„Warum lernst du Spanisch?“ Aus dem Handydisplay blickt das erwartungsvolle Augenpaar einer emsig mit den Krallen wippenden grünen Eule. Selbst wer diesem Wappentier der weitverbreiteten Sprachlernapp Duolingo ein unentschlossenes „Nur so zum Spaß“ entgegnet, erntet ein freudiges „Juhuu, ich bin Experte für Spaß“.
Dass diese Sprachlernapp mehr Nutzerinnen und Nutzer hat als Spanien Einwohner, liegt vor allem an verspielten Elementen wie den Meilensteinen, Rankings und animierten Figuren. Nach der Begrüßung durch die Eule ist da zum Beispiel ein Herr mit strengem Schnauzer, an dessen Hand Lernwillige durch eine Art Zwei-Minuten-Lernstandserhebung spazieren.
Spielerische Apps sollen jede noch so öde Tramfahrt unterhaltsam machen
Als „Gamification“ wird der Trend bezeichnet, bei dem spaßige Elemente zähe oder unangenehme Aufgaben erleichtern sollen. Das reicht vom Sprachenlernen über Quiz-Apps und spielerische Tipps zum CO₂-Sparen bis zum Punktesammeln beim Joggen. Während Vielreisende ihre Meilen schon seit den 1970ern sammeln, breitet sich das Konzept der Gamification nun auch in Schulen und in der Arbeitswelt aus. Ob wir uns da gerade von einer Überdosis protestantischer Arbeitsethik erholen und endlich wieder unser spielerisches Wesen entdecken? Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme.
Die an Gamification geknüpften Versprechungen könnten größer kaum sein, Beispiel Sprachlernapps: Die spielerischen Anwendungen wollen das Sprachenlernen nicht bloß in das digitale Zeitalter katapultieren und das, was einmal als elende Paukerei galt, sich nun anschickt, jede noch so öde Tram-Fahrt unterhaltsam zu machen. Die wippende Eule verheißt auch, Mühsal in Wohlgefallen aufzulösen. Das Vokabelheft kann im Schrank bleiben und mit Worten wie „Possessivpronomen“ müssen sich Lernwillige nicht mehr herumschlagen.
Erst wenn die grüne Eule eine Push-Nachricht auf den Handybildschirm kräht, dringen unangenehme Erinnerungen an abgedeckte Vokabelheftspalten und gebetsmühlenartig hervorgestoßene Lautfolgen durch, die - steter Tropfen höhlt den Stein - den langen Weg zur Urlaubsplauderei an der Supermarktkasse freischaufelten. Das gamifizierte Sprachenlernen ertüchtigt in Wirklichkeit aber auch selten zu mehr als zum „Café con leche, por favor“.
Die Spielepidemie hat sich längts auf die Arbeitswelt übertragen
Die Gamification soll aber nicht nur die Freizeit erleichtern, längst hat sich die Spielepidemie auf die Arbeitswelt übertragen. Dass sie sich unter dem Titel „Serious Games“ auch vermehrt in Schulen und Kultureinrichtungen verbreitet, stimmt derweil ernsthaft nachdenklich. Denn wer je einen Monopoly-Spieleabend mit Freunden verbracht hat, der weiß, dass ein Spiel, gespielt ohne Ernst, immer schon ein wenig albern ist.
Diese Extraportion Ernst in der gamifizierten Welt der „Serious Games“ ist beispielsweise dann kaum zu übersehen, wenn Vertriebler Kundengespräche im Verkaufssimulator proben oder Anzulernende mit verbundenen Augen die Fließbandarbeit mit allen noch verbleibenden Sinnen erleben müssen. Nun wollen aber auch vermehrt Chef-Didaktiker bei Schülerinnen und Schülern mit Quests und Achievements Flow-ähnliche Momente generieren oder sie mit sprechenden Mülleimern zur fachgerechten Abfallentsorgung animieren. Digitale Plattformen sollen helfen, Aufgaben leichter zu lösen und Ideen zu entwickeln.
Wissenschaftlich gestützt werden derlei Innovationen durch eine florierende Gamification-Forschung. Denn, dieses Kalkül könnte man etwas böswillig unterstellen, junge Menschen spielen ja auch Zuhause gern am PC. Manchmal auch Spiele, die andere eher an Arbeit denken lassen. So wird in einigen Computerspielen das Landwirtsleben simuliert, in anderen heizen Gamer im Siebentonner die A8 entlang oder donnern per Mausklick Gewerbegebiete in virtuelle Städte.
Was eigentlich ernsthaft ist, wird unernst und dadurch erst recht unangenehm
Spielen ist zwar sicher nicht sinnlos, aber doch eigentlich zwecklos. So jedenfalls eine Einsicht der Spieltheorie. Wer spielt, will sich gerade von einem zweckorientierten Alltag erholen und einfach aus Lust und Laune gewinnen. Kein anderes, eigentliches Ziel erreichen - die eigene Gesundheit fördern etwa, Spanisch lernen oder den Müll entsorgen.
Und verschafft nicht gerade, wie man in der Spieltheorie meint, die etwas verrückte Gewohnheit, im Spiel Ernst walten zu lassen, den Spielenden eine seltene und gewinnbringende Erfahrung, nämlich die eines von Zwang befreiten Ernstes? Wenn man sich die vermeintlich seriösen „Gamification“-Spielereien in Schul-Lehrplan oder Museen anschaut, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Logik hier auf den Kopf gestellt ist: Was eigentlich ernsthaft ist, wird unernst, ja albern, und dadurch erst recht unangenehm.
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