Das Positive vorweg: Die Welt ist nicht mehr ganz so ungerecht, wie sie mal war. Arbeiter und Frauen haben sich Rechte erkämpft, die Sklaverei ist abgeschafft, das Einkommensgefälle ist geringer als vor hundert Jahren. Gerecht ist die Gesellschaft trotzdem nicht, schon gar nicht global gesehen, denn der Wohlstand des Westens basiert größtenteils auf der Ausbeutung von ökologischen und menschlichen Ressourcen im globalen Süden. Wie aber lassen sich Gleichheit, Wohlstand und politische Teilhabe für alle stärken?
Die Mitte-Links-Regierungen haben zu einem Erstarken rechter Kräften beigetragen
Darüber haben Thomas Piketty und Michael Sandel vergangenes Jahr an der Paris School of Economics diskutiert. Es muss ein angeregtes Gespräch gewesen sein, das der französische Star-Ökonom und der in Harvard lehrende US-Philosoph führten. Selbst in der gedruckten Version, die unter dem Titel „Die Kämpfe der Zukunft“ nun erschienen ist, wird die Begeisterung am intellektuellen Austausch und am Eintreten für die gemeinsame Sache spürbar. Denn darin sind sich Piketty und Sandel einig: Gleichheit ist die wichtigste Bedingung für demokratisches Zusammenleben, weshalb sie konsequent vorangetrieben werden muss. Doch genau das, so ihr Vorwurf, haben die Mitte-Links-Regierungen in den letzten Jahrzehnten versäumt und damit zu einem Erstarken rechter Kräften beigetragen.
In ihrer Analyse blicken Piketty und Sandel nach Europa, aber vor allem in die USA. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war US-Präsident Donald Trump noch nicht gewählt, doch die beiden liefern einige Erklärungen für dessen Erfolg und fokussieren sich dabei vor allem auf die Defizite der Demokraten. Denn die hatten der neoliberalen Wende in den 1980er Jahren unter Ronald Reagan, in der die Einkommensteuer gesenkt und die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wurde, wenig entgegengesetzt. Bill Clinton trieb mit dem NAFTA-Abkommen den Freihandel voran und Barack Obama rettete in der Finanzkrise die Banken statt die Hausbesitzer. Damit brachen sie das Versprechen einer sozialdemokratischen Politik und verloren das Vertrauen vieler Wählerinnen und Wähler.
Thomas Piketty tritt für einen demokratischen Sozialismus ein
Warum verdient ein Hedgefonds-Manager 5000 Mal mehr als eine Krankenschwester? Sollte das Los über den Zugang zu Elite-Unis entscheiden? Was führt zu mehr Gerechtigkeit, Vermögen umverteilen oder Grundgüter wie Bildung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung und politische Teilhabe vom Markt abkoppeln, sodass Geld gar nicht mehr so wichtig ist? Es macht Spaß, den Gedankenexperimenten der beiden zu folgen, in Dialog-Form kommen die Themen gleich leichter daher.
Piketty tritt für einen demokratischen Sozialismus ein, fordert progressive Steuern sowie die Regulierung des Handels und Finanzsektors. Sandel argumentiert moralisch und kritisiert das Leistungsprinzip, mit dem soziale Ungleichheit legitimiert wird. Die Jeder-kann-es-schaffen-Mentalität führe zu einer falschen Überheblichkeit und einer Demütigung derer, die auf der Strecke bleiben. Piketty und Sandel schlagen den großen Bogen, sprechen über Gleichheit, Migration und enden bei Rousseau. Viel Stoff auf wenigen Seiten, da bleibt vieles vage, unterhaltsam ist es trotzdem. Und wie Piketty recht optimistisch resümiert: „Die langfristige Tendenz zu mehr Gleichheit wird sich fortsetzen.“
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