Vom Aussichtsturm Merzdorf bietet sich auf 31 Metern Höhe ein beeindruckender Blick über den flächenmäßig größten künstlichen See Deutschlands: den 19 Quadratkilometer großen Cottbuser Ostsee. Als der Turm 2006 eingeweiht wurde, blickte man auf eine leblos anmutende Mondlandschaft, den Braunkohletagebau Cottbus-Nord.
2015 stillgelegt wird der ehemalige Tagebau seit 2019 geflutet, mit 80 Prozent Wasser aus der Spree. Lange ragten noch die vorgesehenen Flachwasserbereiche aus dem See, doch seit Februar 2024 liegen auch sie unter Wasser. Der endgültige Wasserspiegel von 62,5 Metern über Normalnull soll im Laufe des Jahres 2025 erreicht werden – im November 2024 lag er nur einen halben Meter darunter.
Bergbauunternehmen sind für das Anlegen der Seen verantwortlich
Der Cottbuser Ostsee ist einer von über 500 Seen, die nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) in Deutschland durch den Braunkohletagebau entstanden sind. Davon haben jedoch nur etwas mehr als 100 eine Fläche von über einem halben Quadratkilometer, sodass nach den Regelungen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie regelmäßig über ihren Zustand berichtet werden muss. Die Richtlinie verpflichtet alle EU-Staaten dazu, ihre Gewässer in einen guten ökologischen Zustand zu bringen. Beim Anlegen von Tagebauseen ist dies Aufgabe der Bergbauunternehmen.
Beim Cottbuser Ostsee sprechen Prognosen und der aktuelle Zustand für eine gute Wasserqualität: „Wir haben einen pH-Wert im Neutralbereich und relativ geringe Eisenkonzentrationen“, berichtet Thomas Koch, Leiter der Abteilung Geotechnik beim zuständigen Energie- und Bergbauunternehmen LEAG. Das hat zum einen mit dem Untergrund zu tun, in dem wenig Eisen in einer Form vorliegt, die von Wasser gelöst werden kann. Zum anderen ist das überwiegend für die Flutung verwendete Spreewasser in Höhe von Cottbus eisenarm.
Die meisten Tagebauseen enthalten nur eine geringe Anzahl von Tier- und Pflanzenarten
Einen solch guten Zustand – oder eine entsprechende Prognose – haben nicht alle Braunkohletagebauseen. Denn oft geht Bergbau mit einer Versauerung von Grubenwasser einher. Das liegt meist an den schwefelhaltigen Eisendisulfidmineralen Markasit und Pyrit, auch als Narren- oder Katzengold bekannt. Reiner Pyrit besteht aus Eisen und Schwefel im Mengenverhältnis 1:2. Wenn er in Kontakt mit dem Sauerstoff der Luft kommt, oxidiert er. Dies geschieht langsam, doch Mikroorganismen, wie Bakterien und Archaeen, beschleunigen den Prozess enorm. Durch den Oxidationsprozess entsteht Schwefelsäure.
„Saure Tagebauseen sind aber keineswegs biologisch tot“, betont Martin Schultze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg, der sich seit 1984 mit der Wasserqualität in Bergbauseen befasst. Zwar enthalten solche Seen nur eine geringe Anzahl von Arten und auch Biomasseproduktion entsteht wenig, doch einzellige Algen, wie Ochromonas, Chlamydomonas und Euglenophyceen, sowie Rädertierchen wie Cephalodella können darin leben. Bei einem pH-Wert über 2,6 gedeihe mit der Zwiebel-Binse auch eine größere Pflanze, heißt es in einem UBA-Bericht. Je näher jedoch das Wasser eines Sees dem neutralen pH-Wert 7 kommt, desto vielfältiger wird die Tier- und Pflanzenwelt.
Wegen möglicher Rutschungen dürfen noch keine Boote auf den See
Die genaue Zusammensetzung der Flora und Fauna im Cottbuser Ostsee ist bisher nicht bekannt, erst 2025 soll es Untersuchungen geben. Ein Grund dafür: Probenahmen wären derzeit noch gefährlich, weil an den Uferbereichen und den Hängen am Seeboden Rutschungen und dadurch Flutwellen drohen. Deshalb dürfen derzeit auch keine Boote auf den See. Die regelmäßige Wasseruntersuchung nimmt die LEAG per Hubschrauber vor.
Bei Prognosen zur Entwicklung von Tagebauseen wird zwischen flachen und tiefen Seen unterschieden. „Das ist eine entscheidende Frage, weil sie sich in der Gewässerökologie grundlegend unterscheiden“, betont der Gewässerökologe Dieter Leßmann von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. In flachen Seen kann sich das ganze Jahr über Wasser zwischen Oberfläche und Seeboden durchmischen.
In tiefen Seen entsteht im Sommer eine thermische Schichtung, bei der das wärmere Oberflächenwasser vom kalten Tiefenwasser getrennt ist. Während der Sommerstagnation kann daher kein Sauerstoff aus der Luft in die Tiefe gelangen.
