Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

Wie Promis die geschenkte Stunde nutzen: Von Meditation bis Abenteuer

Zeitlose Bildikone: Im Film „Ausgerechnet Wolkenkratzer“ von 1923 hängt Schauspieler Harold Lloyd am Zeiger.
Foto: dpa
Wertvolle Zeit

Wie verbringen Promis ihre schönste Stunde am Tag?

    • |
    • |

    Elke Heidenreich, Schriftstellerin und Literaturkritikerin

    Ganz ehrlich: ich merke die geschenkte Stunde gar nicht, die geraubte im Frühjahr übrigens auch nicht. Die Kühe merken das schmerzlich, höre ich, aber trotz allem bin ich dann ja doch keine Kuh! Ich stehe auf, ich frühstücke, ich gehe mit dem Hund in den Wald, ich muss ja in kein Büro und also auch nicht wissen, wann der Bus fährt. Ich schreibe, ich lese, ich koche, und am Abend will ich auf 3Sat wie immer Kulturzeit gucken, solange sie uns diesen letzten Ort der Kultur noch lassen, und auf einmal ist es dann erst zwanzig nach sechs statt zwanzig nach sieben und ich denke: oho! Dann doch jetzt schon mal ein Gläschen Wein….Das ist ein guter Nutzen für eine plötzlich geschenkte Stunde, oder?

    Elke Heidenreich
    Elke Heidenreich Foto: Hannes P. Albert, dpa

    Rainer Maria Schießler, Pfarrer

    Ohne zu zögern, würde ich die Stunde nutzen, um mich mit einem Menschen zu versöhnen. Die Stunde wird vergehen wie jede andere, das Ergebnis aber wird bleiben. Meine schönste Stunde am Tag ist immer abends, wenn ich alles mit einem Abendgebet beenden darf, ob es gelungen war oder nicht. Es ist ja immer so: Wenn die Dinge passen, vergeht die Zeit schneller, als wenn es hakt. Zahnarzt, Finanzamt, Polizeikontrolle, das zieht sich. Ganz anders bei einem schönen Konzert oder beim Essen mit Freunden, da fliegt die Zeit schon wieder! Es ist natürlich ein subjektives Empfinden, ob die Zeit im Alter schneller vergeht. Ich meine nicht schneller, sondern anders, denn das Alter macht dir bewusst, dass nach hinten hinaus der Zeitvorrat unwiederbringlich weniger wird. Die Zeit wird als wertvoller empfunden. Das macht sie schneller. Eine Stunde hat sich tief eingeprägt: Mein erster Sonnenaufgang in der Wüste, hoch droben auf dem Berg Sinai. Jeder Sonnenaufgang und Untergang ist etwas Besonderes, dieser aber ist unvergleichlich. Nirgends erlebt man die blitzartige Helle und Wärme der aufgehenden Sonne eindringlicher als in der Wüste. Die Zeit vergessen kann man am besten, wenn man glücklich ist. Es ist wie mit dem Pulsschlag des Herzens: Er gehört einfach dazu und wird nicht hinterfragt. Wenn meine Münchner Löwen ein Spiel gewinnen und 3 Punkte in der Tabelle klettern - es ist und bleibt ein zeitloser Moment.

    Rainer Maria Schießler
    Rainer Maria Schießler Foto: Peter Kneffel, dpa

    Jan Weiler, Journalist und Schriftsteller

    Die schönste Stunde erlebe ich am frühen Vormittag, wenn ich Zeitung lese, Kaffee trinke und ganz für mich bin. Eine geschenkte Stunde würde ich aber mit geliebten Menschen verbringen. Am schnellsten vergeht die Zeit, wenn ich mich richtig gut unterhalte, wenn das Gespräch so inspirierend und lustig ist, dass ich nach vier Stunden auf die Uhr schaue und staune, weil gefühlt nur eine Stunde vergangen ist. Andersherum fühlt sich Zeit auch manchmal zäh an, vor allem im Zug. Da ist man nach sechs Stunden Fahrt fast in München angekommen, plötzlich hält der Zug und nichts geht mehr, passiert ja leider ständig. Die Bereitschaft, das Warten als geschenkte Zeit anzunehmen, ist dann schnell verflogen. Das Personal anzupampen bringt auch nichts, also verfalle ich in einen vegetativen Duldungszustand. Wenn ich aber etwas Schönes mache und zu beschäftigt bin, um mir über die Zeit Gedanken zu machen, vergesse ich sie. Eine besondere Stunde, an die ich mich immer erinnern werde? Die Hausgeburt meines Sohnes, es war am Martinstag, unsere Tochter war beim Umzug, als sie zurückkam, war ihr Bruder auf der Welt. Ich kann gefühlt jede Sekunde dieser Stunde ins Gedächtnis zurückholen.

    Jan Weiler
    Jan Weiler Foto: Henning Kaiser, dpa

    Theo Waigel, früherer Bundesfinanzminister

    Meine Lieblingsstunde ist unter der Woche die am Morgen zwischen acht und neun Uhr, wenn ich beim Frühstück mich durch meine drei Tageszeitungen lese. Wenn man mir da eine Stunde schenken würde, gerne... Aber die Zeitumstellung ist ja am Sonntag. Da besuche ich um 9 Uhr den Gottesdienst in Seeg, muss also um 8 Uhr aufstehen. An diesem Sonntag aber ja erst eine Stunde später - ich werde ausgeschlafen in die Kirche gehen und damit auch fröhlicher.   

    Theo Waigel
    Theo Waigel Foto: Philipp von Ditfurth, dpa

    Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoor-Unternehmens Vaude

    Die erste Stunde meines Tages beginnt damit, dass ich um 6:10 Uhr mit meinem 17-jährigen Sohn in unseren Teich springe, bei jedem Wetter. Dieses Ritual ist für uns beide ein ganz besonderer Moment. Das kalte Wasser weckt uns auf und lässt uns mit guter Energie in den Tag starten. Danach frühstücken wir zusammen. Obwohl ich eher Langschläferin bin, freue ich mich jeden Morgen auf diesen gemeinsamen Start, der wie ein kleines Geschenk ist, bevor der Trubel des Tages beginnt. Auch wenn es nun immer kälter wird, halten wir an unserem Ritual fest und gehen weiterhin jeden Morgen in den Teich. Die Kälte macht das Erlebnis noch intensiver und fordert uns heraus, uns immer wieder zu überwinden. Wir freuen uns auf die bevorstehende Zeitumstellung, durch die es sich hoffentlich nicht mehr so nächtlich anfühlen wird, denn momentan baden wir noch unter den Sternen. Diese geschenkte Stunde werden wir genießen!

    Antje von Dewitz
    Antje von Dewitz Foto: Vaude

    Volker Klüpfel, Schriftsteller

    Eine geschenkte Stunde – da les ich natürlich ein Buch. Müsste ich als Autor jetzt wohl sagen. Aber ein Buch in einer Stunde? Bei meinem Lesetempo? Da schaff ich gerade mal die ersten drei Kapitel. Nur eins, wenn es von Murakami oder McCarthy ist. Länger schlafen? Die innere Uhr lässt sich nicht so einfach umstellen. Ich kenn das ja: Wenn mal alle aus dem Haus sind, und ich endlich machen könnte, wozu ich sonst nie komme, artet das in wahnsinnigen Stress aus: essen vor dem Fernseher, dabei bröseln. Aber welchen Film? Bis einer gefunden ist, hab ich schon aufgegessen. Dann halt Sport, danach Mittagsschlaf, aber nur kurz, weil: noch so viel zu tun­­­­: endlich diesen Podcast hören, die alte Lieblingshose aus der Wertstoffhofkiste retten, heimlich bestellte Klamotten anprobieren – schon vom Aufschreiben bekomme ich Schweißausbrüche. Wisst ihr was? Eure geschenkte Stunde könnt ihr geschenkt haben!

    Volker Klüpfel
    Volker Klüpfel Foto: Mathias Wild

    Wilhelm Schmid, Philosoph

    Die Zeitumstellung macht mir keine Probleme. Ich gehe am Vorabend schon zur anderen Zeit schlafen, dann gibt es morgens keine Irritationen. Die schönste Stunde am Tag? Dafür brauche ich nur einen Espresso, genauer einen Doppelten. Am besten einen sehr guten Doppio mit Crema, das beflügelt mich am meisten. Nicht zu Hause, sondern im Café, dort habe ich das Gefühl, wie andere Menschen auch zur Arbeit gegangen zu sein. Und dann tauche ich in die Arbeit ein und vergesse in kürzester Zeit alles um mich herum. Das ist meine schönste Stunde. Klappt fast jeden Tag. Sogar zwei Stunden, denn ein doppelter Espresso hält so lange. Er wird kalt? Ja, natürlich, aber kalter Kaffee macht doch… Hoffe ich jedenfalls. Eine Stunde dauert am längsten, wenn ich nichts zu denken, nichts zu schreiben habe. Kommt selten vor. Und ja, ich habe besondere Stunden erlebt, an die ich mich immer erinnern werde, wirklich ein Geschenk, jede Einzelne. Leider zu intim, um darüber zu sprechen.

    Wilhelm Schmid
    Wilhelm Schmid Foto: Paul Zinken, dpa

    Mithu Sanyal, Autorin und Kulturwissenschaftlerin

    Die Antwort wäre bis vor Kurzem noch „mehr des Gleichen“ gewesen: mehr Texte schreiben, mehr E-Mails beantworten, mehr arbeiten, arbeiten, arbeiten. Eine geschenkte Stunde ist aber eben nicht die Verlängerung des Normalzustands, sondern ein besonderes Glück. Im wahrsten Sinne des Wortes. „Glück“ kommt von dem mittelhochdeutschen „Gelücke“, das die Lücke bezeichnete, die das Schicksal lässt. In meiner Stunde Glück würde ich mir Federn wachsen lassen, den Wind unter meinen Flügeln fangen und über die Stadt hinaufsteigen wie eine Schwalbe. Bis sich Schwimmhäute zwischen meinen Krallen bilden und ich im Sturzflug auf den nächsten See zusteuere. Wenn ich ein Vogel wäre, wäre ich natürlich eine Ente. Mixed. Ein Wesen zwischen Himmel und Wellen. Das untertauchen und sich in einen Fisch verwandeln kann. Eine Bewegung von Flossen. Der Rausch des kalten Wassers. Und dann beginnen die Kirchenglocken, und ich, Robbe, ans Ufer und werfe mit dem letzten Glockenschlag mein Fell ab und bin wieder eine Frau.

    Mithu Sanyal
    Mithu Sanyal Foto: Georg Wendt, dpa

    Maria Groß, Sterne-Köchin

    Was würde ich mit einer geschenkten Stunde tun? Entweder schlafen oder etwas erledigen, ganz einfach. Bei mir hängt das von der Tagesform ab. Ich arbeite sehr gerne! Aber ich hatte dieses Jahr einen Bandscheibenvorfall und muss wieder lernen, etwas für mich zu tun. Das Thema Gesundheit und Achtsamkeit wird mich noch eine Zeit lang begleiten. Freizeit muss künftig auch wirklich freie Zeit sein, aber bei mir verquicken sich Privates und Beruf ständig. Die Bedeutung von Zeit wird mir leider immer in den dunklen Stunden bewusst, nach einem Todesfall oder einem Unglück. Danach geht man mit seiner eigenen Zeit wieder bewusster um, weil einem die Endlichkeit vor Augen geführt wird. Deswegen verbringe ich auch so gerne möglichst viel Zeit mit meiner Oma. Das ist übrigens die einzige Person, bei der ich Filterkaffee trinke und der wird mit den Jahren auch noch immer dünner, weil sie ihn nicht mehr so gut verträgt. Jedenfalls, wenn ich mit meiner Familie zusammen bin, vergesse ich die Zeit. Ganz old school. Alles hat seine Zeit, diesen Spruch mochte ich früher nie, das sagen doch nur die Älteren. Aber jetzt kapiere ich ihn endlich, wie er gemeint ist. Zeit ist für mich ein Luxusgut, die ich am liebsten in der Natur verbringe. Der Morgen ist wunderschön in seiner Stille, wenn noch niemand unterwegs ist. Ich liebe aber auch die sogenannte blaue Stunde kurz vor Sonnenuntergang mit ihrem ganz besonderen Licht. Der Horror sind für mich die Bürostunden. Diese Bürokratie, diese würde ich gerne mal in nur einer Stunde erledigen.

    Maria Groß
    Maria Groß Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Martina Bogdahn, Fotografin und Autorin

    Da werden jetzt alle Mütter lachen. Meine schönste Stunde am Tag ist, wenn die Kinder am Morgen versorgt aus dem Haus sind und ich mich in aller Ruhe mit einer Tasse Kaffee hinsetze. Ich tue in diesem Moment nichts anderes, als ein Eichhörnchenpaar im Baum gegenüber zu beobachten. In einer geschenkten Stunde würde ich ein Gespräch mit meiner besten Freundin führen, mit ihr ist die Zeit immer eine gute. Ich bin ein Mensch, der oft Sehnsucht nach etwas hat, nach Freunden, die ich lange nicht gesehen habe, nach meinen Kindern, nach einem Gespräch. Deshalb liebe ich das Bayerische Wort „Zeitlang“ haben so sehr.

    Es gibt viele Stunden, die auf meiner Netzhaut eingebrannt sind. Meist war es das Erhalten von Nachrichten, die mein Leben verändert haben. Viele gute, aber auch viele schlechte. Nicht Stunden, sondern Augenblicke, die das Leben eben zu dem machen, was Leben bedeutet, ein Zusammentreffen von Umständen. Aber wenn ich es tatsächlich auf Stunden reduzieren müsste, wären es die drei Stunden, in denen meine Söhne auf die Welt gekommen sind. Unvergesslich und gleichzeitig unbeschreiblich. Jede Mutter weiß, was ich meine.

    Ich tauche in der Zeit ab, wenn ich schreibe. Weil ich dabei Musik höre und manchmal sogar die Augen schließe, bin ich im totalen Flow. Ich muss mir wirklich einen Wecker stellen. Ganz anders ist das beim Brotbacken in unserer Familienmühle in der Nähe des Brombachsees, die im Mittelpunkt von „Mühlensommer“ steht. Beim Brotbacken müssen viele Sachen im richtigen Moment aufeinandertreffen, wenn das Brot gelingen soll. Das Feuer im Ofen muss weit genug herunter gebrannt sein, die Temperatur im Ofen muss stimmen, der Brotteig muss genug gegangen sein und dann muss auch noch der Brotschieber bereit stehen... Da geht es darum, Zeit zu koordinieren.

    Martina Bogdahn, Autorin des Bestsellers „Mühlensommer“.
    Martina Bogdahn, Autorin des Bestsellers „Mühlensommer“. Foto: Beppo Minx  

    Ricarda Funk, Kanu-Olympiasiegerin

    Für uns ist Zeit das entscheidende Kriterium, das über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Es geht bei uns um Hundertstelsekunden, da ist eine Stunde eine Ewigkeit. Die Leistung, die ich in einem Wettkampflauf bringen muss, kann ich keine Stunde durchhalten. Wenn ich aber auf dem Wasser trainiere, bekomme ich oft nicht mit, wie die Zeit vergeht. Dann schaue ich irgendwann auf die Uhr und stelle fest, dass ich jetzt schon eine Stunde mit einem einzigen Tor beschäftigt bin. Abseits des Trainings ist Zeitmanagement extrem wichtig im Leistungssport, das habe ich definitiv gelernt. Ich habe gelernt, mit meiner Zeit hauszuhalten und Prioritäten zu setzen. Trotzdem bin ich ein Mensch, der immer das Gefühl hat, der Zeit hinterherzurennen.

    Umso mehr liebe ich es, wenn die Uhr zurückgestellt wird und ich morgens mehr Zeit für mich selbst habe. Diese Zeit nehme ich mir ganz bewusst. Ein ausgedehntes Frühstück ist etwas, wo mir das Herz aufgeht. Wenn ich am Morgen eine Stunde mehr Zeit habe, bis ich aus dem Haus muss, finde ich das super. Ich mache einen Podcast an, bereite mein Frühstück zu und genieße seit Neuestem meinen Kaffee. Bis vor einem Jahr habe ich immer Tee oder heiße Schokolade getrunken. Alle haben mir prophezeit, dass der Tag kommen wird, an dem mir Kaffee schmeckt. Jetzt ist es so weit und ich muss der Wahrheit ins Gesicht blicken: Ich werde auch älter. Aber ich liebe weiterhin den Morgen, wenn man noch alles vor sich hat. Ich würde also auf jeden Fall eine zusätzliche Stunde dorthin packen.

