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Wie nachhaltig ist die Digitalisierung?

Umweltschutz

Smart oder schädlich: Wie grün ist die Digitalisierung?

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    LEDs leuchten in einem Serverschrank in einem Rechenzentrum. Die  Digitalisierung frisst enorm viele Ressourcen und Energie. Beschleunigt sie den Klimawandel?
    LEDs leuchten in einem Serverschrank in einem Rechenzentrum. Die Digitalisierung frisst enorm viele Ressourcen und Energie. Beschleunigt sie den Klimawandel? Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Zwei der Megatrends unserer Zeit sind der Wandel zu einer klimafreundlichen Wirtschaft einerseits sowie die Digitalisierung andererseits. Doch in welchem Verhältnis stehen die beiden Trends zueinander? Hilft oder schadet die Digitalisierung der Umwelt? Es kommt es auf Details an, sagen Forschende, vor allem bei der Herstellung und Nutzung digitaler Geräte. Neue Untersuchungen zeigen die Umweltauswirkungen der Digitalisierung.

    „Wenn das Internet ein Land wäre, hätte es 2020 im Ranking der größten Verursacher des Treibhausgases Kohlendioxid auf Rang 6 gestanden“, sagt Torsten Beyer, Experte für nachhaltige Internetnutzung. Durch Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI), wie ChatGPT, könnte das Internet in den kommenden Jahren sogar auf Rang 3 vorrücken (direkt nach China und den USA), denn KI benötigt große Mengen an Speicherplatz und Energie. In Deutschland beträgt laut einer Studie des Umweltbundesamts (UBA) der Anteil der Digitalisierung am Gesamt-CO2-Fußabdruck 5,7 Prozent. Ist die Digitalisierung also Gift für die Umwelt und beschleunigt sie den Klimawandel?

    Experte sagt: Ein E-Book-Reader kann Bäume retten und CO₂ einsparen

    Jan Stede von Technopolis Deutschland in Berlin, Christian Lautermann vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin und ihre Teams haben mehr als 200 Studien analysiert. Darin wurden Ressourcen- und Energieverbrauch verschiedener digitaler Systeme untersucht. Das Ergebnis: Die Herstellung und Nutzung von Geräten der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) verursachen rund vier Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes. Andererseits sorgen sie in der Wirtschaft für Effizienzsteigerungen oder haben das Potenzial dazu.

    „Es ist nicht immer leicht zu beurteilen, ob ein digitales System positive oder negative Umwelteffekte hat“, sagt Lautermann. Je nach Herstellungsprozess, Transport und Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix kann die Ökobilanz eines Geräts besser oder schlechter ausfallen. Lautermann und Kollegen haben bei ihrer Metastudie direkte sowie indirekte Umwelteffekte berücksichtigt: Bei den direkten Effekten geht es um Ressourcen und Energie für Herstellung, Verwendung und Entsorgung eines digitalen Geräts; hier fällt die Bilanz grundsätzlich negativ aus. Bei den indirekten Effekten kommt es darauf an, welche Effizienzsteigerungen und Ersetzungen ein Gerät ermöglicht.

    Lautermann nennt als Beispiel einen E-Book-Reader: „Ein lange genutztes Lesegerät kann hunderte, wenn nicht gar tausende Bücher aus Papier ersetzen – und damit nicht nur Bäume retten, sondern auch CO₂ einsparen.“ Auch bei der Gebäudeautomation können smarte digitale Steuerungssysteme für Strom und Heizung helfen, mehr Energie einzusparen als sie selbst verbrauchen. Ebenso hilft ein intelligentes Stromnetz (Smart Grid), das Ladestellen von Elektroautos und verteilte Speicher nutzt, um die wechselhafte Stromerzeugung durch Wind- und Solarkraft auszugleichen, Energie und damit Treibhausgasemissionen einzusparen.

    Eine Stunde Gaming kann bis zu 2,5 Kilogramm CO₂ verursachen

    Doch es gibt auch ungünstige indirekte Effekte. So berichtet Lautermann von der möglichen Nebenwirkung, dass die Energieeinsparungen in einem Smarthome die Eigentümer dazu verleiten können, sich zusätzliche Stromverbraucher anzuschaffen und so am Ende mehr Ressourcen und Energie zu verbrauchen. Die Forschenden sprechen von einem Rebound-Effekt. Dieser ergibt sich auch in der Industrie, wenn die digitale Effizienzsteigerung in einer Fabrik dazu führt, dass mehr Waren produziert werden. Auch die ständig neuen Möglichkeiten und steigende Qualität von Internetdiensten, zum Beispiel beim Streamen von Filmen, führt trotz Effizienzverbesserung zu einem Anwachsen des Energieverbrauchs.

    Experten raten, dass Nutzende immer auch den Weg, den ihre Daten nehmen, berücksichtigen sollten.
    Experten raten, dass Nutzende immer auch den Weg, den ihre Daten nehmen, berücksichtigen sollten. Foto: Peter Steffen/dpa

    Das Streamen ist Gegenstand einer der Fallstudien, die das UBA für die Studie „Digitalisierung und natürliche Ressourcen“ in Auftrag gegeben hat. Die Forschenden errechneten für die Anwendung „eine Stunde Gaming und Streaming von League of Legends“, dass sie Treibhausgasemissionen von 2,54 Kilogramm CO₂-Äquivalente verursacht. Der Primärmaterialaufwand, der vor allem Herstellung und Betrieb der Server, der Internetverbindung und des Gamingcomputers berücksichtigt, schlägt mit 3,92 Kilogramm zu Buche. Darin enthalten ist auch das Gestein, das entfernt werden muss, um an die Metalle für Mikrochips, Platinen und Laptopbatterien zu gelangen.

