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Vitamin-Einnahme: Wann nutzt sie, wann schadet sie?

Nährstoffe

Vitamine: Wann nutzen sie, wann schaden sie?

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    Ohne Vitamine kann der Mensch nicht leben.  Und herrscht Mangel, nimmt er sie heute per Tablette oder Präparat zu sich. Aber wie steht es um den Vitamin-Haushalt der Menschen in Deutschland?
    Ohne Vitamine kann der Mensch nicht leben. Und herrscht Mangel, nimmt er sie heute per Tablette oder Präparat zu sich. Aber wie steht es um den Vitamin-Haushalt der Menschen in Deutschland? Foto: Fernando Gutierrez-Juarez, dpa (Symbolbild)

    Vitamine sind wichtig, das weiß fast jeder. Und auch, dass frisches Obst und Gemüse gesund sind, gesünder zum Beispiel als Pommes mit Ketchup oder Toastbrot mit Nutella. Wer sich gesund ernähren will, schaut, genügend frisches, schonend zubereitetes Essen auf den täglichen Speiseplan zu bringen. Wobei es mittlerweile auch praktische Alternativen dazu gibt: die Nahrungsergänzungsmittel. 

    Und schon ist man mittendrin in diesem Glaubenskampf, ob zusätzliche Vitamine nötig sind, ob die Extradosis Vitamin C hilft oder ob der Vitamin-D-Boost nicht doch ein Schuss ist, der nach hinten losgeht. 

    Ärzte warnen davor, blindlings Vitamin-Präparate auf gut Glück zu schlucken

    In den zurückliegenden Jahren gab es einen regelrechten Hype, einen Vitamin-Boom. Allein in Apotheken haben die Kunden 2020 knapp 2,3 Milliarden Euro für Nahrungsergänzungsmittel ausgegeben, wie das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IQVIA berechnet hat. Mehr als die Hälfte davon entfiel auf Mineralstoffe und Vitamine. Der Markt ist groß. Verkauft werden die Vitamine nicht nur in Apotheken oder Drogeriemärkten, sondern auch im Internet von diversen Anbietern auf unterschiedlichen Portalen mit unterschiedlicher Qualität.

    Dagegen warnen Ärzte davor, blindlings Vitamin-Präparate aufs Geratewohl zu schlucken. Etwa der Berufsverband deutscher Internistinnen und Internisten auf seiner Internetseite. Sie zitieren dort Andreas Hensel, seines Zeichens Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, wie folgt: "Bei einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung erhält der Körper fast alle Vitamine in ausreichenden Mengen. Nahrungsergänzungsmittel sind für die meisten Menschen verzichtbar." Im besten Fall produziere man durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln teuren Urin, im schlimmsten Fall riskiere man gesundheitliche Schäden. Denn anders als bei Medikamenten werden Nahrungsergänzungsmittel nicht von Behörden auf ihre Sicherheit und Qualität untersucht. Tropfen, Pillen und Pulver können verunreinigt sein, ohne dass es der Konsument weiß. Außerdem kann es bei Dauereinnahme von hoch dosierten Präparaten zu gesundheitsschädlichen Überdosierungen kommen.

    Die deutsche Gesellschaft für Ernährung gibt Grenzwerte für Vitamine an

    Genauso sieht es auch die deutsche Gesellschaft für Ernährung, die auch Grenzwerte für die tägliche Vitamin-Zufuhr angibt. Dort heißt es, dass bei einer ausgewogenen Ernährung eine zusätzliche Einnahme von Vitamin-Präparaten nicht notwendig sei. Deutschland ist kein Vitamin-Mangelland. "Für einzelne Vitamine sprechen wir eine Empfehlung aus, die Zufuhr zu ergänzen", sagt Antje Gahl, Pressesprecherin der Gesellschaft für Ernährung. Folat oder Folsäure bei Schwangeren, Vitamin-D in den Wintermonaten, Vitamin B12 im Fall einer strengen veganen Ernährung. Einfach mal einnehmen, weil viel viel hilft – davon rät Gahl ab. Überdosierungen von Vitaminen können zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Die wasserlöslichen Vitamine werden in der Regel wieder über die Nieren ausgeschieden, die fettlöslichen können sich im Körper ansammeln.

