Pilzsammler, so heißt es, hätten eine gewisse Neigung zum Einzelgängertum. Der Journalist und Pilz-Experte Heinz-Wilhelm Bertram schrieb über die Suchenden, die ihm als Kind begegneten: „Es waren meist ältere Männer, unscheinbar graugrün gekleidet, scheu und geheimnisvoll. Kaum einmal ließen sie sich in den Korb – in die Karten – schauen.“ Schon damals hätten ihn diese Einzelgänger fasziniert, erinnert sich Bertram. Hatte man sie entdeckt, „stahlen sie sich tunlichst geräuschlos davon.“
Auch heute gibt es Menschen, die Schwammerl suchen, um der modernen Welt für einen Augenblick zu entfliehen. Unbeantwortete E-Mails werden schnell bedeutungslos beim Anblick einer Gruppe prächtiger Sommersteinpilze, die sich im hohen Gras einer Lichtung versteckt haben, dort also, wo es ohnehin kaum Empfang gibt.
Schwammerl-Videos laufen alle ziemlich ähnlich ab
Aber es gibt auch jene Pilzsammler, es sind vor allem Männer, die die Moderne in den Wald hineintragen. Auch sie sind allein unterwegs, aber nicht wirklich allein. Denn sie filmen sich beim Schwammerlsuchen und laden ihre Videos in soziale Netzwerke wie Youtube oder Instagram hoch. Hunderttausende schauen ihnen dabei zu, die Pilzsammler-Gemeinde im Netz erstreckt sich wie ein Myzel vom Allgäu bis an die Ostsee. Ach was, von Südtirol bis nach Norwegen. Digitale Pilzfreunde, so weit das Auge reicht.
Pilzfluencer haben begriffen, dass der Mensch viel lieber bei etwas zusieht, als es selbst zu machen. Sie übertragen das Erfolgsgeheimnis von Kochshows und Sportsendungen auf die Schwammerlsuche. Mindestens genauso einnehmend wie das eigene Herausdrehen eines Fichtensteinpilzes aus dem feuchten Waldboden scheint für viele Pilzsammler zu sein, andere dabei zu beobachten. „Aaaah“, stöhnen Pilz-Youtuber in ihren Videos, wenn sie ein besonders schönes Exemplar gefunden haben. „Ohhhh“, stöhnen Zuschauerinnen und Zuschauer, wenn sie ihrem Pilz-Idol dabei zusehen dürfen.
Die Schwammerl-Videos laufen alle ziemlich ähnlich ab: Pilzsammler begrüßt seine Fans und erklärt, warum er in diesem oder jenem Wald unterwegs ist. Pilzsammler beginnt zu suchen und findet bestenfalls Pilze (sonst kein Video). Pilzsammler sucht weiter und gibt Tipps zur Bestimmung. Pilzsammler freut sich über einen vollen Korb und fragt zum Abschied, was die Fans so gefunden haben („Schreibt’s mir in die Kommentare“).
Im Internet lässt sich mit dem Pilzsammeln Geld verdienen
Manche Pilzfluencer besuchen sich gegenseitig, so von Pilzkanal zu Pilzkanal. Man kennt sich in der Community, weiß Bescheid, wer zur letzten „Schwemme“ am richtigen Ort war. Es gibt Pilzfluencer, die Videos von sich aufnehmen, wie sie andere Pilz-Filmchen schauen, sogenannte Reaction-Videos. Freilich etwas albern, aber das gibt es auch von Influencern, die ihr Geld mit Computerspielen oder Rappen verdienen.
Und überhaupt, die Sache mit dem Geld: Ein großer Fund kann nicht nur auf dem Wochenmarkt lukrativ sein. Auch im Internet lässt sich damit Geld verdienen, in Form von Abos oder Werbepartnern zum Beispiel. Wer mit einem vollen Korb Pfifferlinge nach Hause kommt, wegen ihrer leuchtend-gelben Farbe auch das „Gold der Wälder“ genannt, der kann auch das begehrte Klick-Gold schürfen. Viele Pilz-Youtuber halten außerdem Vorträge, geben Pilzseminare und bieten geführte Pilzwanderungen an.
Wobei die Frage berechtigt ist, wie viel ihr Treiben dann noch mit einem Hobby zu tun hat. Wie das kindliche Spielen zeichnen sich Hobbys eigentlich dadurch aus, im besten Sinne nutzlos zu sein und dem eigenen Vergnügen zu dienen.
Pilzfluencer sind auch nur auf Klicks aus
Manche Videos jedenfalls zeigen, dass auch Pilzfluenzer auf die Aufmerksamkeitsökonomie des Internets hereingefallen sind: Titel wie „RIESEN Steini“, „Pilz-ESKALATION 2024“ oder „Größter Fund EVER“ sollen die Nutzerinnen und Nutzer vor allem zum Anklicken der Videos verleiten. Oft bleiben dann die tatsächlichen Funde hinter den Erwartungen zurück. Clickbait lässt grüßen.
Zumal bei der Vielzahl an Videos ein subtiler Druck entsteht, auch selbst mal wieder mit einem üppig gefüllten Körbchen aus dem Wald zu kommen: Wenn alle anderen was finden, dann muss ich doch auch... bloß nicht diesen Wachstumsschub verpassen... also schleunigst rein in die Stiefel und ab in Richtung Unterholz... grrr, schon zwei Autos parken am Waldrand… schnell hinterher!
Wo bleibt bei so viel Konkurrenz der Charme des Schwammerlsuchens? Und was ist aus den scheuen Sammlern geworden, die Pilzbuch-Autor Bertram aus seiner Jugend erinnert? Antworten auf diese Fragen finden sich womöglich bei einem entspannten Streifzug durch die herbstlichen Pilzwälder. Ob mit oder ohne Kamera, bleibt jedem selbst überlassen. Der scheue Sammler ist ohnehin längst mit vollem Korb davongehuscht.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden