Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

Zeitzeichen: Wie die Bierbank gegen "die da oben" in Stellung gebracht wird

Zeitzeichen

Wie die Bierbank gegen "die da oben" in Stellung gebracht wird

    • |
    Das Bierzelt als Maßstab: CDU-Vorsitzender Friedrich Merz (links) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder auf dem niederbayerischen Gillamoos.
    Das Bierzelt als Maßstab: CDU-Vorsitzender Friedrich Merz (links) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder auf dem niederbayerischen Gillamoos. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Der Autor gibt zu: Früher, also in ganz frühen Jahren, als die Zeiten noch bessere waren und die Welt in Ordnung, also zumindest für jene, die aktuell behaupten, ebendiese Zeit und Welt wiederherstellen zu wollen und können, früher also, da haben wir Kumpels uns einmal beim Volksfest in der Kleinstadt zum Augensaufen verabredet. Am Seniorennachmittag, weil da war die Maß verbilligt.

    Und wer jetzt nichts mit dem Begriff anfangen kann, also Augensaufen, der ist entweder ein Zuagroaster oder vielleicht schon Opfer des linksgrün-versifften Zeitgeists, hat das Ganze doch durchaus kompetitiven Charakter: Es geht nämlich darum, wer ohne abzusetzen den Liter-Krug am meisten runtertrinken, leeren kann – abzulesen eben an den „Augen“ genannten Dellen im Glas. Gut, man kann das auch Jugendsünden nennen, und die Erinnerung an damals durchaus ebenfalls mit Dellen versehen, aber wir haben uns Mühe gegeben und es war vor allem ein knallharter Wettbewerb (also öffentlich subventionierten Stoff in sich hinein- und sonst wohin zu kippen), jedenfalls ein einschneidendes Erlebnis und Lehre fürs künftig strikt marktwirtschaftlich ausgerichtete Leben. 

    Friedrich Merz arbeitete sich auf dem Gillamoos an der Ampel ab

    Aber alleine das Wort Wettbewerb ist heutzutage in unsere leistungsfeindlichen Gesellschaft bekanntlich ja verpönt, wo die Kinder nicht mal mehr um eine Unterschrift des (wie heißt er noch mal?) Bundespräsidenten rennen müssen bei den Jugendspielen (und vom Fußball wollen wir gar nicht reden), wo laut den Linken gar die Schulnoten abgeschafft werden sollen und stattdessen hinter all den Stuhlkreisen keine Welt. Also zumindest in Kreuzberg. Oder auch Berlin-Mitte, der Blase der Blasen. Da oben halt irgendwo, wo es keine Maßen gibt und stattdessen die vegane Halbe in 0,4-Gläsern ausgeschenkt wird. 

    Jedenfalls: So oder so ähnlich muss wohl Friedrich Merz denken (oder gibt es zumindest vor), von dem wir nicht wissen, ob er in seiner sauerländischen Sturm-und-Drang-Zeit auch mal einem Wetttrinken beigewohnt oder beim dritten Anlauf gar gewonnen hat und überhaupt: Sein Mofa wirklich getunt. Aber, wie er bekanntlich in einem niederbayerischen Bierzelt verlautbarte: Hic sunt die Würschtel, das ist das wahre Deutschland! Und was soll man sagen? Die Würschtel fanden’s gut. Auf Festen im Sauerland, das eigentlich ganz hübsch und nicht so voll wie das schunkelnde Oberbayern, werden im Übrigen gerne mal die traditionellen „Rinderpümmel“ gereicht, also so eine Art Wurst mit – obacht – Haferflocken. Und vielleicht hatte ja Markus Söder genau das/dies/diverse Wursterzeugnis im Sinn, als er in einem anderen Bierzelt, nämlich dem Schottenhamel auf der Wiesn, proklamierte: „Jeder darf essen, was er will!“ 

    Merz und Söder eint: Es geht immer gegen "die da oben"