    Ricarda Funk
    Ricarda Funk Foto: Michael Hochgemuth

    Carmen Rohrbach, Biologin und Reiseschriftstellerin

    Diese eine geschenkte Stunde nutze ich immer bewusst. Ich schwimme gerne und habe oft morgens keine Zeit dafür. Ich bin morgens aktiv, mache Gymnastik oder fange schon gleich mit dem Schreiben an. Aber jedes Jahr, wenn mir durch die Zeitumstellung eine Stunde Zeit geschenkt wird, gehe ich ganz bewusst schwimmen. Meist in aller Frühe um sieben Uhr, ich bin ja oft schon vor Sonnenaufgang wach. Wenn gerade im Herbst die Nebelschwaden über dem See liegen … herrlich!

    In meinem Leben habe ich viele Länder bereist und viele schöne Stunden überall auf der Welt erlebt. Aber eine Stunde wird mir immer in Erinnerung bleiben, weil sie mein Leben verändert hat. Damals, noch in der DDR, bin ich mit 12 Jahren in einen Film von Heinz Sielmann über die Galapagos-Inseln gegangen. Die Meeresechsen haben mich so fasziniert, dass ich noch während der Vorstellung beschlossen habe, Biologin zu werden und zu den Galapagos-Inseln zu reisen. Als ich viel später, nach einem Fluchtversuch aus der DDR und einem Gefängnisaufenthalt, aus dem ich freigekauft wurde, ein Jahr auf den Galapagos-Inseln arbeiten konnte, hat sich für mich ein Lebenstraum erfüllt. Zeit hat doch etwas Paradoxes. Wenn man viel in fremden Ländern unterwegs ist, vergeht die Zeit in den ersten zwei, drei Tagen ganz schnell, aber wenn man dann zurückschaut, glaubt man es kaum, was man in dieser kurzen Zeit alles erlebt hat. Ich bin jetzt 76 Jahre alt und ich kann nicht empfinden, dass die Zeit mit dem Alter schneller vergeht, aber man muss neugierig bleiben.

    Carmen Rohrbach beim schreiben in ihrem Haus in Schondorf am Ammersee
    Carmen Rohrbach beim schreiben in ihrem Haus in Schondorf am Ammersee Foto: Andreas Gebert

    Lea Linster, Fernsehköchin und Sterne-Köchin

    Eine geschenkte Stunde würde ich ungefüllt genießen. Mit einem schönen Frühstück: frisch duftender Kaffee, eines meiner Spitzbrötchen, gute Luxemburger Butter und darauf einen Saint-Félicien – ein Rohmilchkäse aus Frankreich. Herrlich! Während meiner Karriere im Restaurant bin ich selten vor ein Uhr nachts ins Bett gekommen. Heute gehe ich gerne früher schlafen und stehe morgens zwischen sechs und sieben Uhr auf. Dann eine kalte Dusche und der Tag kann beginnen. Ganz ohne Altlasten. Die Morgenstunde ist meine schönste Stunde. Ich habe das Glück, jeden Tag neu anfangen zu können und freue mich immer auf den Moment, wenn in meinem Boutique-Café, die ersten Madeleines ihren wunderbaren Duft verströmen. Besonders langsam vergeht für mich Wartezeit. Aber dann spiele ich mit meiner Phantasie. Aus diesen Tagträumen wurde schon so manches Realität. Diese Stunde werde ich nie vergessen: Es war die Stunde vor der Preisverleihung beim großen Kochwettbewerb Bocuse d’Or 1989. Das war eine besonders intensive Stunde, voller Spannung – mit einem Wechselbad aus Angst und Hoffnung. Zum Glück ist die Bibberstunde gut ausgegangen und Paul Bocuse hat die schönste Nachricht verkündigt: Ich wurde mit Gold ausgezeichnet. Ja, ich stelle fest, mit dem Alter vergehen die Stunden schneller. Das ist auch gut so. Ich möchte ja 200 werden und mich nicht bis dahin langweilen.

