Klimawandel, Lebensraumverlust und Spritzmittel gelten als Hauptursachen für den dramatischen Insektenverlust. Forschende finden allerdings immer mehr Belege dafür, dass auch Schadstoffe in der Luft eine schädliche Wirkung haben. So beeinflussen etwa bodennahes Ozon oder Stickoxide die Anziehungskraft von Blütendüften auf Insekten und das Paarungsverhalten der Tiere, wie mehrere Studien zeigen.
Einer Analyse zufolge sanken die Leistung von bestäubenden Insekten beim Nahrungssammeln und ihre Fortpflanzungsrate deutlich, wenn die Konzentrationen von Luftschadstoffen erhöht war. Ein Team der britischen Universität Reading hatte für diese im Journal Nature Communications präsentierte Meta-Analyse 120 Studien mit 40 Insektenarten aus 19 Ländern ausgewertet. Die Schadstoffe hatten jedoch keinen deutlichen Einfluss auf pflanzenfressende Blattläuse und andere Schädlinge.
Ozon erwies sich als besonders schädlich für Bestäuber
„Wir stehen vor einem „Lose-Lose“-Szenario, bei dem Luftverschmutzung nützliche Insekten schädigt, ohne Schädlinge zu beeinflussen“, sagt Erstautor James Ryalls. Das führe potenziell „zu größeren Ernteschäden, reduzierten Erträgen und weniger Lebensmitteln in den Supermarktregalen“.
Als besonders schädlich für Bestäuber erwies sich Ozon. Die Wirkung dieses Schadstoffs hat ein Team aus Jena genauer untersucht, insbesondere mit Blick auf den Insekten-Sex. Ozon entsteht bei intensiver Sonneneinstrahlung etwa aus Abgasen von Autos oder aus Lösungsmitteln in Farben und Lacken. Stickoxide stammen aus Autoabgasen und werden etwa bei der Verbrennung von Kohle und Öl gebildet.
„Taufliegenmännchen reiben sich mit ihren Sexualstoffen ein und nutzen sie zur Partnerwerbung, ähnlich wie der Mensch es mit Parfüm versucht“, sagt Markus Knaden vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena. Doch Ozon könne diesen Duft zerstören, „woraufhin Fliegenmännchen für die Weibchen weniger attraktiv sind und Fliegenmännchen plötzlich auch Männchen anbalzen“.
Klimawandel, Lebensraumverlust und Pestizideinsatz bedrohen Bestäuberinsekten
Auch die Anziehungskraft von Blüten auf Insekten können Luftschadstoffe stören. Ein US-Team hatte nachgewiesen, dass Ozon und das Nitratradikal Verbindungen abbauen, die lockenden Blumendüften zugrunde liegen. Etwa 300 Blüten von Nachtkerzen wurden über 200 Stunden hinweg beobachtet. Ergebnis: Die Blüten waren durch den Duftstoffabbau für gewisse nachtaktive Schmetterlinge kaum oder nicht wahrnehmbar.
Britische Forschende hatten den Schwarzen Senf, eine Pflanze aus der Familie der Kreuzblütengewächse, einer Konzentration von Dieselabgasen und Ozon ausgesetzt, die unter den derzeitigen Luftqualitätsstandards als sicher gelten. Ergebnis: Die Anzahl der Insekten wie Bienen, Fliegen, Motten und Schmetterlinge sank auf der Versuchsfläche um 62 bis 70 Prozent, ihre Blütenbesuche um 83 bis 90 Prozent.
Bestäuberinsekten seien von vielen Seiten bedroht, vom Klimawandel über Lebensraumverlust bis hin zu vermehrtem Pestizideinsatz, schreiben Laura Duque und Ingolf Steffan-Dewenter von der Universität Würzburg in einer Metastudie von 2024. Die Auswirkung der Luftverschmutzung sei bisher nur in einer begrenzten Anzahl von Pflanzen-Bestäuber-Systemen untersucht worden, kritisieren sie. Hier sei mehr Forschung erforderlich.
Neben den genannten Auswirkungen auf Partnerwahl und Blütenerkennung beeinträchtigen die Schadstoffe demnach Lernfähigkeit und das Gedächtnis von Insekten, ihre Orientierung sowie die Fitness allgemein. Oft verlängere Luftverschmutzung die Zeit, die Insekten mit der Suche nach Nahrung verbringen, was ihre Effizienz verringere.
Gesamtmasse an Fluginsekten ist hierzulande um mehr als 75 Prozent zurückgegangen
Studien zeigten bereits einen Rückgang der Insekten in Deutschland – zunächst rüttelte der Entomologische Verein Krefeld nicht nur Experten auf: Den 2017 im Journal PLOS One vorgestellten Daten zufolge nahm die Gesamtmasse an Fluginsekten von 1989 bis 2016 um mehr als 75 Prozent ab. 2019 fand eine Studie unter Leitung von Forschenden der Technischen Universität München, dass die Gesamtmasse von Insekten und anderen Gliederfüßern von 2008 bis 2017 in Graslandschaften um 67 Prozent schrumpfte, in Wäldern um etwa 40 Prozent.
„Grenzwerte für Luftschadstoffe sollten neu bewertet werden, wenn man bedenkt, dass bereits geringe Mengen dieser Stoffe erhebliche Auswirkungen auf die chemische Kommunikation von Insekten haben“, sagt Knaden und appelliert: „Da wir derzeit mit einem dramatischen Insektenrückgang hinsichtlich der Gesamtbiomasse und der Artenvielfalt konfrontiert sind, sollten wir versuchen, sämtliche Faktoren, die diesen Rückgang möglicherweise begünstigen, besser zu verstehen und ihnen entgegenzuwirken.“
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