Man kennt Sie aus der „Tagesschau“. Künftig haben Sie um 20 Uhr auch noch was anderes vor. Erzählen Sie doch mal von Ihrem neuen Projekt.
CONSTANTIN SCHREIBER: Ich bin schon lange ein großer Krimi- und Crime-Fan. Und jetzt bringe ich mit Alexander Stevens, der bereits einen erfolgreichen True-Crime Podcast beim BR hat, eine True Crime Show auf der Bühne. Wir besprechen einen echten Fall. Den Dreifachmord von Starnberg. Das ist ein sehr spektakulärer Fall, der auch durch die Medien gegangen ist und bei dem bis zuletzt nicht klar war, was ist da wirklich passiert?
Wie kann man sich das auf der Bühne vorstellen?
SCHREIBER: Also wir tragen Indizien und Beweise zusammen. Und zwar in Arbeitsteilung. Ich bin der Ankläger und Alexander Stevens ist der Verteidiger, er war ja auch tatsächlich Verteidiger des Angeklagten im Dreifachmord von Starnberg. Es wird im Grunde eine Art Gerichtsshow. Auch mit der Möglichkeit des Publikums selbst abzustimmen. Die Frage nach den Plädoyers ist, wen haben Alexander oder ich auf der Bühne mit unseren Argumenten überzeugen können?
Also das Publikum nimmt bei der Show quasi die Rolle der Geschworenen ein …
SCHREIBER: So ist es! Wir kennen das Jury-Modell der USA in Deutschland ja nicht … Wir bringen es nun in Deutschland quasi auf die Bühne. Aber auch zwischendurch wird es immer Abstimmungsmöglichkeiten für das Publikum geben: Stand jetzt, was würdet ihr sagen? Schuldig oder nicht schuldig? So lautet ja auch der Untertitel der Show.
True Crime ist seit Jahren ein großes Thema. Warum haben wahre Verbrechen und menschliche Abgründe solch eine große Anziehungskraft? Die Welt ist doch schon grausam genug.
SCHREIBER: Natürlich geht es bei all diesen True Crime Formaten um die Faszination des Bösen. Warum schauen Menschen im Fernsehen Krimis an? Warum laufen Krimis als Bücher so gut? Ich habe mit Psychologen in einem anderen Kontext darüber gesprochen. Es gibt diese Faszination an der Grenzüberschreitung, des Extremen, des Bösen … Dieser Aspekt des Anguckens und auch des Anguckenwollens, was an menschlichen Extremverhalten möglich ist, das spielt bei diesen Formaten immer eine Rolle. Wenn uns Menschen das nicht fesseln würde, dann würde man sich keinen Krimi kaufen oder irgendwo hingehen, um eine solche Show zu sehen.
Der Dreifachmord von Starnberg ist ja ein dramatischer und auch tragischer Fall. Da hat ein 19-Jähriger einen Freund und dessen Eltern umgebracht, um Waffen aus dem Haus zu entwenden. Wenn in einer Show über Schuld oder Unschuld abgestimmt wird, hat das nicht den Charakter von Brot und Spiele?
SCHREIBER: Klar muss man aufpassen. Und herausarbeiten, dass diese Fälle tragisch sind. Es werden Szenen nachgestellt, wir zeigen Videos und Originalunterlagen, um immer wieder deutlich zu machen, das ist hier keine Inszenierung, das ist echt und das ist ganz, ganz schlimm. Brot und Spiele diesen Charakter soll es nicht haben. Es geht vielmehr darum, zu zeigen, wie schwierig es in Wirklichkeit ist, eine Tat zu rekonstruieren. Wenn am Ende eines Prozesses ein Urteil steht, bleibt häufig einiges im Unklaren. Trotz aller DNA-Beweise und allem, was es heute an Technik und an Möglichkeiten gibt, Nachforschung anzustellen. Dieses Ringen, diese Unsicherheit, die permanenten Perspektivwechsel, die bei den Ermittlungen vollzogen werden müssen … darum geht es.