    Allgemein wird der Digitalisierung ein enormes Potenzial bei der Entlastung der Umwelt zugetraut. Das gilt beispielsweise für den Bereich der „Industrie 4.0“, wo digitale Anwendungen schon heute zu geringerem Energie- und Rohstoffbedarf führen. „Umgekehrt beanspruchen digitale Produkte und Techniken selbst immer auch natürliche Ressourcen und haben entsprechende Umweltwirkungen“, schreiben die Studienautoren. Christopher Manstein vom UBA betont, dass in vielen Bereichen der Wertschöpfungskette die Datenlage und Transparenz noch unzureichend sei und es erheblichen Verbesserungsbedarf gebe.

    Experten raten, elektronische Geräte möglichst lange zu nutzen und Altgeräte zu verwerten

    Für die einstündige Teilnahme einer Person an einer Videokonferenz errechneten die Forschenden einen Primärmaterialaufwand von 134 Gramm und Treibhausgasemissionen von 70 Gramm CO₂-Äquivalente. Dies ist einerseits erheblich weniger, als wenn die Person gereist wäre, um an einer Konferenz teilzunehmen. Andererseits hätte eine Telefonkonferenz weniger Ressourcen und Energie verbraucht. Die Anzahl von Videokonferenzen hat zudem seit der Corona-Pandemie stark zugenommen.

    Lebenszyklusanalysen ergaben, dass bei der einstündigen Videokonferenz der größte Teil der eingesetzten Ressourcen auf die Herstellungsphase der digitalen Geräte entfällt: zwischen 86,2 Prozent für den Primärrohstoffeinsatz und 71,5 Prozent für den CO₂-Fußabdruck. Die Werte für den Energieaufwand, den Wasserverbrauch und das Landnutzungspotenzial liegen dazwischen. Weil die Produktion der digitalen Geräte am aufwendigsten ist, empfehlen die Studienautoren, die Geräte möglichst lange zu nutzen und zu einer Kreislaufwirtschaft zu kommen, in der Altgeräte verwertet werden.

    Allerdings sind einer langen Nutzung oftmals Grenzen durch den Hersteller gesetzt. Denn wenn die Software eines Geräts nicht mehr aktualisiert wird, ist es nur noch eingeschränkt nutzbar. Für Sicherheit und Datenschutz sind die Software-Updates unerlässlich, ohne sie veralten Geräte vorzeitig.

    Auch von einer echten Kreislaufwirtschaft ist Deutschland weit entfernt: „Jedes Smartphone enthält ungefähr 30 Milligramm Gold, was beim aktuellen Goldpreis ungefähr 2,40 Euro Materialwert bedeutet; in Deutschland liegen mindestens 200 Millionen Alt-Handys ungenutzt herum, was allein einem Goldwert von 480 Millionen Euro entspricht“, rechnet Torsten Beyer vor.

    Verantwortung für umweltfreundliche Digitalnutzung liegt nicht nur bei den Nutzenden

    Beyer betont, dass Nutzende immer auch den Weg, den ihre Daten nehmen, berücksichtigen sollten. So verursache die mobile Datenübertragung über LTE (4G) pro Gigabyte Datentransfer 6,5-mal so hohe Treibhausgasemissionen wie die Übertragung über ein Glasfaserkabel, bei 5G ist es immer noch ein Faktor von 2,5. Christian Lautermann plädiert dafür, Verbrauchern Daumenregeln an die Hand zu geben, wie sie für eine klimafreundliche Ernährung bekannt sind: Regionalität, Saisonalität, ökologischer Anbau und wenig Fleisch entsprächen dann der Langlebigkeit der digitalen Geräte, ihrer Reparierbarkeit und der Nachhaltigkeit von Anbietern, wie Fairphone (Smartphone), Posteo (E-Mail) oder WeTell (Mobilfunk). Christopher Manstein empfiehlt Interessierten die Internetseite der UBA.

    Beyer hält häufig Vorträge zur nachhaltigen Nutzung digitaler Infrastruktur, oft geht es um die Optimierung von Internetseiten. Denn eine attraktive Website benötige nicht mehr als ein Megabyte an Daten, die meisten Seiten könnten um 50 Prozent optimiert werden, sagt er. Bei Webshops sei der positive Nebeneffekt, dass Seiten schneller geladen und weniger Kaufvorgänge abgebrochen würden. Doch Zuhörer argumentierten immer wieder, sie als einzelne wären nicht ausschlaggebend, wenn es um umweltfreundliche Digitalnutzung gehe. Oft antwortet Beyer dann: „Aber zur nächsten Wahl gehen Sie doch hoffentlich, auch wenn Ihre Stimme eher nicht den Ausschlag geben wird?“

    Auch Lautermann sieht große Einsparpotenziale durch die Verhaltensänderung bei einzelnen Nutzern. Allerdings möchte er nicht die Verantwortung für einen ressourcenschonenden und energiearmen Umgang mit digitalen Systemen auf die Nutzenden abwälzen. „Was beispielsweise die Reparierbarkeit von digitalen Geräten angeht, wären entsprechende Gesetze effektiver.“ Dennoch könne jeder durch sein Nutzungsverhalten dazu beitragen, dass die Digitalisierung umwelt- und klimafreundlicher wird. (Stefan Parsch, dpa)

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