    Also Achtung vor zu viel Vitaminen! Oder doch nicht? In der Schulmedizin – siehe die Stellungnahme der Internistinnen und Internisten – spielen Vitamine keine größere Rolle. Schwerer, lebensbedrohlicher Vitaminmangel kommt in den Industrieländern nicht oft vor. Skorbut ist eine Krankheit von gestern, eine Krankheit aus der Geschichte. Und sie lehrt, was passieren kann, wenn Vitamine über einen längeren Zeitraum komplett fehlen. Die Seefahrer im 15. und 16. Jahrhundert haben das schmerzhaft erfahren: Zahnfleischbluten, Hautprobleme, Muskelschwund, hohes Fieber, Durchfall und irgendwann der Tod. Der Grund: Monatelang haben sie auf den großen Ozeanüberquerungen nur Schiffszwieback zu essen bekommen. Bis Ärzte herausfanden, dass frisches Gemüse und Zitrusfrüchte die Symptome des Skorbuts wieder lindern konnten – und auch präventiv wirken

    Akuten Vitamin-B3-Mangel gibt es so gut wie nicht mehr

    Allerdings dauerte es noch einmal eine gute Zeit, bis Forscher entdeckt haben, was der genaue Grund für Skorbut ist: schwerster Vitamin-C-Mangel über Monate hinweg. Wobei nicht das wasserlösliche Vitamin C, die Ascorbinsäure, sondern das fettlösliche Vitamin A das erste von Forschern entdeckte Vitamin war – in den 1910er Jahren am Landwirtschaftsinstitut der Universität von Wisconsin. Dort testete man in einem Langzeitversuch die perfekte Nahrung für Kühe und wollte das ideale Mischungsverhältnis an Protein, Kohlenhydraten und Fett, den drei Grundbestandteilen der Nahrung, herausfinden. Die Tiere, deren Nahrung nur aus Weizen gewonnen wurde, wurden blind, wuchsen nicht richtig, und ihre Kälber kamen tot zur Welt. Bekamen sie das gleiche Futter aus Mais-Bestandteilen, blieben sie gesund. Ein Rätsel, das zur Entdeckung des Vitamins A führte.

    Und heute: Stirbt hierzulande niemand mehr an Skorbut, gehört Pellagra zu den Krankheiten, die man in europäischen Breiten nicht mehr kennt, weil es akuten Vitamin B3-Mangel so gut wie nicht mehr gibt. Und mit Rachitis können nur diejenigen etwas anfangen, die ein Faible für Gesellschaftsromane des 19. und frühen 20. Jahrhunderts haben. Die Sache mit den Vitaminen ist durch, könnte man meinen. Doch weit gefehlt. Die Frage heute lautet nicht, ob Zitrone und frisches Gemüse auf den Teller gehören, die Frage heute lautet, ob Zitrone und frisches Gemüse für den optimalen Vitaminbedarf reichen. Darüber entzweien sich die Ernährungsgeister.

    Die deutsche Gesellschaft für Ernährung erklärt, dass "bei einer ausgewogenen Ernährung eine zusätzliche Einnahme von Vitamin-Präparaten nicht notwendig" ist.
    Die deutsche Gesellschaft für Ernährung erklärt, dass "bei einer ausgewogenen Ernährung eine zusätzliche Einnahme von Vitamin-Präparaten nicht notwendig" ist. Foto: Frank Leonhardt, dpa

    Denn neben den Empfehlungen der Gesellschaft für Ernährung (fünf Portionen Gemüse und Obst am Tag reichen) gibt es nicht nur die Firmen, die Nahrungsergänzungsmittel herstellen und vertreiben und mit der Sorge um die Gesundheit Geschäfte machen, es gibt auch Ärzte und Heilpraktiker, die in ihren Praxen Patientinnen und Patienten gezielt mit Vitaminen und weiteren Nährstoffen behandeln. 

    Helena Orfanos-Boeckel gibt Tipps im Buch "Nährstofftherapie"

    Orthomolekularmedizin heißt diese relativ junge, noch nicht in die Breite etablierte Spielart der Medizin, die von den Krankenkassen allerdings im Regelfall nicht erstattet wird. Es geht dort um die optimale Versorgung mit Vitaminen, um einen robusten Stoffwechsel, oft auch um unspezifische Symptome wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Schlaffheit, deren Ursache man in einem Vitamin- und Nährstoffmangel vermutet.