    Léa Linster
    Léa Linster Foto: Maurizio Gambarini, dpa

    Andreas Altmann, Reise-Reporter

    Wie würde ich eine geschenkte Stunde am liebsten füllen? Mit „leben“, natürlich. Mit was denn sonst? Pennen? Das kann ich, wenn ich tot bin – Ewigkeiten lang. Die schönste Stunde am Tag ist, wenn ich allein bin und arbeite (schreibe), dann sind es die Augenblicke, in denen ich fünf gelungene Sätze schaffe. Die schweben, die leidlich so klingen, wie sie sollen. Wenn sie mir nicht gelingen. Dann liege ich mit dem Kopf auf der Schreibtischplatte und mein Hirn muss schuften. Zäh, ganz zäh. Am schnellsten ist die Zeit weg – nur ein Beispiel –. wenn ich jemandem zuhöre, der kluges Zeug redet. Einer Frau oder einem Mann, die mein Leben bereichern. Ich will jeden Abend ein bisschen weniger ignorant ins Bett gehen.

    Mit dem Alter wird man noch geiziger mit seiner Zeit. „Time waits waits for no man“ las ich auf einer Hauswand in Liberia. Die Zeit ist gnadenlos demokratisch. Was für eine trübe Tasse wäre ich, hätte ich nicht 1001 Stunden, die mich bis ans Ende meiner Tage begleiten. Ich habe sie alle in meinem Kopf und auf der Festplatte meines Mac abgespeichert. Mich jagt jeden Tag die scheußliche Angst, dass ich auf meinem Sterbebett in Tränen ausbreche. Weil ich mein Leben vertrödelt habe. Ich lebe mit der Stoppuhr in der Hand – wohl eine Berufskrankheit. Auch in anstrengenden Situationen schaue ich auf die Uhr. Ich mag‘s, wenn ich am nächsten Tag in mein Tagebuch schreiben kann: „Um 16.37 Uhr sah ich einen ungeheuer Dicken den Champs-Élysées überqueren. Er schnaufte geräuschvoll. Ich war in Sorge, ob seine geschätzten 160 Kilo, rechtzeitig das Trottoir erreichen würden. Aber ja. Er lächelte.“

    Andreas Altmann
    Andreas Altmann Foto: Frank Leonhardt, dpa

    Günther Sigl, Sänger und Bassist der Spider Murphy Gang

    Ich würde mir eine Stunde mehr an der Gitarre gönnen, an neuen Songs basteln. Oder etwas mehr Zeit morgens für meinen Cappuccino und das Zeitunglesen, das ist jeden Tag mein Ritual. Aber die Zeitumstellung kann meinetwegen abgeschafft werden, es ist doch keine echte geschenkte Stunde, die hat man ja im März zuvor verloren. Für einen Musiker ist das nichts, normalerweise lege ich mich so zwischen 24 und 1 Uhr schlafen, dann müsste das im Winter schon um elf Uhr passieren, aber das mache ich nicht, ich mag die Abende. Wenn ich auf etwas warte, kann eine Stunde lang werden, die schönsten Stunden wiederum gehen schnell vorbei, am Wochenende ist das so. An eine besondere Stunde, an die ich mich nicht erinnern kann, war meine Geburt, das war für meine Mutter ein Erlebnis. Sie hat gesagt, ich sei eine schnelle Geburt gewesen. Schöne Stunden? Als wir erstmals in den Charts auf der Eins standen, hatte ich 1982 Geburtstag. Leider haben wir das nicht groß gefeiert, wir haben erst viel später realisiert, welches Glück es ist, einen Nummer-Eins-Hit zu landen. Man meint oft, da wäre gerade ein Ereignis gewesen, obwohl es schon fünf Jahre zurückliegt. Aber das geht anscheinend jedem so. Mei, wie lang hat es gedauert, bis man 18 war? Wie lange war ein Schuljahr. Ich schreibe mir immer die Tournee-Termine in den Kalender – und zack ist das Jahr wieder vorbei. Andererseits hat eine Stunde 60 Minuten, damit kann man doch einiges anfangen. Beim Musikspielen bin ich in meiner Welt. Da probiere ich stundenlang an neuen Songs herum, bis ich spüre, dass mir der Rücken schmerzt. Beim Singen und Gitarre spielen – da vergesse ich völlig die Zeit.

    Günther Sigl
    Günther Sigl Foto: Jochen Aumann
    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden