Milow, ich habe gelesen, Sie sprechen perfekt Deutsch. Oder wollen Sie doch lieber in Englisch sprechen?
MILOW: Ich kann schon ein wenig Deutsch, würde aber das Gespräch tatsächlich lieber in Englisch führen, weil ich mich so einfach präziser ausdrücken kann.
Ihr neues Album „Boy Might Not Star“ erscheint am 21. Februar. Was erwartet die Fans?
MILOW: Eines kann man schon jetzt sagen, ich habe seit meinem Debütalbum 2009 noch nie so viele Songs gleichzeitig veröffentlicht wie diesmal. Und das war damals eine Sammlung aus drei Jahren. Diesmal hatte ich über 40 Songs und das Schwierige war, herauszufinden, welche besonders genug für das Album sind. Ich habe also meine Live-Band ins Studio geholt und wir haben die Songs einfach ausprobiert, einen nach dem anderen, um zu sehen, wie sie sich anfühlen. Das hat mir am Ende bei der Auswahl enorm geholfen.
Die Lieder, die man schon hören kann, klingen ungewöhnlich lebendig.
MILOW: Ja, wenn Leute mich schon mal live gesehen haben, spüren sie, wie stark das Album in der Live-Energie meiner Konzerte verwurzelt ist. Die meisten Songs wurden mit der Band live aufgenommen. Das alles klingt sehr warm, und es hat mehr Country-Elemente als sonst.
Country liegt offenbar gerade im Trend?
MILOW (LACHT): Ja, sogar Beyoncé macht Country-Musik. Ich hatte die Country-Elemente schon immer drin. Also habe ich mir diesmal sogar den Spaß erlaubt, Banjo, Mandoline und all diese Instrumente einzusetzen. Es finden sich aber verschiedene Stilfarben auf dem Album. Das Besondere ist: Ich glaube so sehr an diese Songs, dass ich zum allerersten Mal für jeden einzelnen ein Video aufgenommen habe.
Wie schreiben Sie Ihre Songs? Erst die Texte und dann die Harmonien, oder andersherum?
MILOW: Gute Frage. Für mich ist das fast bei jedem Album anders. Manchmal wechselt es auch nach zwei Alben. Am Anfang war es wirklich so, dass ich alleine in meinem Zimmer geschrieben habe. Ich habe wochenlang an jedem Wort und jeder Zeile gearbeitet, bis es sich gut angefühlt hat. Es war ein sehr langsamer Prozess zwischen dem Beginn eines Songs und seinem Abschluss, weil ich alles alleine gemacht habe. In den letzten Jahren habe ich die Zusammenarbeit auf der Bühne, im Studio, aber auch beim Schreiben wirklich zu schätzen gelernt.
Klingt nach vielen Sessions.
MILOW: Ja, ich habe mit meinen Musikern eine Woche lang ein Airbnb in Malibu gemietet. Da haben wir die Instrumente aufgebaut, es gab keine Nachbarn, und wir haben Tag und Nacht Musik gemacht. Es gab aber auch einen Billardtisch, und wir hatten in dieser Woche so viel Spaß. Selbst wenn kein einziger Song vom Album daraus entstanden wäre, hätte es sich gelohnt. Aber tatsächlich wurden vier oder fünf Songs auf dem Album in genau dieser Woche in Malibu geschrieben. Ich habe überhaupt im Laufe der Jahre gelernt, dass ich Spaß haben muss, weil sich das dann auch auf die Musik überträgt. Früher habe ich vielleicht zu viel darüber nachgedacht, dass es gut werden muss. Das versuche ich heute zu vermeiden.
Was ist für Sie persönlich der wichtigste Song?
MILOW: Einer der wichtigen Songs auf diesem Album ist für mich Family Tree. Er handelt von meinem Vater, der auch Musiker war. Als er 20 war, hat er ein paar eigene Songs aufgenommen – auf Niederländisch – in einem Studio in Paris. Es war eine Demoaufnahme. Mein Vater ist 2008 mit 53 Jahren gestorben. Nach seinem Tod gab mir eine seiner Schwestern eine LP mit diesen Aufnahmen. Ich hatte sie in meinem Studio, aber ich habe sie nie abgespielt, weil ich etwas Angst davor hatte, seine Stimme zu hören. Aber dieses Mal habe ich sie abgespielt und einen Song namens Family Tree geschrieben. Es geht darum, dass Musik in unserer DNA liegt. Am Ende des Songs singe ich ein Duett mit meinem Vater. Das ist möglich durch künstliche Intelligenz, die seine Stimme aus dieser alten Aufnahme extrahiert hat. Seine 21-jährige Stimme trifft auf meine heutige.
Das klingt sehr bewegend.
Milow: Dieser Song wird – auch wenn ihn niemand sonst mag – in meinem Privatleben und in meiner Familie einer der wichtigsten Milow-Songs überhaupt sein. Ich lasse meinen Vater dadurch wieder für ein paar Minuten lebendig werden, auch im Musikvideo, das zu diesem Song gehört.
Noch ein anderer Blick zurück. Mit Songs wie „Technology“ oder „You Don’t Know“ stürmten Sie vor 15 Jahren in ganz Europa in die Charts. Konnten Sie diesen Aufstieg damals bewusst genießen?
MILOW: Ich hatte damals schon so lange darauf gewartet, dass etwas mit meinen Songs passiert. Denn ich habe seit meinem 16. Lebensjahr Musik gemacht, aber erst ab 2008 nahm der Erfolg Gestalt an. Ich glaube also, ich war bereit. Darum habe ich auch nicht den Kopf verloren, sondern wollte meine ersten Erfolge als Grundlage für eine lange Karriere nutzen. Ich wollte also nicht mit Geld um mich werfen, Drogen nehmen und feiern. Mein Fokus lag wirklich darauf, große Shows zu spielen.
Das klingt aber gar nicht nach Rock `n‘ Roll.
MILOW (LACHT): Ja, man könnte sagen, das klingt ein bisschen langweilig. Aber wir hatten wirklich Spaß. Ich habe zu jeder Konzertanfrage „Ja“ gesagt, auch wenn das bedeutete, dass wir zwei Shows an einem Tag spielen mussten. Ich war jung und voller Energie, also habe ich es geliebt. Es war ein Durchbruch, der sich über ein paar Jahre erstreckte. In Belgien 2007, in den Niederlanden 2008, in Deutschland 2009 und dann auch in Frankreich und all den anderen Ländern. So habe ich einfach ein paar Jahre lang weitergemacht – ein Konzert nach dem anderen. Das war lustig und wir haben viel gefeiert. Dann brauchte ich eine Zäsur – und ging nach Los Angeles. Aber das Schicksal hatte mir eine Chance gegeben, von der die meisten Musiker träumen. Und ich bin mir dieser Verantwortung sehr bewusst gewesen.
Denken Sie, dass dieser Erfolg oder diese Zeit Sie persönlich verändert hat?
MILOW: Ich denke, die größte Veränderung war, dass ich vor meinem Durchbruch sehr ruhelos war. Ich hatte mein Leben der Musik gewidmet, lebte wie ein Student und hatte Nebenjobs. Und ich war mir nicht sicher, ob diese Entscheidung die richtige war. Mir geisterten immer Fragen durch den Kopf wie: Sind die Songs gut genug? Bin ich gut genug? All diese Gedanken, die man hat, wenn man Anfang 20 ist. Nach meinem Durchbruch fing das Publikum an, mir wirklich zuzuhören. Ich begann mich bestätigt zu fühlen in dem, was ich tat und wofür ich so hart gearbeitet hatte.
Sie haben einmal erwähnt, alles aufs Spiel gesetzt zu haben, um den Traum von einer erfolgreichen Musikkarriere zu verwirklichen. Zum Beispiel Beziehungen zu Freunden und Familie. Haben Sie inzwischen eine bessere Balance gefunden?
MILOW: Ja, diese Balance zu finden, war definitiv etwas, das erst in meinen Dreißigern passiert ist. Am Anfang gab es wirklich nur eine Priorität in meinem Leben, und das war die Musik. Alles andere musste geopfert werden. Tatsächlich habe ich, seit ich Kinder habe – meine älteste Tochter ist zehn, eine viel bessere Balance zwischen Privatleben, Freundschaften und Karriere gefunden. Früher dachte ich, der einzige Weg, ein ernsthafter Musiker zu sein, sei, kein Leben zu haben, sondern nur Musik, Musik, Musik. Aber dann wird das Leben zu ernst. Von Jack Johnson, mit dem ich auf Tour war, habe ich gelernt, dass es möglich ist, erfolgreich zu sein und Familie zu leben.
Jetzt zu Ihrer Zeit in den USA, wo Sie auch heute noch leben: Warum sind Sie 2012 in die Staaten gezogen?
MILOW: Als ich jung war, wollte ich den Durchbruch schaffen. Aber nachdem mir das gelungen war, war ich mehr fasziniert von der Frage: Wie schafft man es, eine lange Karriere zu haben? Und: Warum sind manche Künstler auch nach 30 Jahren noch präsent, während andere nach einem Album verschwinden? Es gibt kein Handbuch, das einem zeigt, wie man sich eine langfristige Musikkarriere aufbaut. Das muss man selbst herausfinden. Ich habe versucht, mein Leben so zu gestalten, dass ich inspiriert bleibe. Das war für mich der Hauptgrund, in die Staaten zu gehen. LA ist für mich ein Ort, der mir das ermöglicht. Es ist ein Ort, an dem man nicht ständig an die Arbeit denkt, sondern sich auch Zeit für sich nehmen kann, bevor man wieder ins Hamsterrad steigt.
Waren Sie eigentlich von diesen verheerenden Waldbränden in den Hollywood Hills betroffen?
MILOW: Zum Glück lebe ich in Venice, also etwa zehn Kilometer entfernt von den Bränden in Pacific Palisades. Aber ich habe alles gesehen, dicke Rauchwolken zogen Tag und Nacht über den Himmel. Ja, die Brände sind schrecklich, weil dadurch so viele Menschen alles verloren haben. Die Stadt wird für immer verändert sein.
Und was halten Sie von US-Präsidenten Donald Trump?
MILOW: Mit seiner Unberechenbarkeit bereitet er vielen Menschen Sorgen – auch mir. Ich befürchte, dass die Zeit mit Donald Trump als Präsident nicht gut enden wird. Zum Glück habe ich auch noch ein Leben in Belgien. Falls es wirklich verrückt wird, könnte ich meine Familie dorthin bringen, wie ich es auch während der Pandemie gemacht habe. Andererseits gibt es auch viel, was jemand wie Trump in Kalifornien nicht beeinflussen kann. Kalifornien hat ja eine eigene Regierung mit einem Gouverneur und Bürgermeistern. Aber ich mache mir große Sorgen darum, was er im Rest der Welt anstellen wird – und welche Auswirkungen das haben könnte. Das war, ehrlich gesagt, der schlimmste Jahresanfang überhaupt: Es ist wie im Horrorfilm: LA brennt und Trump spricht davon, Kanada und Grönland zu kolonisieren, und den Golf von Mexiko in „Golf von Amerika“ umzubenennen. Wenn das in einem Film vorkäme, würden die Leute lachen und sagen: ,Das ist doch nicht möglich.‘ Aber es ist so. Wir leben in einer absurden Zeit.
Zur Person
Er braucht nicht viel, nur eine Gitarre und seine Stimme, um Menschen mit seiner Musik zu begeistern. Milow, bürgerlich Jonathan Ivo Gilles Vandenbroeck, ist ein Singer-Songwriter aus Belgien. Schon als Jugendlicher spielte er Gitarre und schrieb Songtexte. 2006 erschein sein erstes Album „The Bigger Picture“, das Lied „You Don‘t Know“ wurde ein Hit. Der große Durchbruch gelang dem 43-Jährigen dann zwei Jahre später mit dem Song „Ayo Technology“. Milow lebt mit seiner Familie in Los Angeles, mit „Boy Made Out Of Stars“ hat er jetzt sein achtes Album veröffentlicht.
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