Überschätzte Taylor Swift: Triumph der Einfalt statt Ikone

05.03.2024

Es ist Zeit, aus dem Hype um Taylor Swift mal die Luft rauszulassen. Vor allem das mediale Gewese um die US-Sängerin in Deutschland ist geradezu lächerlich.

Es ist erst ein paar Jährchen her, da schien etwas zuvor kaum Vorstellbares möglich. Wenn um das Jahr 2020 herum die größten Sensationen im besten Sinne authentische Künstler wie Billie Eilish und Harry Styles sind und wenn die größten Stars knuffiger Ed Sheeran, Antimodell und allein mit seiner Loop-Station die Arenen der Welt füllend, und eine erhabene Beyonce, ikonisch in jeder Faser, Monumente für "Black Lives Matter" und die Emanzipation errichten – vielleicht war die Popwelt dann ja wirklich im totalen Kommerz nicht komplett auf den Hund gekommen, konnte auch an der Verwertungsspitze das Gute und das Interessante hervorbringen. Jetzt allerdings ist da überall nur noch: Taylor Swift.

Zumindest kann es so erscheinen, da unaufhörliches Gewese um die Blonde mit den übersatt rot angemalten Lippen alle medialen Kanäle zukleistert. Selbst die sonst gerne seriös wirkenden Feuilletons hierzulande scheinen in einem Rausch, den ansonsten die bunten Boulevardblättchen mit einer Dosis Helene Fischer auf jedem neuen Titelblatt ausleben. Als wollten sie so einfach alle nur teilhaben am Aufmerksamkeitsimperium der Dollarmilliardärin, das sie damit zugleich unterfüttern, um vielleicht auch noch ein paar Fanklicks abzubekommen und damit ein paar Online-Werbe-Euros. 

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Foto: Natacha Pisarenko/AP, dpa
Foto: Natacha Pisarenko/AP, dpa

Sängerin Taylor Swift, unterwegs auf ihres "Eras Tour" – und bald auch im hysterischen Deutschland.

Der Kuss mit Footballer Kelce, Taylor gegen Trump, ein Bier auf Ex: Swift-Hype in den Medien

Beyonce steht als erste schwarze Frau an der Spitze der US-Country-Charts? Na ja. Taylor kann eine ganze Halbe Bier auf Ex trinken! Adele spielt zehn Großkonzerte an der Münchner Messe, ja ja – aber Taylor küsst einen Football-Star und ist vielleicht die Einzige, die eine erneute Präsidentschaft Trumps verhindern kann! Und dann ist doch auch ihre Musik bei den Grammys so rekordmäßig ausgezeichnet worden. Genau Football, Mr President und die Grammys – alles Uramerikanisches. Von welcher Bedeutung aber ist all das für die Popwelt? In Deutschland zum Beispiel, was schätzen Sie, wie viele Nummer-eins-Hits hatte die große Taylor bislang hier? Die Antwort: keinen, in Zahlen, 0. 

Das dauerradiogenudelte "Anti-Hero" im vergangenen Jahr brachte es höchstens auf Platz sieben. Aber immerhin hatte sie da ihre ersten Nummer-eins-Alben mit dem aktuellen und einem aus Rechterückaneignungszwecken neu eingespielten älteren, also: zwei – und keines davon in der deutschen Jahresspitze, da gähnt jeder durchschnittliche Deutschrapper und fragt sich, warum nur es ein so laues Jahr war. Und trotzdem rumpelt die Aufmerksamkeitsmaschinerie hier am Anschlag – was müsste da im Vergleich eigentlich mit der Fischerin, dem Herrn Gabalier oder Roland Kaiser gedröhnt werden! 

"Swiftis" verehren die Popikone und ihre Emanzipationsgeschichte

Aber Moment, da ist Taylor ja nun wohl künstlerisch eine andere Nummer? Nun ja. Mancher mag sich angesichts der Songs an ein einstiges Wunder in der Küche erinnert fühlen – eben noch wucherte die Rauke überall und teils als Unkraut verachtet in deutschen Asphaltritzen, aber plötzlich kehrte das Gewächs als Rucola aufgepeppt und importiert zurück, wurde es schick und Trend. Was ja auch nichts daran ändert, dass das Zeug schmecken kann. Taylor Swift ist sicher eine ganz gute Songwriterin und Sängerin, wenn auch etwa im Vergleich zu Adele in beidem reichlich blass. 

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Aber natürlich ist zwar Verwunderliches, aber nichts Verkehrtes daran, dass Millionen "Swiftis" sie weltweit verehren, auch mit ihrer eigenen Emanzipationsgeschichte, aus dem Country kommend und so, vielschichtig irgendwie, was sie singt und so – wie es etwa auch die Fans der K-Pop-Gruppe BTS noch aus jedem Video und jeder Choreo ihrer Helden zu lesen vermögen, aber immerhin sind die als erste Südkoreaner damit tatsächlich weltweit zu einem Phänomen geworden. Und Taylor? Schraubt halt samt einer mächtigen PR-Maschinerie mit Kinokonzertfilm und Netflix-Doku-Serie ein paar Zahlen in die Höhe – letztlich vor allem auch an Einkünften. 

Besser und interessanter als Taylor Swift: Beyonce, Billie Eilish, Adele, sogar Britney Spears

Aber Originäres geschweige denn Ikonisches ist daran schlicht gar nichts. Nichts ist an Swift, was nicht Madonna schon dekonstruiert, rekonstruiert und dann noch mal auf den Kopf gestellt hätte, außer dass dieses "All American Girl" in Reinform auch noch bruchlos daherkommt. Keine tatsächlichen Dramen wie Britney Spears, keine wahre Emanzipation wie Miley Cyrus, keine Wendung in die Kunst wie Lady Gaga – sondern ein simples Popsternchen aus der Vergangenheit eigentlich, dabei musikalisch und persönlich deutlich uninteressanter, weniger originär als Billie Eilish und mehrere Ligen unter der Inszenierungs- und Bedeutungswucht einer Beyonce. Im Vergleich eigentlich ein Wunder der Einfalt, das da wirkt, als US-Phänomen ja bereits seit vielen Jahren, aber seit vergangenem Jahr unausgesetzt ja nun auch hier. 

Und dabei können sich die Feuilletons noch so sehr abmühen und in ihrem Lebenlauf rumnesteln und an ihren Texten Lyrik-Exegese betreiben, es wird doch nichts Bedeutendes für die Popwelt daraus. Aber vielleicht bläst das ja alles nur immer weiter mit heißem Atem den größten Werbeballon der Branche mit auf, in der Hoffnung, dass dieser dann möglichst mächtig und skandalös irgendwann platzt – die Geschichte ist von Marilyn bis Britney ja die gleiche –, weil dann alle noch mehr von Aufmerksamkeit und Kicks und Dollars für alle abfallen. 

Das freilich ist der blassen Taylor nicht zu wünschen, für diesen Rückfall der Popwelt ins Düsterste sollte sie "Anti-Hero" sein, also auf ewig Jungfrau bleiben und sich, beschützt und aufgefangen von ihrem bulligen, bärtigen Travis, auf eine Privatinsel zurückziehen. Und fortan nur noch einen Avatar auftreten lassen. Wer merkte schon den Unterschied? 

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