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Zeitzeichen: Kleben Sie wohl? Ein paar Gedanken über Kleben und Klima, Leim und Leben

Zeitzeichen

Kleben Sie wohl? Ein paar Gedanken über Kleben und Klima, Leim und Leben

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    Ein Klimaaktivist klebt seine Hand auf die Fahrbahn am Karlsplatz in der Münchner Innenstadt.
    Ein Klimaaktivist klebt seine Hand auf die Fahrbahn am Karlsplatz in der Münchner Innenstadt. Foto: Lennart Preiss, dpa

    „Sei wie eine Briefmarke. Klebe dich an irgendetwas fest, bis du dein Ziel erreicht hast.“ Klingt das nach dem neuen Leitspruch der „Letzten Generation“? Ja wollen sich die Klimaaktivisten nun als einen netten Briefmarkensammlerverein verkaufen, mitten im Sturm um ihre Aktionen? Nein. Dieser Satz stammt von Josh Billings, Schriftsteller, Zeit- und Spaßgenosse Mark Twains, 19. Jahrhundert. Aber da schwingt etwas mit in seinen Worten, als hätte der Amerikaner schon gerochen, dass der Kleber noch als Streitstoff Karriere machen würde. Dass die Baumarkt-Regale mit Uhu, Pattex, Pritt plötzlich politische Gedanken wecken.

    Die Debattenbeiträge schießen jedenfalls wie aus der Heißklebepistole, nein sie flutschen und verstopfen und verleimen damit auch die geduldigsten Gehörgänge durch ihre pure Masse, bis man die Argumente vor lauter Gepolter nicht mehr hört – Angst vor einer „Klima-RAF“ (Zitat Alexander Dobrindt) hier, „Wer sich jetzt noch anklebt, ignoriert das Recht auf Leben“ (Zitat Focus) dort.

    Eine Milliarde Quadratmeter Klebestreifen produziert die Industrie

    Manchmal helfen auch kalte Zahlen, um heiße Köpfe wieder abzukühlen. Ein kurzer Blick in die Statistik: Jedes Jahr braut Deutschlands Klebstoffindustrie – das erklärt sie mit Stolz auf ihrer Verbandsseite – gut 1,5 Millionen Tonnen Stoff, der haftet, leimt, kittet. Dabei laufen so viele Klebestreifen und Klebefolien über die Produktionsbänder, mit denen man in Summe, würde sich einer nur mal die Mühe machen, eine Fläche von einer Milliarde Quadratmeter bedecken könnte. Zu abstrakt? Sie könnten ganz Rügen mit Tesa und Co. abkleben. Oder halb Teneriffa. Aber bevor noch ein Klima-Protestant auf die fixe Idee kommt, 40 Prozent des Saarlands abzukleistern, helfen vielleicht ein paar Gedanken in Ruhe: Was dies mit jenem zu tun hat, also der Kleber mit dem Klima, Leim mit Leben, liegt näher, als man vermuten mag. Eine vorsichtige Annäherung in drei Bastelschritten.

    Kleben oder nicht, das ist immer eine Frage der Haftung: Wer haftet woran, wer haftet wofür. Das Berliner Amtsgericht Tiergarten hat ein Mitglied der „Letzten Generation“ für eine Straßenblockade zu 60 Stunden Freizeitarbeit verurteilt. Tatbestand: Nötigung. Es ist verboten, Menschen „mit Gewalt“ zu etwas zu zwingen. In diesem Fall: im Verkehr auszubremsen, mit der verklebten Hand auf dem Asphalt. Und dass dieses Recht seine Richtigkeit hat, daran zweifelt auch so gut wie niemand. Doch auf der anderen Seite der Barrikade fragen sie sich: Wer haftet denn für die Folgen der Klimakrise? Welche Verantwortung übernehmen die reichen Industriestaaten mit ihrem Riesenanteil am CO2-Ausstoß auf dem Erdball?

    Monet und van Gogh, die Zukunft und das Klima – wer hängt hier woran?

    Kleben oder nicht, das ist auch immer eine Frage, woran wir hängen, woran wir uns gebunden fühlen. Kleben wir an dem Ideal, Leben mit fast allen Mitteln zu schützen vor dem, was da wohl droht in einer überhitzten, krisenverseuchten Zukunft? An der Überzeugung, dass die Klimauhr ohne Erbarmen tickt und es die Politik aufrüttelt, wenn sich Menschen in ihrer Verzweiflung an die Rahmen kostbarer Bilder kleistern? Oder aber hängen wir an dem Ideal, dass Protest in unserer Demokratie auch dann wirkt, wenn er nicht seine geballte Faust an den Asphalt leimt, sondern angemeldet, mit Trillerpfeife und Petitionspapieren, auf Straßen trommelt?

    Und dann, im Jargon der Chemie, ist Kleben oder nicht immer eine Frage der – Verbindung. Und der Zwei-Komponenten-Kleber, der dieses Porzellan wieder flickt, das zwischen den Fronten der Debatte zerbröselt, scheint noch nicht erfunden.

    Wie löse ich Klebstoffe von Haut, Holz und Glas?

    Deshalb noch einmal zurück zum Stoff an sich, alle Augen auf das hartnäckige Zeugs aus der Tube. Sekunden-, Schnell- und Alleskleber, Bastler wissen: „Im Falle eines Falles klebt Uhu wirklich alles“. Aber was tun in Härte-Fällen, wenn der Heimwerker in seinem Keller plötzlich mit dem Ellenbogen an der Werkbank klebt? Aus Versehen, ohne Hintergedanken an das Klima. Der Industrieverband Klebstoffe empfiehlt kulinarische Mittel: Klebt Kleber an der Haut, hilft warmes Speiseöl auf der betroffenen Stelle – ob Sonnenblume oder Olive, Geschmacksfrage. Ein namhafter Baumarkt gibt außerdem Tipps für alle Materialien: Verklebtem Glas (vielleicht eine Scheibe, hinter der ein kostbares Gemälde liegt?) kommt Spüli bei. Alternativen: Mayonnaise oder Butter, und wenn gar nichts hilft, Nagellackentferner. Von Holz (man denke da an Bilderrahmen) lassen sich Klebereste dagegen mit Wärme lösen. Will heißen: Föhnen, bis es tropft. Und am Ende bleibt immer die handgreifliche Variante: Mit den Fingernägeln die Klebereste abknibbeln. Aber mit Vorsicht!

    Was kriegen wir uns in die Haare, über den Kleister. Man sehnt sich zurück nach den Zeiten, als Uhu noch mit friedlichen Grüßen werben konnte: „Kleben Sie wohl!“

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