Der Charme von den True Crime-Podcasts von Alexander Stevens ist, dass er sehr intensiv ins Detail geht, die Unklarheiten und Widersprüche eines Falls herausarbeitet. Ist dafür auch Platz auf der Bühne?
SCHREIBER: Sehr viel. Denn das ist der Kern der Show. Der Dreifachmord von Starnberg hat einige Wendungen, es gab zunächst die klare Vermutung, dass der waffenvernarrte Sohn zunächst seine Eltern und dann sich selbst getötet hat. Man kann aber schon berechtigte Zweifel haben, ob nicht der Angeklagte später alle drei ermordet und dem Sohn später die Waffe in die Hand gelegt hat. Es gibt etwa ein Video, das der Angeklagte am Tatort gedreht hat, das gruselig ist, weil es so ruhig ist. Er geht von Raum zu Raum und sagt, na, schlaft mal weiter … In einer Kühle, die unfassbar ist. Auch die Persönlichkeiten werden eine Rolle spielen.
Sie sind auch Jurist. Holen Sie mit dieser Show auch in gewisser Weise Versäumtes nach?
SCHREIBER: Ich kehre sozusagen zu meinen juristischen Ursprüngen zurück. Ich habe seinerzeit in Passau Jura studiert. Und habe das Studium auch abgeschlossen. Strafrecht, das war mein Lieblingsfach. Ich hatte unterschwellig seit Langem die Idee, und auch die Lust, damit könnte man mal etwas machen. Und als hätte er es gespürt, hat mir Alexander Stevens eine Anfrage geschickt, ob wir etwas gemeinsam entwickeln könnten. Wir kannten uns ja gar nicht. Aber er wusste, dass ich diesen juristischen Hintergrund habe. Und ja, da habe ich sofort zugeschnappt.
Sie sind Tagesschausprecher, sind Grimme-Preis-Träger, sprechen fließend Arabisch, spielen Klavier und sind nicht zuletzt Familienvater. Sind Sie ein Zeitwunder?
SCHREIBER: Manchmal kommen viele Dinge zusammen, einfach, weil sie sich ergeben. Ein bisschen würde ich es schon entzerren. Aber ich arbeite tatsächlich sehr effizient. Ich habe eine Neigung zum chaotischen und bin dabei gleichzeitig sehr effizient.
Das müssen Sie jetzt erklären, wie kann man gleichzeitig effizient und chaotisch sein?
SCHREIBER: Zeitliche Planung ist nicht meine Stärke. So kommt es auch, dass sich viele Dinge ballen. Ich nehme alles an und schaue mal, wie es klappt. Und dann stelle ich fest, nun muss ich mich wahnsinnig konzentrieren, um alles zu schaffen. Und los geht’s! In den Timeslots, in denen ich mich hinsetze und arbeite, mache ich das sehr konzentriert.
Dazu veröffentlichen Sie fast im Jahresrhythmus ein neues Buch. Nun ist mit „Das Grab der Kleopatra“ gerade ihr erster Krimi erschienen. Hatten Sie auch dafür feste Schreibzeiten?
SCHREIBER: Ja, ich nehme mir jeweils ein Pensum vor. Wenn ich in meinen Kalender sehe, dann sind verschiedene Tage für verschiedene Aufgaben markiert und ich weiß auch immer, was ich an diesen Tagen schaffen muss. Wenn ich ein Buch schreibe, dann weiß ich, an dem Tag muss ich 15 Seiten bewältigen. Und in der Regel bekomme ich das auch hin.
Was können Sie über den Inhalt verraten?
SCHREIBER: Das ist auch über lange Zeit in mir gewachsen und passt nun durch Zufall in diese kriminalistische Neuausrichtung. Vor einiger Zeit hatte ich in Ägypten mit einem Archäologen ein spannendes Gespräch darüber, dass nur ein Prozent des antiken Wissens in unserer Zeit erhalten ist. Gleichzeitig gibt es sehr intensive Bemühungen derzeit in Ägypten das Grab der Kleopatra zu finden, es gibt einen möglichen Fundort vor den Toren Alexandrias … Und zugleich bin ich ein großer Fan von Agatha Christie und ihrer Erzählweise. Es ist ein Krimi mit überraschenden Offenbarungen und weiteren Ebenen. Was glauben wir zu wissen und aus welcher Perspektive schauen wir auf Geschichte?
Sie haben ein halbes Jahr bei einer syrischen Familie in Damaskus gelebt und dort Arabisch gelernt. Einen besonderen Bezug haben Sie aber zu Ägypten, wo Sie sogar eine Fernsehsendung hatten, wie kam es dazu?
SCHREIBER: Die Fernsehsendung ist während Corona leider ausgelaufen, weil ich wegen der Pandemie nicht mehr nach Ägypten reisen konnte. Sieben, acht Jahre habe ich das gemacht, und wir waren mehrmals im Jahr mehrere Wochen in Ägypten unterwegs. Das war viel intensiver, als das, was ich in Syrien letztlich gemacht habe. Ich mag besonders die Orte, die dieses Magische haben. Das ist ja vor allem Oberägypten, Assuan und Alexandria mit dieser europäisch-französischen, arabischen Mischung. Das sind Orte, die mich so richtig in den Bann schlagen. Ich bin kein Kairo-Fan.
Mit einem anderen Buch, „Die Kandidatin“, in dem – ausgesprochen verkürzt gesagt – eine muslimische Politikerin Kanzlerin werden will, haben Sie nicht nur eine kontroverse Diskussion ausgelöst, sondern sind auch bedroht worden. Es sorgte anschließend für Schlagzeilen, dass Sie sich nach diesen Vorfällen nicht mehr über den Islam äußern wollten. Ist eine True Crime-Show nun die logische Konsequenz?
SCHREIBER: Das ist ja das Tolle am Journalismus, dass man immer etwas anderes machen kann sich immer wieder neuen Themen zuwenden kann.
Aber es ist doch schwer zu ertragen, wenn man sich missverstanden fühlt …
SCHREIBER: Ich konnte damit wunderbar abschließen. Und wenn ich manche Debatte verfolge, denke ich mir, wie gut, dass ich das hinter mir gelassen habe. Das sage ich so lapidar. Aber dahinter steht natürlich auch etwas ganz Tragisches. Nämlich, dass die Debattenkultur in unserem Land echt in Schieflage geraten ist, das ist sehr ernst und auch tragisch.
Was sind die nächsten Projekte? Wann darf man mit der großen Abendshow rechnen?
SCHREIBER: Ja, wer weiß, vielleicht ist ja tatsächlich was in der Pipeline. Vielleicht mit etwas mehr Vorlauf diesmal. Es gibt tatsächlich ein paar Überlegungen, dass ich eine Art Talk auf der Bühne mache, Latenight … Aber das ist noch nicht spruchreif. Reizen würde es mich durchaus.
Alexander Stevens trägt zum Anzug immer orangefarbene Socken, mit welcher Sockenfarbe darf das Publikum denn bei Ihren Auftritten rechnen?
SCHREIBER: Dezent und klassisch. Grau oder Schwarz. Da probiere ich nichts aus.
Sie überlassen den Knalleffekt Herrn Stevens …
SCHREIBER: Was die Socken angeht, ja.
Zur Person
Constantin Schreiber ist seit 2021 „Tagesschau“-Sprecher. Der 44-Jährige wuchs in Cuxhaven auf und lernte als Jugendlicher bei einer syrischen Familie arabisch. Für seine n-tv-Sendung „Marhaba“ – Ankommen in Deutschland, in der er auf Arabisch das Leben in Deutschland erklärt, wurde er 2016 mit dem Grimme-Preis ausgerichtet. Mit seinem Buch „Die Kandidatin“ sorgte er deutschlandweit für Schlagzeilen. Seitdem äußert er sich nicht mehr über den Islam. Gerade ist sein jüngstes Buch erschienen: Das Grab der Kleopatra, Hoffmann und Campe, 320 Seiten, 22 Euro. Seine True Crime-Show mit Alexander Stevens startet am 28. Mai in Augsburg.