Die neuen Arten sind an diese Verhältnisse angepasst. Der Ostsee weist – anders als die meisten großen Tagebauseen – neben relativ kleinen Tiefbereichen einen ausgedehnten Flachwasserbereich auf. Während des Abbaus der Braunkohle wurde der Abraum, also die Erdschichten, die über der Braunkohleschicht lagen, in dem Bereich abgelagert, in dem die Braunkohle bereits abgebaggert war. Das Ergebnis waren sogenannte Innenkippen, die bei der endgültigen Füllhöhe des Sees nur zwei bis drei Meter unter dem Wasserspiegel liegen. An den Abbaukanten zum Zeitpunkt der Stilllegung ist der See hingegen bis zu etwa 30 Meter tief.
Hecht, Schleie und Barsch könnten sich im See ansiedeln
Leßmann geht davon aus, dass der große Flachwasserbereich und die Ufergebiete fast durchgängig von Pflanzen besiedelt werden. Auf Basis der Erfahrungswerte von anderen Seen werden das laut einer Prognose von 2021 unter anderem Laichkräuter und Armleuchteralgen sein. Zudem wird im Uferbereich eine Röhrichtzone mit Schilf entstehen. Leßmann befürchtet, dass sich auch invasive Gattungen wie die Wasserpest (Elodea) im Ostsee verbreiten könnten – wie zeitweilig auch in anderen Tagebauseen.
Neben Mikroorganismen werden sich auch Wenigborster (Ringelwürmer), diverse Insekten sowie Krebse, Schnecken und Muscheln ansiedeln. Im Fischbestand werden die Leitarten Hecht und Schleie sowie Plötze, Barsch und Rotfeder vorhergesagt. Wegen der Nährstoffarmut des Sees sei nicht mit so großen Beständen zu rechnen, dass sich eine Berufsfischerei lohnt, heißt es in der Prognose. Vor allem Phosphor ist nur in geringer Menge vorhanden.
Auch wenn die Nährstoffarmut des Ostsees das Wachstum von Pflanzen und Tieren einschränkt, hat sie für den Menschen deutliche Vorteile: „Der See hat eine sehr klare Wasserlamelle“, sagt LEAG-Mitarbeiter Koch. Das ist vor allem für die Nutzung als Badesee wichtig. Neben mehreren Badestränden und Freizeiteinrichtungen sind der Cottbuser Stadthafen – am Aussichtsturm Merzdorf – und der Hafen Neuendorf in der Gemeinde Teichland geplant.
Doch vor der Nutzung durch den Menschen muss der See aus der Bergaufsicht entlassen werden. Das wird nach Angaben von Koch nicht vor Beginn der 2030er-Jahre geschehen.
Auf dem Cottbuser Ostsee liegt derzeit die größte schwimmende Solaranlage Deutschlands
Die einzige menschliche Nutzung des Sees ist derzeit die größte schwimmende Solaranlage Deutschlands: Mehr als 51.000 Solarmodule auf rund 1.800 Schwimmkörpern werden voraussichtlich ab Frühjahr 2025 rund 8.000 Haushalte mit Solarstrom versorgen. Dafür wird auf dem großen See nur etwa ein Prozent der Wasserfläche benötigt.
Und es gibt noch wasserreichere Seen: „Die Fläche ist zwar beim Cottbuser Ostsee die größte, aber das Wasservolumen ist im Geiseltalsee bei Merseburg erheblich größer“, stellt der Magdeburger Forscher Schultze klar. Der Geiseltalsee hat bei einer Fläche von 18,4 Quadratkilometern ein Wasservolumen von 430 Millionen Kubikmetern. Im Cottbuser Ostsee werden es bei vollständiger Füllung nur etwa 121 Millionen Kubikmeter sein.
Vom Wasservolumen her ist der Geiseltalsee, ebenfalls ein Braunkohlentagebausee, der neuntgrößte See Deutschlands. Doch wenn umgesetzt wird, was der Energieversorger RWE im Rheinland plant, dann werden der Cottbuser Ostsee und der Geiseltalsee ihren Status in den kommenden Jahrzehnten verlieren. So soll aus dem Tagebau Garzweiler II ein See entstehen, der rund 22 Quadratkilometer groß ist und ein Wasservolumen von etwa 1.500 Millionen Kubikmetern enthält.
Noch größer soll der See im Tagebau Hambach werden, der voraussichtlich eine Fläche von 35 Quadratkilometern, eine Tiefe von bis zu 365 Metern und ein Wasservolumen von 4.300 Millionen Kubikmeter haben wird. Er wäre der tiefste See Deutschlands und dem Volumen nach der zweitgrößte See nach dem Bodensee.
Je schneller die Seen geflutet werden, desto geringer das Risiko von Oxidationen
Das Wasser für beide Seen soll über Pipelines aus dem Rhein kommen. Umweltschützer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bezweifeln, dass solche Wassermassen über einen Zeitraum von 40 Jahren aus dem Rhein entnommen werden können, auch vor dem Hintergrund des Klimawandels. Um den Boden zu neutralisieren, werden dem Abraum jährlich viele Tonnen Kalk zur Säurebindung hinzugefügt.
Am Cottbuser Ostsee hat man möglichst schnell geflutet, um problematische Oxidationen so gering wie möglich zu halten, indem der Seeboden möglichst schnell mit Wasser aufgesättigt wurde. „Das hat bei anderen Seen in der Lausitz geklappt und das haben wir hier auch gemacht“, sagt Koch. (Stefan Parsch, dpa)
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