Ihre Mutter ist US-Bürgerin, Sie haben neben der deutschen auch die amerikanische Staatsangehörigkeit. Werden Sie bei der Präsidentschaftswahl Ihre Stimme abgeben?
David Garrett: Selbstverständlich. Ich gehe immer wählen, das ist mir sehr wichtig.
Trump oder Biden?
Garrett: Sagen wir mal so: Ich bin ein Freund von Veränderung. Gerade nach den vergangenen vier Jahren.
Hätte Ihr neues Album eigentlich auch ohne Corona „Alive“, also „Lebendig“ geheißen?
Garrett: Ja, das hätte es. Ich wollte von Anfang an ein fröhliches Album herausbringen. Es sollte durch und durch positiv sein. Musik ist für mich etwas, das Spaß macht. Man kann sie in Gemeinschaft genießen, aber eben auch alleine. Ich will mit meinen Stücken so ein bisschen Lebensfreude für den Moment schaffen. Das gilt immer, aber in dieser für viele von uns sehr schwierigen und schwermütigen Situation gilt es erst recht.
Wann haben Sie Ihr letztes Konzert gespielt?
Garrett: Das war im Januar in Abu Dhabi. Für mich hat diese ganze Situation immer noch etwas Ungreifbares. Für Nichtwissenschaftler wie mich ist es schwierig, sich eine neutrale Meinung darüber zu bilden, ob die Einschränkungen richtig sind. Ich vertraue den Menschen, die das beruflich machen und halte mich an die Vorgaben.
Sie haben auch eine Wohnung in New York. Waren Sie seit Corona schon mal wieder dort?
Garrett: Nein. Ich war im Februar in Deutschland und bin dann auch nicht mehr in die USA geflogen. Meine einzigen Auslandsreisen seitdem gingen nach Holland ins Studio und im Sommer war ich für zwei Wochen mit meiner Mutter auf Mallorca. Spätestens gegen Ende des Jahres würde ich aber gern in die USA fliegen, um meinen Bruder und seine Familie zu besuchen. Ich habe sie seit zehn Monaten nicht mehr gesehen.
Lebt Ihr Bruder auch in New York?
Garrett: Upstate New York, also nördlich von der Stadt. Er lebt dort seit Jahren auf dem Land mit seiner Frau und zwei Kindern.
Wäre das für den umtriebigen David Garrett auch mal ein Lebensmodell?
Garrett: Ich habe meine Neffen unglaublich gern. Es macht mir Riesenspaß, mit denen Zeit zu verbringen. Eine eigene Familie zu haben, ist sicherlich ein Zukunftsmodell, das ich mir vorstellen kann. Das wäre ja auch merkwürdig, wenn ich sagen würde, ich möchte mein Leben lang Junggeselle bleiben. Ich habe definitiv einen großen Familiensinn. Es muss halt nur passen.
Hatten Sie das Album bereits eingespielt, als es zum Stillstand kam?
Garrett: Nein, ich habe im Frühjahr erst mit den Aufnahmen angefangen. Mit viel Zeit, Geduld und Freude habe ich mich mit meinem Produzenten Franck von der Heijden darüber ausgetauscht, was wir aufnehmen möchten. Wir haben anfangs viel übers Internet kommuniziert, uns aber später auch zum Arbeiten in seinem Studio getroffen.
Worauf kam es euch besonders an?
Garrett: Mir war die Orchestrierung sehr wichtig. Ich habe extrem viel Musik gehört im letzten halben Jahr, wirklich alles querbeet und auch ganz viel Klassik. Besonders Beethoven war eine Inspirationsquelle, die ich in meine Bearbeitung von Crossover habe einfließen lassen.
Wie das?
Garrett: Ich will mich jetzt nicht mit Beethoven messen, aber dieses Umtriebige, der Wunsch, immer etwas Neues zu schaffen, sich von der Norm zu entfernen und seinen eigenen Kopf durchzusetzen, der eint nicht nur uns beide, sondern alle Musiker, die versuchen, sich immer wieder zu verändern und stetig zu verbessern. Mir ist es wichtig, zwischen den Grenzen zu spielen, mal ein Klassikalbum zu machen und dann wieder Crossover. Mein erster Gedanke ist es nicht, kommerziell erfolgreich zu sein, sondern etwas zu erschaffen, was mir selbst Spaß macht beim Spielen. Wenn es sich noch gut verkauft, ist es doppelt schön.
Das Album beginnt mit „Stayin’ Alive“ von den Bee Gees. Was verbindet Sie mit dem Disco-Klassiker?
Garrett: Das ist eine tolle Nummer, die für die Geige wunderbar funktioniert. Wir haben das Tempo noch ein bisschen angezogen. Ich finde, ein Album muss mit einem Knall anfangen. Die erste Nummer muss richtig sitzen.
Wie ist es um Ihre eigenen Tanzfähigkeiten bestellt?
Garrett: Mäßig. Tanzen ist Lebensfreude. Egal, ob man es gut oder schlecht kann. Hauptsache, man bewegt sich und tut seinem Körper was Gutes.
Sie spielen eine sehr bunte Mischung von Songs, etwa „Imagine“ und „Come Together“ von den Beatles oder Michael Jacksons „Thriller“. Sind das alles Lieblingssongs von Ihnen?
Garrett: Absolut. Gerade die Beatles haben wirklich wunderbare Melodien, vielleicht die besten überhaupt. Bei deren Liedern wusste ich auch direkt, dass die Umsetzung für mich und mein Instrument funktioniert.
Welche Stücke waren die komplexesten?
Garrett: „Paint It Black“ von den Rolling Stones war eine große Anstrengung, vor allem auch wegen Strawinskys „Feuervogel“ in der Mitte. Und auch „Enter Sandman“ von Metallica war knifflig mit der großen Orchestrierung.
Ein paar romantische Nummern sind auch dabei, etwa „Shallow“ aus „A Star Is Born“. Haben Sie einen Hang zu melodramatischen Filmen?
Garrett: Ja, also manchmal muss es auch was fürs Gefühl sein. Ich liebe gute Disney-Filme, und bei „A Star Is Born“ standen auch mir ein paar Tränchen in den Augen.
Sie sind Anfang September 40 geworden. Fühlt sich das eigentlich anders an?
Garrett: Als 39 (lacht)? Nein, überhaupt nicht. Bis jetzt ist alles im grünen Bereich. Ich hatte an meinem Geburtstag ein bisschen Familie und Freunde zusammengetrommelt, was Schönes zu essen organisiert und danach bei mir zu Hause in Berlin noch einen Absacker getrunken. Ich habe mich wirklich gefreut, mal wieder ein paar Menschen zu sehen, die ich zuletzt nicht so häufig gesehen habe. In den vergangenen Monaten habe ich doch auch sehr viel Zeit mit mir alleine verbracht.
Auch mit 40 ist Ihre wallende Mähne dein Markenzeichen. Werden Sie zu Ihren Lebzeiten wohl noch eine Kurzhaarfrisur haben?
Garrett (lacht): Nur, wenn sie mir ausfallen. Dann schneide ich sie ab.
Tun sie aber nicht, oder?
Garrett: Bis jetzt noch nicht. Bei meinem Papa fing es mit Mitte 20 an, dünner zu werden. Bei mir dagegen stehen die Chancen gut. Ich habe wohl das volle Haar meines Großvaters geerbt.
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