    Wobei, eher unwahrscheinlich. Denn natürlich geht es auch bei ihm, der im laufenden Wahlkampf ja über 100 Bierzelte besuchte, um die, die es nicht gibt, nämlich jene, die uns angeblich verordnen, nur noch Hafer zu essen oder gar Insekten, was man auf dem Oktoberfest und beispielsweise angesichts der durchschnittlich sechs bis sieben verzehrten Ochsen pro Tag nun allerdings wirklich nicht belegen kann. Was die beiden Politiker jedenfalls eint und wovon ihre Auftritte in den Festzelten neben dem gewohnten Dunst aus Hellem, Hendl und sonstigem zeugen (was man nicht riechen mag, davon soll man schweigen): Es geht immer gegen „die da oben“, gegen die vermeintlich abgehobene Elite – der sie allerdings ja selber angehören. Merz, der Mittelschicht-Millionär zuallererst (er soll sogar des Öfteren im Berliner Regierungsviertel gesehen worden sein). Entspricht das nun der eigentlich begrüßenswerten Dialektik des Maßkrugs, wonach sich irgendwann alle für gleich halten, obwohl sie es natürlich nicht sind und wenn sie sich überhaupt noch halten können? Wohl kaum. Eher ist es eine Art verbalen Rantrinkens und zugleich das Kalkül, die Bierbank gegen die da in „Berlin“ in Stellung zu bringen. Und wenn dafür ein angetäuschter Trachtenjanker reicht, umso besser. Und da kann man dann schon mal dermaßen berauscht der Illusion verfallen, tatsächlich für „das Volk“ zu sprechen.

    Cadenabbia-Blau? Türkis bleibt halt dann doch türkis

    Im Falle des CDU-Chefs ist es aber wohl vor allem das georgische, denn in einem neuen Imagefilm seiner Partei war diese Woche der Präsidentenpalast in Tiflis zu sehen statt der Reichstag. Durchgeknallte KI? Zugekokste Berlin-Mitte-Werber? Alle noch vom Bierzelt blau? Man weiß es nicht und apropos: Auch die Parteifarben ließ man ja bekanntlich ändern, weg von Merkels Fanta-Orange (die in der ursprünglichen Fassung des Filmchens gleich auch gar nicht mehr vorkam) hin zu einem Türkis-Ton, von dem Generalsekretär Carsten Linnemann hartnäckig behauptete, es sei blau, genauer: „Cadenabbia-Blau“, neben „Rhöndorf-Blau“ zwar nicht der Himmel der Bayern, aber angeblich Wegweiser in die Zukunft. Heißt gleichwohl: Nicht nur in die eingangs erwähnten 80er mit den fröhlichen schunkelnden Seniorennachmittagen will man also zurück, sondern mit den nach Konrad Adenauers Urlaubs- und Heimatort benannten Farb-Offensive gar gleich in die 50er. 

    Aber: Türkis bleibt halt dann doch türkis, und Österreichs gefallener Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz, der damals nach seiner Machtübernahme die ÖVP ebenfalls so ähnlich hat anpinseln lassen, gratulierte der Union denn auch sofort. Und sofort ahnt man denn auch ganz ausgenüchtert und mit Blick auf diese österreichische G’schicht, worum es bei all dem geht und was der Kommunikationswissenschaftler Olaf Hoffjann gegenüber der Nachrichtenagentur dpa in etwa so äußerte: Es wird polarisierender, populistischer – nicht nur im bayerischen Bierzelt-Wahlkampf.

    Ob man damit die AfD einhegt?

    Ob man damit aber eine AfD einhegt? Oder auch nur einen Hubert Aiwanger, der den Leuten halt immer noch besser nach dem Maul reden kann („Oasch offen da oben“), als selbst Söder sich je trauen dürfte und der von seinen Fans bereits als einzig würdiger Nachfolger von Franz Josef Strauß nicht nur in dampfigen Bierzelten gehandelt wird? Nun, der im Aufspüren der Stimmung an Stammtischen gewiss nicht unbegabte, ewige CSU-Übervater wusste gleichwohl und sagte das auch frei heraus: „Vox populi, vox Rindvieh.“ 

    Denn merke: Jeder Mensch ist ein Maßkrug. Es schwindelt einen, wenn man zu tief in ihn hineinschaut.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden