Ach, was für ein reizendes Mädel, wie es da auf dem Baumstamm saß. Die Haare fein geflochten, brombeerfarben das Dirndl, oben Samt, dazu rosa Rock, auf dem Schoß die Zither. Und was schwärmte da der Franz: „So müsste sie aussehen ...“ Verliebte sich also unsterblich in die Dirndlträgerin und mit dem Filmkaiser gleich ganz Deutschland ins schöne Dirndl Sissi beziehungsweise Romy Schneider.
Das war 1955, der Film ein Klassiker, das Dirndl aber noch topmodern. Jedenfalls was Farbe und Stoff betrifft. Folgendes nämlich berichtet die Zeitschrift Instyle über die Dirndltrends 2022: „Vor allem Corsagen in Dunkelblau, Dunkelgrün und Dunkelrot sind gerade Modetrend und sehen supertraditionell und gleichzeitig total schick aus. Samt passt einfach wunderbar in den Herbst und lässt deinen Look sofort hochwertig und teuer aussehen. Besonders toll: Bei diesem Modetrend kannst du dir sicher sein, dass er auch in den nächsten Jahren noch angesagt sein wird.“ Siehe Sissi auf dem Baumstamm.
Warum man das wissen will? Weil gerade die Volksfestsaison ihrem Höhepunkt entgegenschunkelt. Und weil zu den vielen Gründen, nicht aufs Oktoberfest zu gehen, ja durchaus auch dazuzählen kann: Nichts zum Anziehen. Also nichts Passendes, was daran liegt, dass es speziell fürs Festzelt eine klare Kleiderordnung gibt: Bitte Tracht oder etwas, das gefühlt danach aussieht! Wer nichts dergleichen trägt, darf dennoch feiern, aber fühlt sich vermutlich ein bisschen allein, während der Rücken an Samtcorsagen, Wolljankern und karierten Hemden schuppert. Was dann insofern verrückt ist, weil man ja vor allem aufs Oktoberfest geht, um ein bisschen weniger allein zu sein.
Zur Tradition ohne Dresscode hat das Oktoberfest nicht zurückgefunden
Warum ist das so? Als sich Dirndl und Lederhose vor etwa zwanzig Jahren zum Volksfest-Outfit entwickelten, wunderten sich sogar Ethnologen übers damals junge Phänomen. Die Antworten von damals klingen noch immer recht unverstaubt, werden auch immer noch verwendet wie zum Beispiel: Das Dirndl stehe für die Identitätssuche der mobilen Gesellschaft. Sprich, im Dirndl und der Lederhose verortet man sich in der weiß-blauen Folklore-Seligkeit, gehört irgendwie dazu, auch wenn man nicht weiß, zu was genau. Auf jeden Fall aber zur schunkelnden Bierbanknachbarin oder zum -nachbarn.
Zur Tradition ohne Dresscode hat das Oktoberfest seitdem jedenfalls nicht mehr zurückgefunden, im Gegenteil – vom Dirndl-Dogma spricht Alexander Wandinger vom Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern: „Wiesn und Tracht sind ein Zwillingspärchen.“ Und das Oktoberfest also nun Festspiel der Trachtenmodeindustrie. Wozu ja auch der dogmatische Satz passt, mantraartig vorgetragen vom Verkaufspersonal: Ein Dirndl steht jeder Frau. Quetscht da etwas weg, schnürt da etwas hoch. Aber Quatsch insofern, als es für jede Frau vermutlich auch ein Kleidungsstück gibt, das ihr ebenso gut oder vielleicht sogar noch sehr viel besser steht und womöglich sogar noch bequemer ist. Der klassische Dirndlschnitt wurde im Übrigen von Gertrud Pesendorfer entworfen zu dunkelsten Zeiten, als Mittel „unsere Art zu erhalten gegenüber allem Fremden.“ Das aber nur am Rande.
Die Schleife rechts binden, links binden oder doch mutig mittig?
Laut gewundert hat man sich zuletzt über das Dirndl-Dogma kaum mehr, lediglich über manche Dirndlmoden, die ihre Trägerinnen zu sexy Pseudo-Bajuwarinnen mutieren ließen und die den Traditionalistinnen die Herzen schwer im Mieder schlagen ließen: so kurz, so schräg, so polyester, so billig. Zumindest der Trend klingt ab, die Dirndl-Mode, so Instyle, sei erwachsener geworden. Aber die Frage bleibt: Warum beugen sich all die jungen Frauen, die womöglich eben noch in der Erörterung im Deutschunterricht einen flammenden Appell gegen Schuluniformen geschrieben haben, dem Dirndl-Dogma so ohne Widerspruch? Unterwerfen sich ja auch beim Binden der Schürze eigenartigen Regeln, Schleife links ledig beziehungsweise single, Schleife rechts verheiratet oder zumindest fest vergeben, als sei das etwas, das man gleich dem ganzen Bierzelt mitteilen will.
Echt jetzt? Und was macht man beim Beziehungsstatus „Es ist kompliziert“, einen doppelten Knoten? Die Wiesn-Stadträtin Anja Berger wagt in diesem Jahr immerhin den Vorschlag, die Schleife in der Mitte zu binden. Das sage dann aus: „Ich will dazu gar nichts verraten!“ . Selbst dieser gut gemeinte Vorstoß aber wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen, als sei es schon ein Zeichen weiblicher Selbstermächtigung, eine Schleife nach Gutdünken zu platzieren. Die Film-Sissi scherte sich um all das übrigens noch nicht, weil es derartige Regeln damals noch nicht bindend gab, trug die Schleife auch gerne hinten. Ein Prosit der Freiheit, oans, zwoa, drei – g’suffa!