    Eine Ärztin, die das seit vielen Jahren macht, ist Dr. Helena Orfanos-Boeckel. Sie hat ihre jahrzehntelange Erfahrung aus ihrer Praxis in dem Buch "Nährstofftherapie" (Trias Verlag) festgehalten. Die Ärztin versteht nicht, warum Nährstoffe und Hormone als Therapieinstrument keinen eigenen Platz in der Medizin haben und systematisch für Gesundheit, Krankheit und Prävention genutzt werden. Ihre Beobachtungen in der Praxis: vermehrt Frauen in den mittleren Lebensjahren, die alles richtig machen, sich gesund ernähren, Sport treiben und sich trotzdem nicht wohlfühlen. Orfanos-Boeckel stellt immer wieder fest, dass es den Frauen besser geht, wenn hormonelle Dysbalancen und ein Nährstoffmangel ausgeglichen werden – nicht aufs Geratewohl eingenommen, sondern auf Grundlage einer aufwendigen Labordiagnostik. 

    Und das führt zu einem anderen Herangehen an die Vitamine: Labore, die Blutproben analysieren, haben heute die Möglichkeit, nicht nur den Hämatokritwert und den Cholesterin-Spiegel zu bestimmen, sondern sehr viele andere Dinge auch: den Hormonspiegel, den Calcium-, Selen- oder Zink-Spiegel und die Konzentration der Vitamine. Zwischen "ein Apfel am Tag hält den Doktor fern" und "viel hilft viel, her mit den Vitamin-Pillen" gibt es also noch eine weitere Möglichkeit, mit den Vitaminen und Nährstoffen umzugehen: Das fängt damit an, Blutwerte zu bestimmen, diese mit einer Ärztin oder einem Arzt, der die Zahlen deuten kann, durchzugehen, und dann durch Präparate gezielt einzelne Vitamin- und Nährstoff-Werte auf Zielbereiche mit weiterer Labordiagnostik einzustellen. Der einzige Haken dabei: In der Regel müssen Patientin und Patient die Untersuchungen und die Arztkosten selbst bezahlen. Für die Laborwerte allein können da schnell Beträge von mehreren hundert Euro zusammenkommen. Man muss sich das leisten können.

    Vitamin-D-Mangel kennen viele – aber auch ander Vitamine können fehlen

    Denn: pauschale für jeden gültige Rezepte gibt es nicht. Jeder Mensch hat einen anderen Stoffwechsel, schreibt Orfanos-Boeckel. Keiner ist gleich, es gibt keine Musterlösung. Der eine benötigt mehr, die andere weniger. "So unterschiedlich wir aussehen, so unterschiedlich sind wir auch in unserem Körperinneren." Die Beobachtung von Orfanos-Boeckel: Gesunde Ernährung ist wichtig, ganz ohne Frage, es kann dabei aber trotzdem zu einem Vitamin- und Nährstoffmangel kommen. Nur sollte dieser Mangel nicht aufs Geratewohl mit Ersatzpräparaten behandelt werden, sondern nach genauer Labordiagnostik und unter ärztlicher Aufsicht. 

    Die gute Mischung: Zutaten für eine ausgewogene Ernährung

    Obst und Gemüse Saisonal und möglichst regional einkaufen. Immer öfter selbst kochen. Mit Kartoffeln, Reis oder Nudeln kombinieren und gut würzen. Geht schnell und schmeckt!

    Tiefkühlgemüse und -obst Tiefkühlware ist ruckzuck zubereitet. Der einzige Nachteil ist der hohe Energieaufwand bei Anbau, Transport und Lagerung. „Natur“-Gemüse lässt sich individuell würzen. Preiswerter sind Ein-Kilogramm-Beutel, aus denen sich die benötigte Menge gut entnehmen lässt.

    Kartoffeln Pellkartoffeln oder andere Kartoffeln „natur“ sind keine Dickmacher. Sie enthalten wertvolles Kalium, Ballaststoffe, pflanzliches Eiweiß. Kartoffeln vom Blech, Pellkartoffeln mit Kräuterquark, Kartoffel-Gemüsepfannen.

    Milch und Milchprodukte Diese Lebensmittel sollten immer möglichst naturbelassen gewählt werden.

    Hülsenfrüchte Gerade im Winter sind Linsensuppen in allen Variationen beliebt.

    Kohlenhydrate Sauerteigbrote und Vollkornbrote sind gut verträglich und bieten viele Vitamine und Ballaststoffe. Haferflocken zählen zu den gesündesten Lebensmitteln. Sie enthalten viel pflanzliches Eiweiß, Zink, Selen, Vitamin K, Magnesium, Phosphor.

    Nüsse Besonders Walnüsse trumpfen mit viel pflanzlichem Eiweiß, Vitamin E und vielen Mineralstoffen auf. Sie sind gut für Herz und Hirn.

    Wasser Der Körper ist auf Wasser angewiesen. Wichtig ist, am Morgen das Wasser, das sich über Nacht in der Leitung gesammelt hat, laufen zu lassen, bis es kalt ist.

