Schon gehört? Klatsch und Tratsch ist gar nicht so schlimm, wie immer alle tun. Die Rede ist nicht von gehässigen Kommentaren über Äußerlichkeiten. Tratschen hilft benachteiligten Gruppen, sich zu ermächtigen. Und das, obwohl sogar in der Bibel steht, dass Klatsch und Verleumdung das Ergebnis einer verdorbenen Gesinnung sei. „Geschäftige Leute“, die „über Dinge reden, die nicht erwähnt werden dürfen“, sind demnach zu verurteilen. Wie verwerflich sind diese geheimen Gespräche aber tatsächlich, wenn geschäftige Leute, früher also Hausfrauen am Waschbrett, sich über Themen unterhalten, die sie nichts angingen, also Ungerechtigkeiten und ihre eigene Benachteiligung?
Lästermaul, Tratschtante, Gossip Girl sind allesamt Begriffe, die eine „Art Mensch“ beschreiben. Und im ersten Moment denken die meisten Menschen, natürlich, an Frauen. Das ist kein Zufall. Als Frauen begannen, sich über ihre eigenen Rechte zu unterhalten, wurden sie schnell als aufmüpfige Biester dargestellt. Wenn Männer damals etwas nicht gebrauchen konnten, dann Frauen, die plötzlich begreifen, dass Informationen ihnen Macht geben. Also macht man aus ihnen Dramaqueens, die sich über andere „das Maul zerreißen“ und über Dinge sprechen, die sie nichts angehen.
Tratsch: Machtinstrument der Frauen oder Laster?
Was ist dran an diesem Klischee? Forschende der Universität Ariel in Israel fanden heraus: gar nicht mal so viel. Frauen, so heißt es in der Studie, neigen dazu, positiv wahrgenommenen „Gossip“ (also Tratsch) zu verbreiten. Frauen plaudern nämlich eher aus einem Fürsorgemotiv heraus, als dass sie schadende Motive haben. Männer dagegen lästerten häufiger mit böser Zunge. Das bestätigen auch die Erkenntnisse von Forschenden in Social Psychological and Personality Science. Frauen tratschen gemäß den Forschungsergebnissen zwar häufiger als Männer – sprechen aber häufiger über soziale Themenbereiche. Die Unterschiede bei der Häufigkeit sind laut dieser Studie übrigens marginal.
Historisch gesehen waren Frauen gewissermaßen gezwungen, zu tratschen. Die Gespräche waren und sind aber keineswegs in jedem Fall ein Akt der Bosheit oder Missgunst – Frauen wurden schlicht von wichtigen Themen ausgeschlossen. Sie hatten kein Mitspracherecht, keine Macht – dachte man. Doch der Austausch hat deren Vertrauen und Verbindung gestärkt. Zu wissen, was passiert, und einander vielleicht sogar zu warnen, war für Frauen ein Weg, Sicherheit zu schaffen und zusammenzuhalten. Für Männer in Machtpositionen war es dagegen eins: eine Gefahr. Und Tratsch wurde damit schnell als schlechte Angewohnheit dargestellt, verpönt, zu verurteilen und besonders eines: weiblich.
Lästern war ein Werkzeug zur Emanzipation
Politische Diskurse und Entscheidungen waren keine Themen, bei denen man Frauen dabeihaben wollte. Versteht man Klatsch einmal ganz wertungsfrei als die Weitergabe von Informationen, wird klar, dass er ein wichtiges Werkzeug war. Damals war der Inhalt dieser geheimen Gespräche vermutlich weniger trivial als heute. Doch auch heute noch hilft etwa der Flurfunk dabei, Ungerechtigkeiten ans Licht zu bringen.
In der gesellschaftlichen Abwertung von Klatsch steckt also mehr als auf den ersten Blick erkennbar. „Über Geld spricht man nicht“ – eine Regel, die dazu dient, ungerechtfertigte Ungleichheiten zu verschleiern, ohne dass ein Chef in Erklärungsnot gerät. Offene Gespräche über Themen wie Gehalt, Ungerechtigkeiten oder Machtstrukturen sind unbequem, besonders für jene, die von dieser Verschwiegenheit profitieren. Vielleicht würde Klatsch anders wahrgenommen, wenn er nicht immer noch eine Gefahr für bestehende Machtverhältnisse darstellen würde.
Informationsaustausch als Schlüssel zur sozialen Bewertung
Klatschen und Tratschen sind also bis heute ein Weg, um Machtstrukturen zu hinterfragen – privat, beruflich und gesellschaftlich. Sich über Themen zu unterhalten, die uns vermeintlich nichts angehen, kann helfen, soziale Normen neu zu definieren. Lästern, Tratschen oder schlichtweg der Informationsaustausch erlaubt Menschen, das eigene Verhalten und das der anderen zu bewerten und zu hinterfragen.
Es ist also an der Zeit, den Ruf der Tratschtanten und Gossip Girls aufzuwerten, wenn es sich bei den Inhalten um mehr als sensationsgieriges, boshaftes Gerede handelt. Neugierig zu sein sollte nicht als negatives Laster ausgelegt werden, wenn man von dem Thema zumindest mittelbar betroffen ist. Solange Informationen dazu dienen, dass sich die Informierten über den anderen erheben können, darf nicht vergessen werden, wie wertvoll der informelle Austausch sein kann – und welche Rolle er historisch für die Emanzipation gespielt hat.
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