wieder jemand mit Marx darauf setzen will, dass der Kapitalismus enden und danach etwas Besseres möglich sein wird. Heute gibt es stattdessen in deutscher Erstaufführung am Theater der ehemaligen Arbeiterstadt Dortmund: "Das Kapital" als Musical.

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