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Träumen Tiere wie wir? Das hat die Wissenschaft bisher entschlüsselt

Wissenschaft

Träumen Tauben vom Fliegen?

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    Heute Nacht etwas Schönes geträumt? Auch bei Tauben kann man Anzeichen fürs Träumen finden.
    Heute Nacht etwas Schönes geträumt? Auch bei Tauben kann man Anzeichen fürs Träumen finden. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Sie können schön sein, abenteuerlich, gruselig oder einfach verwirrend: Träume werfen viele Fragen auf – auch für die Wissenschaft. Ob auch Tiere träumen, ist eines dieser ungelösten Rätsel. Gianina Ungurean vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz in Seewiesen hat zwar Anzeichen für Träume bei Tauben gefunden. Doch die grundlegende Herausforderung kann die Biologin klar benennen: „Wir können die Tiere nicht fragen, ob sie träumen oder nicht.“

    Das gilt nicht nur für Tauben. Die Biologin Daniela Rößler und ihr Team der Universität Konstanz haben sogar bei Springspinnen eine Schlafphase entdeckt, die dem Traumschlaf bei Menschen ähnelt. Doch auch sie sehen die Schwierigkeit: „Ein Traumzustand lässt sich nicht konkret messen“, sagt Rößler. „Weil wir selbst beim Menschen auf die Wiedergabe der erlebten Träume angewiesen sind, ist es wissenschaftlich sehr schwer, das Träumen bei Tieren zu belegen.“

    Forschung zeigt: Das passiert während des Schlafens im Gehirn

    Bei Menschen ist laut Ungurean bekannt, dass sie meist in der sogenannten REM-Schlafphase träumen. REM steht für Rapid Eye Movement, also schnelle Augenbewegungen, weil ebendiese in dieser Schlafphase auftreten, wie die Forscherin erklärt. Ruhen die Augen dauerhaft, handele es sich um die Non-REM-Phase. Bisher sei ein Wechsel zwischen diesen Phasen bei Säugetieren, Vögeln, Reptilien und sogar Oktopussen nachgewiesen. Bei vielen anderen, vor allem wirbellosen Tieren, gehe man aber noch immer von einer einzigen Schlafphase aus. „Etwas sehr Wichtiges, das während des Schlafens stattfindet, ist die Reinigung des Gehirns“, sagt Ungurean. „Unsere Neuronen sind tagsüber sehr damit beschäftigt, Informationen zu übermitteln, dabei werden Stoffwechselabfälle produziert. Und diese Abfälle müssen beseitigt werden, damit wir richtig funktionieren können.“ Diese Reinigung erfolge über das sogenannte glymphatische System, ein Netzwerk aus Flüssigkeiten, die im und um das Gehirn fließen. „Von Säugetieren wissen wir, dass die Bewegung dieser Flüssigkeiten während des Non-REM-Schlafs verstärkt wird.“

    Es gebe mehrere Anhaltspunkte dafür, dass der REM-Schlaf bei der Verarbeitung und Regulierung von Emotionen beim Menschen eine Rolle spiele. „Während dieser Zeit werden emotionale Ereignisse, die während des Tages passieren, wieder verarbeitet und in unserem Gehirn gefestigt“, sagt Ungurean. REM-Schlafentzug könne bei Menschen zu emotionalen Über- oder Unterreaktionen führen. Schlafstörungen stehen Ungurean zufolge im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen wie etwa Depression.

    Ausweichmanöver im Vogel-Traum?

    Die Biologin erforscht den Schlaf von Vögeln. Um ihn an Tauben zu untersuchen, haben sie und ihr Team das Verhalten der schlafenden Tiere gefilmt und ihre Gehirnaktivität mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) überwacht. „Wir haben beobachtet, dass auch die Vögel zwischen den zwei Schlafphasen hin und her wechseln. In einer sind sie ruhig und atmen gleichmäßig, in der anderen bewegen sich ihre Augen schnell unter geschlossenen Lidern. Während dieser Phase zucken Teile ihres Körpers, inklusive der Flügel.“ Und noch etwas hat das Team herausgefunden: „Verschiedene visuelle Bereiche waren während des REM-Schlafs aktiv“, sagt Ungurean. Diese verarbeiten der Biologin zufolge im Wachzustand, was die Taube insbesondere beim Fliegen sieht. „Deswegen können wir uns vorstellen, dass das Tier geträumt hat, dass es fliegt und Objekten ausweichen muss.“ Damit sei zwar nicht bewiesen, dass der Vogel geträumt hat. „Aber wir vermuten, dass das Schlafverhalten und die damit verbundene Hirnaktivität erste – und derzeit einzig verfügbare – Indikatoren für Träume sind“, betont Ungurean. Weitere Untersuchungen müssten zeigen, ob diese Interpretation tatsächlich stimmt.

