Herr Koch, bei Ihrer ersten Premiere „Proteus 2481“ an den Münchner Kammerspielen wirkten Sie beim Schlussapplaus erschöpft und nachdenklich, während Ihre Mitspieler auf der Bühne gefeiert haben. Was ging in Ihnen vor?
SAMUEL KOCH: Oh, hoppla! Stimmt. Das sollte ich wissen, der Applaus gehört natürlich dazu. Ich war ehrlich gesagt überrascht und fasziniert während des Applauses. Wir haben das erste Mal vor Publikum gespielt. Ich hatte noch einige Fragen an das Stück und war fasziniert von der Rückmeldung. Für mich hätte das auch in die andere Richtung kippen können.
Dass das Stück nicht ankommt beim Publikum?
KOCH: Es hätte auch sein können, dass sich das Publikum fragt, was das soll. Und ich war überrascht, dass es funktioniert hat. Außerdem habe ich mich gefragt, ob das ein Premierenapplaus ist oder ein Empathie-Applaus. Galt das der exotischen Besetzung? So international und inklusiv waren noch nie Menschen auf der Bühne zusammengekommen.
Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer ersten Münchner Produktion?
KOCH: Es ist das Los eines schauspielenden Menschen, dass wir in einer Abhängigkeit zu den Zuschauenden stehen. Das habe ich wieder gemerkt. Noch eine Woche vor der Premiere war mir nicht klar, ob sich eine Beziehung zum Publikum einstellen wird. Erst durch die Interaktion mit dem Publikum kann ich sagen: Ich bin zufrieden.
Waren Sie schon einmal Teil einer Produktion, wo es nicht aufging, die nicht ankam?
KOCH: Ja, war ich auch schon.
Wie schwer ist es für Sie als Schauspieler, dann auf die Bühne zu gehen?
KOCH: Ich sehe es auch dann als meine Verantwortung, mit so viel Freude wie möglich zu spielen. Mir fallen allerdings öfter die umgekehrten Beispiele ein, wo es Freude gemacht hat und wir gemerkt haben, dass es nur noch drei Vorstellungen sind.
Herr Koch, seit Ihrem schweren Unfall bei „Wetten dass“ sind Sie gelähmt. Wie aufwendig ist es für Sie, als Schauspieler tätig zu sein?
KOCH: Natürlich viel aufwendiger, als man denkt. Und dann nochmal ein bisschen aufwendiger, als man denkt. Es gibt nicht nur logistische Schwierigkeiten, seien es Stufen oder andere Infrastruktur. Es kommen auch Unsicherheiten und Ängste von Menschen auf und hinter der Bühne dazu. Zum Beispiel hinter der Bühne haben Menschen jahrzehntelang Maschinen und Möbel bewegt, und die Schauspieler bewegen Schauspieler. Aber was ist, wenn jemand wie ich - halb Mensch, halb Maschine - auf der Bühne ist. Wo sind da die Zuständigkeitsbereiche?
Sie haben an drei Theaterhäusern Erfahrungen gesammelt, in Darmstadt, Mannheim und jetzt in München. Welche Unterschiede sind Ihnen aufgefallen?
KOCH: Im Scherz sage ich manchmal, dass Bayern der deutscheste Teil Deutschlands ist. So viel wie hier habe ich an keinem anderen Haus in Deutschland über Zuständigkeiten gesprochen. In Darmstadt war das inklusive Ensemble ein Pionierprojekt. Darmstadt wollte das aufbauen. Alle wussten, dass sie etwas komplett Neues versuchen. Mit einem Trupp von 40 Menschen ist man durchs Haus in alle Gewerke gegangen und hat überprüft, was gemacht werden muss.
Waren Sie dabei?
KOCH: Ich war einmal dabei. Dort ist auch viel hinter den Kulissen passiert. Ich war sehr positiv überrascht. Künstlerisch hat man sich Regie-Teams geholt, die konkrete Vorstellungen hatten, wie mit welchen Schauspielern mit Einschränkung umgegangen wird. Für mich und eine weitere Kollegin mit Einschränkung hat man dezidiert weit im Voraus Konzepte überlegt.
Und wie fällt Ihr Eindruck in München aus?
KOCH: Mir kommt es so vor, als ob der Weg umgekehrt gegangen wird. In Darmstadt wurde die Konzeptionierung stark an die Besetzung angepasst. Mein erstes Stück dort war: „Der Prinz von Homburg“ nach Kleist, aber in einer klassisch statuenhaften Theaterform. Meine Kolleginnen haben sich da meinem Körpersystem angepasst. Ähnlich lief das für die anderen Stücke. Hier in München habe ich den Eindruck, dass man gesagt hat, wir haben ein inklusives Ensemble (ein Querschnitt der Gesellschaft) und machen damit alles. Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Aber das Scheitern gehört auch dazu – im Leben und im Theater.
Und in Ihrer Mannheimer Station?
KOCH: Dort habe ich zum ersten Mal die Stimmen gehört: Wer macht das jetzt? Sind wir da auch versichert?
Das klingt sehr Deutsch.
KOCH: Und in dieser Hinsicht hat mich München überrascht. Hier wird sehr darauf geachtet, die Dinge gut und richtig zu machen. Allerdings lebt künstlerische Arbeit auch vom Scheitern und Experimentieren. Kunst und korrekt - vielleicht ein Ding der Unmöglichkeit?
Was heißt das genau?
KOCH: Wenn wir zum Beispiel zu „Proteus 2481“ zurückkommen, dass der Arbeitsprozess oft unterbrochen worden ist, um Dinge und Zuständigkeiten zu klären, mit dem Hinweis, dass das für die Zukunft wichtig ist. Das Thema Individualität hat bei körperlichen und geistigen Einschränkungen eine noch größere Bedeutung. Eine kognitive Einschränkung ist nicht gleich einer Mobilitätseinschränkung und eine Mobilitätseinschränkung ist nicht gleich einer Mobilitätseinschränkung. Und jeder aus dem Ensemble bietet sich mit den Möglichkeiten an, die er hat. Der Versuch, alles richtig und nichts falsch zu machen, war also sehr herausfordernd – und ist dennoch geglückt. Noch mehr an Komplexität als bei „Proteus“ auf die Bühne zu werfen, wird schwer. Da haben wir die Messlatte sehr hoch gesetzt. Ein Projekt, das für die Zukunft einzahlt.
Können Sie das ausführen?
KOCH: Ich hatte während der Proben engen Kontakt mit der technischen Direktion und dann auf meine Premieren-Dankes-Karte geschrieben: Entweder ich spiele fortan nur noch im Rollstuhl oder wir fangen an, ab jetzt noch ganz andere Dinge zu entwickeln. Zu meiner Freude war für den technischen Direktor klar, er wählt Zweiteres. Klar, der Prozess war für alle aufreibend, das kann man sagen. Wo ist das Korrekte? Wo ist das versicherungstechnisch Korrekte, wenn es das noch nie gab?
Und es ist nichts passiert bei den Proben?
KOCH: Nein, wir waren mehr als optimal betreut. Der Präsident der deutschen Stiftung Querschnittlähmung war da, Physiotherapie, Betriebsarzt, Amtsarzt, es wurde sehr viel überprüft.
Neu im Ensemble konnten Sie also nicht gleich loslegen mit der künstlerischen Arbeit, sondern mussten das Drumherum klären.
KOCH: Die ersten drei Wochen habe ich mich überwiegend mit Ärzten und mit Gutachten auseinandergesetzt. Von verschiedenen Seiten wurde das auch bedauert.
An wie viel Produktionen wirken Sie mit?
KOCH: An zwei pro Spielzeit.
Für ihr neues Engagement sind Sie nach München umgezogen. Haben Sie schon eine Wohnung gefunden?
KOCH: Ich suche noch. Mir sind von fremden Menschen Wohnungen angeboten worden, die zum Teil 4000 Euro aufwärts kosteten. Manche haben wohl falsche Vorstellungen: Mein Unfall war gering versichert. Ich muss jeden Monat gut aufs Geld achten und zum Teil auch meine Pflege mitfinanzieren. Ich zahle alles doppelt. Auch das ist ein Grund, weshalb ich in München nur zwei Stücke machen kann, ich muss nebenher auch noch Geld verdienen.
Nebenher Geld verdienen, heißt, dass Sie als Redner engagiert werden?
KOCH: Unter anderem ja. Aber ich mache z.B. auch mal was für die Bundesgartenschau, wenn ich gefragt werde, ich lese ein Hörbuch ein, habe einen spannenden Dreh.
Das viele Reisen kreuz und quer durchs Land bekommen Sie gut organisiert. Wie schwierig ist das logistisch für Sie?
KOCH: Das geht nur mit einer disziplinierten und flexiblen Infrastruktur an Assistenten und Helfern, die für mich natürlich die Helden meines Alltags sind, die stillen Helden. Gerade sind wir fast wieder verzweifelt, weil wir dachten, wir bekommen den Januar mit den Dienstplänen nicht hin. Das geht los mit privaten Dingen, weil jeder an Neujahr frei haben will. Meine Frau arbeitet gerade in Düsseldorf als Schauspielerin, ich möchte sie dort gerne besuchen. Danach beginnen die Proben in München, darauf folgen Vorstellungen in Berlin, dann ein Vortrag in Heidelberg. Das ist eine hohe logistische Herausforderung. Ohne meine krasse Familie wäre das nicht möglich.
Im Grund müssen Sie im Hintergrund ein kleines Unternehmen organisieren, dass das alles am Laufen hält?
KOCH: Etliche Jahre hatte ich dafür jemanden angestellt. Durch Corona ist das System kollabiert. Ich war froh, mich auf ein Ehrenamts-Familienunternehmens-Konstrukt zurückziehen zu können, um das wirtschaftlich stemmen zu können. Ohne viel guten Willen und den Glauben, das Unmögliche möglich zu machen, würde es nicht gehen.
Reicht Ihre Kraft für das Leben, das Sie gerade führen?
KOCH: Einer meiner Mitarbeiter, die mich betreuen, sagte einmal, dass man ihn nach einer Woche mit meinem Pensum einliefern könne. Vielleicht ist da was dran, aber bei mir war es selten anders. Ich war schon immer so. Während meines Wehrdienstes war ich enttäuscht, weil mich das körperlich nicht ausgelastet hat. Ich habe fast 20 Jahre Kunstturnen betrieben, ein extrem fordernder Sport. Wenn Sie fragen: Woher nehme ich die Kraft? Frage ich mich: Wohin mit meiner Kraft? Wenn ich könnte, würde ich noch viel mehr reisen. Ich störe mich an menschlichen Bedürfnissen wie Schlaf und Essen.
Und wo bliebt die Zeit für Ihre Ehe? Mit Ihrer Frau führen Sie eine Fernbeziehung?
KOCH: Gerade in diesem Monat. Wir bekommen es aber immer überraschend gut hin. Sie spielt gerade in einem Weihnachtsstück in Düsseldorf mit.
Und den Blick nach vorn auf die anstehende Bundestagswahl im Februar gerichtet. Was wünschen Sie sich von einer neuen Bundesregierung?
KOCH: Was ich mir wünsche, bei all den Kürzungen im Kulturbereich: dass jetzt antizyklisch in Kultur investiert wird. Und ich wünsche mir von unseren Ministern den Mut, unbeliebter zu sein. Früher haben sie alle vier Jahre eine Rückmeldung von den Wählern bekommen, heute beinahe täglich. Ich würde mir wünschen, dass sie sich besser abkoppeln können von den emotional geführten Debatten. Denn heute sind Emotionen so und morgen so. Sie sind etwas Unzuverlässiges. Aber wir brauchen das Zuverlässige.
Zur Person
Samuel Koch, 1987 in Neuwied geboren, arbeitet als Schauspieler, Autor und Redner. Bekannt geworden ist er durch seinen Unfall bei der Fernshow „Wetten dass...?“ im Dezember 2010. Seitdem ist er vom Hals abwärts querschnittgelähmt. Seit dieser Spielzeit gehört er zum Ensemble der Münchner Kammerspiele. Gerade ist er dort im Stück „Proteus 2481“ zu sehen. Die nächsten Vorstellungen sind dort am 4., 18., 20., 22. und 23. Januar.
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