    Kontakt Die Verbraucherzentrale Bayern berät auch per E-Mail. Unter ernaehrung@vzbayern.de können Sie die Verbraucherschützer erreichen. Auf dieser Internetseite können Sie ebenfalls Fragen zur Ernährung stellen.

    Wer das Buch von Orfanos-Boeckel liest, bekommt einen Einblick, wie im menschlichen Stoffwechsel die einzelnen Rädchen ineinandergreifen, wie viele verschiedene Stoffe beteiligt sind, wo es überall haken und nicht mehr rund laufen kann, wo Störungen vorliegen. Und die Vitamine und Nährstoffe spielen dabei eine wichtige Rolle. Vom Vitamin-D-Mangel wissen vielleicht noch viele. Dass zum Vitamin D als Freunde und Stoffwechsel-Mitbeteiligte auch noch das Vitamin K2 sowie Calcium, Magnesium und Bor gehören, schon viel weniger. Und wenn es dann an den Wirkungsmechanismus der drei verschiedenen Vitamin-D-Formen geht, dem Cholecalciferol, dem Calcidiol und dem Calcitriol, ist das buchstäblich ein Eintauchen in Stoffwechselprozesse. Das eine Vitamin D (Calcidiol) hilft dabei, Calcium aus der Nahrung aufzunehmen, das andere Vitamin D (Calcitriol) veranlasst, Calcium aus den Knochen herauszulösen. Das Erste will man, das Zweite will man verhindern. 

    Die Wissenschaft erforscht die Geheimnisse der Vitamine

    Und trotzdem gibt es auch weiterhin die Kritik, dass das alles schön und gut sei, ärztliche Erfahrung hin, ärztliche Erfahrung her, wissenschaftlich bewiesen sei der Nutzen von Vitaminen nur, wenn tatsächlich belastbare klinische Studien dazu durchgeführt werden. Aber auch da tut sich gerade vieles, zum Beispiel an der Universität Hohenheim, zum Beispiel in dem Forschungsteam von Prof. Sascha Venturelli. Es stellt sich die Frage, ob und in welchen Fällen hoch dosiertes Vitamin C bei Tumorerkrankungen als zusätzliche Therapieoption helfen kann. Venturelli sagt: "Bestimmte Tumorzellen haben Probleme, mit oxidativen Schäden umzugehen und reagieren dann sehr sensibel auf hoch dosiertes Vitamin C." Hochdosiert meint bis zum 100-fachen dessen, was über eine orale Aufnahme möglich ist. Das Vitamin C wird dabei über Infusionen zugeführt. 

    In den präklinischen Studien kommen Venturelli und sein Team bei manchen Krebsarten (beispielsweise schwarzer Hautkrebs oder bestimmte Gehirntumoren) auf vielversprechende Ergebnisse. "Wir denken, dass hoch dosiertes Vitamin C bei einigen Krebsarten als Zusatz zur Standardtherapie einen Überlebensvorteil bietet", erklärt Venturelli. Das heißt, die Lebenserwartung von Patientinnen und Patienten erhöht sich dadurch. Und das Gute dabei: "Viele Therapien bringen einen Vorteil von wenigen Monaten, haben aber hohe Nebenwirkungen." Nach der Gabe von hoch dosiertem Vitamin C würden Patientinnen und Patienten hingegen berichten, dass sie sich oftmals besser fühlen. Wobei Venturelli einschränkt, dass hoch dosiertes Vitamin C bei schlechter Nierenfunktion oder einem Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel nicht infrage kommt. Der Wissenschaftler und sein Team wollen mit ihren Forschungsergebnissen klinische Studien vorbereiten. Vielleicht gibt es für diese zusätzliche Therapie dann auch in absehbarer Zeit belastbare klinische Daten.

    Hat der Körper genügend Vitamine, ist schon einmal viel Gutes getan

    Und jetzt? Erst einmal Schokolade auf den Vitamin-Schock? Vom frühen Vitamin-Forscher und -Entdecker Elmer McCollum ist das Zitat überliefert: "Iss, was du willst, nachdem du gegessen hast, was du solltest." Wenn der Körper genügend Vitamine hat, ist schon einmal viel Gutes getan. Fast drei Generationen später, wo schwerer, potenziell tödlicher Vitamin-Mangel in den Industrieländern fast nicht mehr bekannt ist, hat diese einfache Regel allerdings einen anderen Beigeschmack: Stichwort Übergewicht als Quelle vieler Zivilisationskrankheiten. Aber das ist eine andere Geschichte. 

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