    Ähnliches haben Rößler und ihr Team bei Springspinnen entdeckt. Die Forscherin betont, dass der auffälligste äußerliche Hinweis für den REM-Schlaf die Bewegung der Augen während dieser Phase ist. Zwar fehlten bewegliche Augen bei den meisten Gliederfüßern – dazu zählen etwa Insekten und Spinnentiere. Allerdings haben Springspinnen bewegliche Netzhautröhren, wie die Biologin ausführt. Bei frisch geschlüpften Jungtieren könnten diese Bewegungen durch ihr vorübergehend durchscheinendes Exoskelett direkt beobachtet werden. „Die Schlafmuster, die wir bei unseren Springspinnen sehen, ähneln unseren eigenen Schlafmustern auf verblüffende Weise“, sagt Rößler. Die Tiere seien sehr visuell veranlagt und tagaktiv, während der Nacht würden sie weitestgehend schlafen. „Ganz ähnlich wie bei uns tauchen in regelmäßigen Abständen, circa alle 20 bis 30 Minuten, Phasen von REM-Schlaf-ähnlichen Zuständen auf“, erklärt Rößler. In denen zuckt die Spinne für ein bis zwei Minuten stark, ihre Netzhäute bewegen sich.

    Ob eine Spinne träumt, lässt sich nicht beantworten

    Dennoch bleibt auch hier eine entscheidende Frage offen: „Ob eine Spinne träumt, lässt sich nicht beantworten, da wir sie eben nicht fragen können“, betont die Wissenschaftlerin. Die Thematik sei kompliziert: „Man muss sich ja erst einmal fragen, was ein Traum überhaupt ist. Und dann stoßen wir ganz schnell an die Grenzen dessen, was wir uns vorstellen können.“ Bei der Spinne sei durchaus möglich, dass in der Phase mit Zuckungen und Bewegungen ein Programm abgespielt wird, welches Informationen verarbeitet, die mit Bewegung und visuellen Reizen in Verbindung stehen. Denkbar wäre ein Experiment, der Spinne einen Reiz zu präsentieren, etwa eine Fliege, die in einem Looping fliegt. Dann könnte beobachtet werden, ob Fragmente des Loopings in der Augenbewegung in den folgenden Nächten auftauchen. „Hier wäre der Zusammenhang zwischen einer Verarbeitung einer erlebten Situation dann eventuell gegeben“, sagt Rößler.

    Oktopusse wechseln beim Schlafen ihre Farbe

    Schlaf von Tieren wurde bereits oft untersucht. Eine Studie unter Leitung von Forschenden der Universität Zürich legte etwa nahe, dass arktische Rentiere während des Wiederkäuens zumindest teilweise schlafen. Und See-Elefanten machen im Meer mehrere Tauchgänge pro Tag, bei denen sie im Schlaf kopfüber spiralförmig weit in die Tiefe sinken, wie ein Team der University of California 2023 im Fachblatt Science berichtete. Oktopusse wechseln beim Schlafen in gewissen Abständen ihre Farbe, wie japanische Forscher 2023 im Journal Nature schrieben. Das könnte darauf hindeuten, dass die Tiere Erlebnisse aus dem Wachzustand erleben und dabei die damit verbundenen Hautreaktionen abrufen.

    Oktopusse wechseln während des Schlafes in gewissen Abständen ihre Farbe.
    Oktopusse wechseln während des Schlafes in gewissen Abständen ihre Farbe. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Möglicherweise sei zum Schlafen nicht einmal unbedingt ein Gehirn nötig, berichtete ein Forschungsteam vom California Institute of Technology in Pasadena nach einer Studie an Quallen. Ihren Erkenntnissen zufolge wechseln Mangrovenquallen nachts in einen schlafartigen Ruhezustand. Tagsüber ziehen sie ihre Ringmuskulatur regelmäßig zusammen – etwa ein Mal pro Sekunde. Nachts sank der Rhythmus von durchschnittlich 58 Stößen pro Minute auf 39. Zudem reagierten die Tiere nachts langsamer auf Reize. Rößler zufolge wurde bisher noch kein Tier gefunden, welches nicht schläft. Schlaf sei allerdings unglaublich vielseitig – von Vögeln, die im Schlaf fliegen, und Delfinen, die gleichzeitig schwimmen, über Pinguine, die Tausende Nickerchen am Tag halten, bis zu Fledermäusen, die angeblich bis zu 18 Stunden am Tag schlafen. „Schlaf muss sein“, betont die Biologin.

    Tiere schlafen also. Aber ob sie auch träumen, bleibt vorerst offen. Dies zu klären, wäre laut Ungurean ein wichtiger Schritt. Die Etablierung des Träumens bei Tieren würde es ermöglichen, die daran beteiligten Gehirnbereiche und grundlegenden Mechanismen experimentell zu untersuchen. Testweise könnten Forscher dann das Träumen verringern oder verstärken, während andere Aspekte des Schlafs erhalten blieben, sagt Ungurean. So könnte etwa die potenzielle Rolle des Träumens bei der Regulierung von Emotionen und bei anderen Prozessen getestet werden. Darüber hinaus könne dies Aufschluss über die mögliche Rolle von Träumen bei psychischen Störungen geben – und so zu neuen Therapien anregen. (Alina Grünky, dpa)

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